Anonym (flämisch, 16. Jh.) Nicolaes de Bruyn, ehemals zugeschrieben
Vertumnus und Pomona, 1590 - 1600
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Anonym (flämisch, 16. Jh.) Nicolaes de Bruyn, ehemals zugeschrieben

Vertumnus und Pomona, 1590 - 1600

Anonym (flämisch, 16. Jh.) Nicolaes de Bruyn, ehemals zugeschrieben

Vertumnus und Pomona, 1590 - 1600

Die Sage von Vertumnus und Pomona geht zurück auf die Metamorphosen des Ovid: Der Vegetationsgott Vertumnus konnte nach zahlreichen vergeblichen Verwandlungen erst in Gestalt einer alten Frau das Herz der Gärtnerin Pomona gewinnen.(Anm.1) Dieser Moment ist hier im Vordergrund dargestellt, wobei die männliche Identität des wandlungsfähigen Verehrers dem Betrachter nicht verborgen bleibt: Ein eng anliegender Brustpanzer und ein nacktes Bein verraten seine wahre Gestalt.
Inszeniert wird diese antike Szene vor der Kulisse eines höfischen Gartens, der an die Entwürfe des Hans Vredeman de Vries (1527–1607) erinnert.(Anm.2) Für eine Zuschreibung an diesen Künstler, wie in der vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammenden Verso-Notiz vorgenommen, ist dieser Bezug indes zu schwach. Im Vergleich mit den lebendigen, bisweilen tastend-sperrig gearbeiteten Zeichnungen Vredemans wirken Landschaft und Hintergrund des Hamburger Blattes zu glatt und dekorativ.(Anm.3) Auch die in gleicher Schrift notierte Zuschreibung an Nicolaes de Bruyn (1571–1656) ist auszuschließen. Dieser war vorwiegend als Stecher tätig; den wenigen ihm zugeschriebenen Zeichnungen fehlt der stilistische Bezug zu dem Hamburger Blatt.(Anm.4)
In gleicher Weise bezeichnet ist ein auch in Format, Technik und Stil eng verwandtes Blatt in der Fondation Custodia, „Orpheus bei den Tieren“ darstellend.(Anm.5) Auf einen gemeinsamen Urheber deuten stilistische Übereinstimmungen, etwa in der formelhaft abgekürzten Wiedergabe der Vegetation, den harten Schraffurlagen und der schematischen Wiedergabe von Händen und Füßen. Wie von Karel G. Boon für das Pariser Blatt und von Stijn Alsteens für die Hamburger Zeichnung vorgeschlagen, ist deren eher handwerklich begabter Urheber wohl im Umkreis der Antwerpener Tapisseriemanufakturen anzusiedeln.(Anm.6) Auf eine Funktion als Tapisserieentwurf deutet neben dem großen Format auch das Übertragungsraster der Hamburger Zeichnung. Das höfisch-idyllische Gepräge war für einen Wandschmuck bestens geeignet. Vermutlich dienten das Hamburger und das Pariser Blatt als „vidimus“, um einem potentiellen Auftraggeber eine Vorstellung von der geplanten Dekoration zu vermitteln.

Annemarie Stefes

1 Ovid, Metamorphosen 14, 622–771.
2 Vgl. dessen 1583 in Antwerpen bei Philips Galle publizierte Gartenfolgen „Hortorum viridariorumque“.
3 Z. B. Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Inv.-Nr. HdZ 1195, Corpus Gernsheim 63 353, oder Wien, Albertina, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 7886, Otto Benesch: Die Zeichnungen der Niederländischen Schulen des XV. und XVI. Jahrhunderts, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. 2, Wien 1928, Nr. 297.
4 Vgl. zwei Studienblätter in Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-00-594 und Inv.-Nr. RP-T-00-595, Marijn Schapelhouman: Nederlandse tekeningen omstreeks 1600, Catalogue of the Dutch and Flemish drawings in the Riksprentenkabinet, Rijksmuseum Amsterdam, Bd. 3, 's Gravenhage 1987, Nr. 20 und 21.
5 Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 1971-T.53, Boon 1978, Nr. 269, auf dem Verso oben links in brauner Feder: „Ha[n]s Vredeman Vriese / Nic. de Bruyn“, die Zuweisung an Vredeman nachträglich durchgestrichen.
6 Siehe Anm. 5; Stijn Alsteens in einer E-Mail vom 18. 1. 2009 auf Grundlage einer Digitalphotographie. Boon war die Hamburger Zeichnung unbekannt; er verwies auf den grundsätzlich verwandten Tapisserieentwurf „Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers“, 1572, New Haven, Yale University Art Gallery, Inv.-Nr. 1961.66.39 (257 x 429 mm), Egbert Haverkamp Begemann, Anne-Marie S. Logan: European Drawings and Watercolours 1500-1900 in the Yale University Art Gallery, 2 Bde., New Haven/London 1970, Nr. 513 – angesichts der etwas schlanker proportionierten Figuren wohl nicht von gleicher Hand –, bzw. eine stilistisch vergleichbare Zeichnung in Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. RF 38391 (270 x 363 mm), Emmanuel Starcky: Ecole allemande, des Anciens Pays-Bas, flamande, hollandaise et suisse XVe-XVIIIe siècles. Supplément aux inventaires publiés par Frits Lugt et Louis Demonts., Musée du Louvre, Cabinet des Dessins. Inventaire général des dessins des écoles du Nord, Paris 1988, Nr. 118.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso oben links bezeichnet: "Joan Vredeman Vriese (durchgestrichen) / Nic. de Bruyn" (Feder in Braun); unterhalb davon nummeriert: "299" (Bleistift), teilweise verdeckt von breitem Balken in rot; daneben unleserliche Beischrift: "D... rare [?]" (Bleistift); in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1234); unten links: Stempel der Sammlung van Parijs (L. 2531) mit dem Nummerierung: "386" (Feder in Braun); daneben: Stempel der Sammlung Rhodin (L. 2179); unten rechts aufgeklebter Ausschnitt

Wasserzeichen / Kettenlinien

Figur? Schwer erkennbar (=>)
ca. 22-24 mm (v)

Provenienz

Pierre Wouters (um 1702-1792), St. Gomer; dessen Auktion Brüssel 1801 (Lugt, Ventes 6327); Van Parijs (um 1800), Brüssel (L. 2531); dessen Erben; deren Auktion, Amsterdam 1878 (Lugt, Ventes 37899) ("Parc Flamand au 16e siècle...", siehe Verso-Notiz); Carl Fredrik Christian Rhodin (1821-1886), Altona bei Hamburg (L. 2179); Washington von der Hellen (1834-1900), Hamburg, Nr. 146; Gustav von der Hellen (1879-1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.653, Nr.1248

Catalogue des précieux Dessins Anciens des écoles Italienne, Francaise, Allemande, Hollandaise et Flamande, formant le Cabinet renommé délaissé par Mr. van Parijs, de Bruxelles. Suivi de deux belles collections de Gravures Anciennes, Frederik Muller, 11.-12.1., Amsterdam, 1878, S.35, Nr.271

Catalogue de la rare et nombreuse collection d'estampes et de desseins qui compoisent le cabinet de feu M. Pierre Wouters ..., 16.11., N. J. T'Sas, Brüssel 1801, S.230-231, Nr.299