Anonym (flÀmisch, 16. Jh.) Nicolaes de Bruyn, ehemals zugeschrieben
Anonym (flÀmisch, 16. Jh.) Nicolaes de Bruyn, ehemals zugeschrieben
Die Sage von Vertumnus und Pomona geht zurĂŒck auf die Metamorphosen des Ovid: Der Vegetationsgott Vertumnus konnte nach zahlreichen vergeblichen Verwandlungen erst in Gestalt einer alten Frau das Herz der GĂ€rtnerin Pomona gewinnen.(Anm.1) Dieser Moment ist hier im Vordergrund dargestellt, wobei die mĂ€nnliche IdentitĂ€t des wandlungsfĂ€higen Verehrers dem Betrachter nicht verborgen bleibt: Ein eng anliegender Brustpanzer und ein nacktes Bein verraten seine wahre Gestalt.
Inszeniert wird diese antike Szene vor der Kulisse eines höfischen Gartens, der an die EntwĂŒrfe des Hans Vredeman de Vries (1527â1607) erinnert.(Anm.2) FĂŒr eine Zuschreibung an diesen KĂŒnstler, wie in der vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammenden Verso-Notiz vorgenommen, ist dieser Bezug indes zu schwach. Im Vergleich mit den lebendigen, bisweilen tastend-sperrig gearbeiteten Zeichnungen Vredemans wirken Landschaft und Hintergrund des Hamburger Blattes zu glatt und dekorativ.(Anm.3) Auch die in gleicher Schrift notierte Zuschreibung an Nicolaes de Bruyn (1571â1656) ist auszuschlieĂen. Dieser war vorwiegend als Stecher tĂ€tig; den wenigen ihm zugeschriebenen Zeichnungen fehlt der stilistische Bezug zu dem Hamburger Blatt.(Anm.4)
In gleicher Weise bezeichnet ist ein auch in Format, Technik und Stil eng verwandtes Blatt in der Fondation Custodia, âOrpheus bei den Tierenâ darstellend.(Anm.5) Auf einen gemeinsamen Urheber deuten stilistische Ăbereinstimmungen, etwa in der formelhaft abgekĂŒrzten Wiedergabe der Vegetation, den harten Schraffurlagen und der schematischen Wiedergabe von HĂ€nden und FĂŒĂen. Wie von Karel G. Boon fĂŒr das Pariser Blatt und von Stijn Alsteens fĂŒr die Hamburger Zeichnung vorgeschlagen, ist deren eher handwerklich begabter Urheber wohl im Umkreis der Antwerpener Tapisseriemanufakturen anzusiedeln.(Anm.6) Auf eine Funktion als Tapisserieentwurf deutet neben dem groĂen Format auch das Ăbertragungsraster der Hamburger Zeichnung. Das höfisch-idyllische GeprĂ€ge war fĂŒr einen Wandschmuck bestens geeignet. Vermutlich dienten das Hamburger und das Pariser Blatt als âvidimusâ, um einem potentiellen Auftraggeber eine Vorstellung von der geplanten Dekoration zu vermitteln.
Annemarie Stefes
1 Ovid, Metamorphosen 14, 622â771.
2 Vgl. dessen 1583 in Antwerpen bei Philips Galle publizierte Gartenfolgen âHortorum viridariorumqueâ.
3 Z. B. Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Inv.-Nr. HdZ 1195, Corpus Gernsheim 63 353, oder Wien, Albertina, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 7886, Otto Benesch: Die Zeichnungen der NiederlÀndischen Schulen des XV. und XVI. Jahrhunderts, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. 2, Wien 1928, Nr. 297.
4 Vgl. zwei StudienblÀtter in Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-00-594 und Inv.-Nr. RP-T-00-595, Marijn Schapelhouman: Nederlandse tekeningen omstreeks 1600, Catalogue of the Dutch and Flemish drawings in the Riksprentenkabinet, Rijksmuseum Amsterdam, Bd. 3, 's Gravenhage 1987, Nr. 20 und 21.
5 Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 1971-T.53, Boon 1978, Nr. 269, auf dem Verso oben links in brauner Feder: âHa[n]s Vredeman Vrieseâ/âNic. de Bruynâ, die Zuweisung an Vredeman nachtrĂ€glich durchgestrichen.
6 Siehe Anm. 5; Stijn Alsteens in einer E-Mail vom 18. 1. 2009 auf Grundlage einer Digitalphotographie. Boon war die Hamburger Zeichnung unbekannt; er verwies auf den grundsĂ€tzlich verwandten Tapisserieentwurf âSzenen aus dem Leben Johannes des TĂ€ufersâ, 1572, New Haven, Yale University Art Gallery, Inv.-Nr. 1961.66.39 (257 x 429 mm), Egbert Haverkamp Begemann, Anne-Marie S. Logan: European Drawings and Watercolours 1500-1900 in the Yale University Art Gallery, 2 Bde., New Haven/London 1970, Nr. 513 â angesichts der etwas schlanker proportionierten Figuren wohl nicht von gleicher Hand â, bzw. eine stilistisch vergleichbare Zeichnung in Paris, MusĂ©e du Louvre, DĂ©partement des Arts Graphiques, Inv.-Nr. RF 38391 (270 x 363 mm), Emmanuel Starcky: Ecole allemande, des Anciens Pays-Bas, flamande, hollandaise et suisse XVe-XVIIIe siĂšcles. SupplĂ©ment aux inventaires publiĂ©s par Frits Lugt et Louis Demonts., MusĂ©e du Louvre, Cabinet des Dessins. Inventaire gĂ©nĂ©ral des dessins des Ă©coles du Nord, Paris 1988, Nr. 118.
Details zu diesem Werk
Beschriftung
Wasserzeichen / Kettenlinien
Figur? Schwer erkennbar (=>)
ca. 22-24 mm (v)
Provenienz
Pierre Wouters (um 1702-1792), St. Gomer; dessen Auktion BrĂŒssel 1801 (Lugt, Ventes 6327); Van Parijs (um 1800), BrĂŒssel (L. 2531); dessen Erben; deren Auktion, Amsterdam 1878 (Lugt, Ventes 37899) ("Parc Flamand au 16e siĂšcle...", siehe Verso-Notiz); Carl Fredrik Christian Rhodin (1821-1886), Altona bei Hamburg (L. 2179); Washington von der Hellen (1834-1900), Hamburg, Nr. 146; Gustav von der Hellen (1879-1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle
Bibliographie
Stefes, Annemarie: NiederlĂ€ndische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von GaĂner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.653, Nr.1248
Catalogue des précieux Dessins Anciens des écoles Italienne, Francaise, Allemande, Hollandaise et Flamande, formant le Cabinet renommé délaissé par Mr. van Parijs, de Bruxelles. Suivi de deux belles collections de Gravures Anciennes, Frederik Muller, 11.-12.1., Amsterdam, 1878, S.35, Nr.271
Catalogue de la rare et nombreuse collection d'estampes et de desseins qui compoisent le cabinet de feu M. Pierre Wouters ..., 16.11., N. J. T'Sas, BrĂŒssel 1801, S.230-231, Nr.299