Stefano della Bella
Sechs Frauen als Allegorien der Wissenschaften (Vorzeichnung für das Thesenblatt mit Wappen der Medici),
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Stefano della Bella

Sechs Frauen als Allegorien der Wissenschaften (Vorzeichnung für das Thesenblatt mit Wappen der Medici),

Stefano della Bella

Sechs Frauen als Allegorien der Wissenschaften (Vorzeichnung für das Thesenblatt mit Wappen der Medici)

Das Blatt zeigt sechs dicht beieinander stehende Frauen in langen Gewändern. Die beiden Figuren im Vordergrund halten in der linken Hand jeweils eine Kugel, von denen die rechte mit dem Wort „sfera“ bezeichnet ist. Die linke Frau ist zusätzlich durch einen Zirkel in ihrer rechten Hand hervorgehoben. Sie trägt, wie die Figur neben ihr einen Lorbeerkranz im Haar. Bei den anderen Begleiterinnen ist der Kopf-schmuck zurückhaltender. Links von der Gruppe ist die schemenhaft skizzierte Kuppel des Florentiner Doms erkennbar. Della Bella hat die statische Reihung der fast gleich großen Frauen durch Drehung der Köpfe und verschiedene Handgesten geschickt variiert und damit die Figuren spannungsvoll miteinander verbunden.
Das Blatt ist ein Musterbeispiel für della Bellas Zeichenstil der 1650er Jahre. Wie auf der wohl fast zeitgleichen großen Landschaft (vgl. Inv.-Nr. 1967-100) kombiniert der Künstler wirr erscheinende Kreidestriche, die nur in geringem Maße zur eigentlichen Komposition beitragen, mit variablen Federzügen, die teils als parallele Schraffuren, teils als sehr locker fließende Linien erscheinen.
Unverkennbar erinnern die Frauengestalten an Figurenerfindungen Pietro da Cor-tonas. Dies ist insofern bemerkenswert, als Einflüsse dieses herausragenden Zeit-genossen in della Bellas Werk sonst kaum auszumachen sind.(Anm. 1)
Das Blatt ist eine im Gegensinn ausgeführte Vorzeichnung für den linken Teil der Radierung „Thesenblatt mit Wappen der Medici“ (vgl. de Vesme/Massar 82).(Anm. 2) Gezeigt wird dort ein junger Mann, der auf ein Wappen der Toskana, bzw. der Medici an einem mächtigen Eichenstamm deutet. Dieses Wappen wird von einem Adler und einem Löwen flankiert und weist am unteren Rand ein Band mit der Inschrift „ORBE MAIOR“ auf. Von links nähern sich die auf der Hamburger Zeichnung dargestellten sechs Frauen. Zwischen den Frauen und dem Jüngling ist im Hintergrund die bereits auf der Zeichnung angedeutete Domkuppel zu erkennen. Aufgrund dieser Lokalisierung der Szene nach Florenz kann der rechts unterhalb des Baumes lagernde Mann als Flussgott Arno identifiziert werden.
Der Vergleich mit der Radierung zeigt, dass von der Hamburger Komposition nur an zwei Punkten abgewichen wurde: Eine Frau wurde vom Rand in die Mitte gesetzt und die mittlere Figur erhielt ebenfalls eine Kugel, so dass auf der Radierung drei Frauen eine Kugel halten. Alle anderen Änderungen betreffen kleinere Einzelheiten wie Gewandung, Haarschmuck und Kopfhaltungen.
Dank der Radierung können wenigstens zwei der dargestellten Frauen genauer bestimmt werden. So sind die beiden Kugeln auf der Radierung als Erdkugel (links) und als Darstellung des Sonnensystems („sfera“) auszumachen, wodurch ihre Trägerinnen als Allegorien der Geometrie und der Astronomie bzw. Astrologie ausgewiesen werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch die anderen Frauen trotz fehlender Attribute Allegorien der Wissenschaften darstellen.
Für den rechten Bildteil der Radierung ließ sich bislang keine Vorzeichnung nach-weisen. Die Figur des Flussgottes Arno findet sich laut de Vesme/Massar seitenverkehrt in recht ähnlicher Form auf einem Frontispiz eines Buches mit toskanischer Poesie.(Anm. 3) Die Federstudie eines nackten Beines in Hamburg (vgl. Inv.-Nr.1967-175) ähnelt seitenverkehrt in der Haltung dem linken Bein des Flußgottes, ohne dass man darin aber eine direkte Vorzeichnung sehen könnte.
Eine genaue Erklärung der Szene ist bis heute nicht möglich. Laut Mariette soll das Blatt als Thesenblatt für ein Mitglied der Familie Strozzi entworfen worden sein, wofür auch die dargestellten Allegorien der Wissenschaften sprechen.(Anm. 4) Allerdings ist ein konkretes akademisches Ereignis nicht nachweisbar. Mariette stufte die Radierung als eines der späten Werke della Bellas ein, was sich mit dem stilistischen Befund der Zeichnung deckt.

David Klemm

1 Stefano della Bella 1610-1664, Ausst.-Kat. Caen, Musée des Beaux-Arts, Paris 1998, S. 92.
2 Ebd. De Vesme/Massar 1971, S. 65, Nr. 82, stuften noch eine Radierung als ersten Druckzustand ein, auf der ein Wappen der Strozzi am Eichenbaum erkennbar ist. Die oben beschriebene Fassung mit dem Medici-Wappen wurde 1991 veröffentlicht und durch genaue technische Analyse als Ursprungsfassung bestimmt. Vgl. Andrea Rothe: Stefano Della Bella, in: The Print Quarterly 8, 1991, Nr. 2, S. 176. Das Strozzi-Wappen ist definitiv durch Austausch mit dem Medici-Wappen hinzugefügt worden. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, wann und aus welchem Grund dies geschehen ist. Della Bella selbst ist als Autor wohl auszuschließen, da es keinen Sinn macht, dass er als Protegé der Medici eine derartige Herabstufung der Herrscherfamilie vorgenommen hat. Vgl. Rothe 1991.
3 De Vesme/Massar 1971, S. 65. Vgl. Arpad Weixlgärtner: Eine von Stefano della Bella illustrierte Handschrift für Königin Christine, in: Konsthistorisk tidskrift 21, 1952, S. 100-101.
4 Vgl. Anm. 2.

Details zu diesem Werk

Provenienz

Erworben 1967 aus Privatbesitz

Bibliographie

David Klemm: Von der Schönheit der Linie. Stefano della Bella als Zeichner, hrsg. von Andreas Stolzenburg und David Klemm, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2013, S.76-77, Abb., Nr.17

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Stefano della Bella. Katalog und Tafeln. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner und Andreas Stolzenburg, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Böhlau Verlag Köln u. a. 2009, S.17-18, Nr.10, Abb.Farbtafel S. 96

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 13, Dr. Ernst Hauswedell & Co Verlag Hamburg 1968, S.174-175