Stefano della Bella
Vorwärtsstürmende, fliehende Frau in Seitenansicht nach links mit Varianten des ausgestreckten rechten Arms,
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Stefano della Bella

Vorwärtsstürmende, fliehende Frau in Seitenansicht nach links mit Varianten des ausgestreckten rechten Arms,

Stefano della Bella

Vorwärtsstürmende, fliehende Frau in Seitenansicht nach links mit Varianten des ausgestreckten rechten Arms

Diese und die folgende Rötelzeichnung zählen zu den eindrucksvollsten Zeugnissen della Bellas in dieser Technik. Sie belegen hinlänglich seine Fähigkeit, auch mit Rötel sehr qualitätvoll zu zeichnen. An der Eigenhändigkeit besteht keinerlei Zweifel, da sich die Studien mit della Bellas Gemälde „Der Brand von Troja“ verbinden lassen. Zudem befindet sich auf dem Verso von Inv.-Nr. 1967-354 eine für della Bella typische Federstudie einer Frau in Kostüm (vgl. Inv.-Nr. 1967-354).
Die beiden Rötelzeichnungen zeigen della Bellas Bemühen, die optimale Komposition für eine sich vorwärts bewegende Frau zu finden. Auf dem ersten Blatt (Inv.-Nr. 1967-354) probiert der Künstler deutlich unterschiedliche Positionen des rechten Arms. Auch ist die gesamte Körperkontur noch sehr unruhig. Bei der Variante (Inv.-Nr. 1967-355) ist vor allem die Kontur stärker geklärt und beruhigt. Für die Haltung des rechten Arms probiert della Bella skizzenhaft drei dicht beieinander liegende Positionen aus. Die beiden Studien belegen, wie intensiv della Bella um die Herausarbeitung von Details bemüht gewesen ist.
Während sich die Komposition mit keiner der Radierungen della Bellas verbinden lässt, können eindeutige Bezüge zu einem der wenigen gesicherten Gemälde des Künstlers hergestellt werden. So weist die weibliche Figur große Ähnlichkeit mit einer Frau im linken Vordergrund des Gemäldes „Der Brand von Troja“ auf.(Anm. 1) Übereinstimmend sind der unter dem Gewand verborgene linke Arm, der ausgestreckte rechte Arm, der leicht nach oben gezogene Kopf, die wehenden Haare und die Gewandform. In Kenntnis dieser Komposition wird della Bellas Prozess der Bildfindung noch interessanter. Dargestellt ist demnach eine aus dem brennenden Troja fliehende Frau. Mit großer Anschaulichkeit hat della Bella auf den Zeichnungen wie auch auf dem Gemälde ihre Hilflosigkeit zum Ausdruck gebracht.
Auch die brutale Mordszene am linken Rand von Inv.-Nr. 1967-355 steht mit dem „Brand von Troja“ in Zusammenhang. Sie findet sich in kleinem Format am linken mittleren Rand des Gemäldes. Demnach handelt es sich um die Ermordung eines aus der Stadt geflohenen Trojaners durch einen Griechen. Die Szene gewinnt an Grausamkeit, da es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine wehrlose Frau handelt. Wiederum stellt die Studie noch nicht die exakte Vorzeichnung dar. Doch sind die entscheidenden Züge der Komposition bereits entwickelt, so dass kein Zweifel an der Zugehörigkeit bestehen kann. Dies betrifft etwa das Ausholen des Soldaten, das seitliche Wegstrecken des rechten Beines sowie den nach oben gestreckten oder gezogenen Arm des Opfers. Della Bella hat auch hier verschiedene Haltungen – so vom rechten Arm des Täters – ausprobiert. Bei der endgültigen Ausführung hat er sich dann für die Version des erhobenen Arms entschieden und als wesentliche Änderung die Figur des Opfers zum Betrachter hin gewandt.
Angesichts der hier aufgezeigten Verbindungen kommt den beiden Rötelzeichnungen große Bedeutung zu, stellen sie doch die bislang einzigen bekannten Detailstudien für das Gemälde dar.
Formale Ähnlichkeit zu den Hamburger Rötelstudien weist eine vornehmlich mit der Feder gezeichnete Studie im Louvre auf.(Anm. 2) Sie zeigt eine mit einem großen Gewand nur halb bekleidete Frau, die ihren rechten Arm in einer Art Abwehrhaltung nach oben streckt. Vielleicht entstand auch diese Studie in Zusammenhang mit dem Troja-Gemälde. Ohne Frage weisen sämtliche Frauenfiguren den Einfluss der Florentiner Kunst des frühen 17. Jahrhunderts auf. Ähnlich erscheinen vor allem Francesco Furinis Bildlösungen im Palazzo Pitti. Auch in der feinen Verwendung des Rötels könnte dieser Künstler für della Bella anregend gewesen sein. Dies gilt auch für den ebenfalls in Florenz tätigen Cecco Bravo.
Ergänzend sei angefügt, dass für das Troja-Gemälde neben einer Federzeichnung der Gesamtkomposition in den Uffizien (Anm. 3) möglicherweise weitere Vorstudien in Hamburg (vgl. Inv.-Nr. 1967-280-282 und -2900) und München (Anm. 4) nachweisbar sind. Da diese nicht in Rötel, sondern in Feder ausgeführt sind, wäre daran erkennbar, dass della Bella verschiedene Wege der Bildfindung eingeschlagen hat.

David Klemm

1 „Der Brand von Troja“; Florenz, Gallerie Fiorentine, Depot; vgl. Francesca Romei: Ruggero e Angelica di Stefano della Bella, in: Bellesi/Romei 1997, S. 32–41, mit Abb.
2 Paris, Musée du Louvre, Départment des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 317-4; vgl. Dessins de Stefano della Bella 1610-1664. Musée du Louvre, Cabinet des dessins. Inventaire général des dessins italiens, Bd. 2., bearb. v. Françoise Viatte, Paris 1974, S. 75, Nr. 91.
3 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 279 P; vgl. Il Seicento Fiorentino. Arte a Firenze da Ferdinando I a Cosimo III, Disegno, Incisione, Scultura, Arti minori, Ausst.-Kat. Florenz, Palazzo Strozzi, Florenz 1986, S. 263, Nr. 2.223.
4 München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1918:224, S. 8.

Auf dem Verso:

Stehende Dame mit breitem, federgeschmücktem Hut

Die Zeichnung zeigt eine Frau, die in einer Mode des 16. Jahrhunderts gekleidet ist. Dies legt die Vermutung nahe, dass della Bella hier – wie auf anderen Zeichnungen des Hamburger Klebebandes – eine ältere Vorlage verarbeitet hat. Sehr ähnlich gekleidete und gezeichnete Figuren eines Mannes und einer Frau zeigt ein Blatt in München.(Anm. 1) Anna Forlani Tempesti wies darauf hin, dass die Darstellung der Gliedmaßen auffallend an ein Skelett erinnern. Denkbar ist, dass della Bella hier eine in ihrer Wirkung abschreckende Vermischung von Leben und Tod geplant hat. Diese Idee spielte in seinen weiteren zahlreichen Darstellungen zum Thema Tod jedoch keine Rolle.

1 Ebd. Vgl. auch München, Staatliche Graphische Sammlung 1918:224, S. 72.

Details zu diesem Werk

Verso

Titel verso: Stehende Dame mit breitem, federgeschmücktem Hut (um 90° gedreht)

Technik verso: Feder in Braun

Provenienz

Erworben 1967 aus Privatbesitz

Bibliographie

David Klemm: Von der Schönheit der Linie. Stefano della Bella als Zeichner, hrsg. von Andreas Stolzenburg und David Klemm, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2013, S.116-117, Abb., Nr.43

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Stefano della Bella. Katalog und Tafeln. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner und Andreas Stolzenburg, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Böhlau Verlag Köln u. a. 2009, S.47(recto) + 48(verso), Nr.167(recto) und 169(verso), Abb.Farbtafel S. 143(recto + verso)

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 13, Dr. Ernst Hauswedell & Co Verlag Hamburg 1968, S.174-175