Stefano della Bella
Der sogenannte Tempel der Minerva Medica (nach Giovanni Battista Mercati),
Zurück Bildinfos ➕ 🗖

Stefano della Bella

Der sogenannte Tempel der Minerva Medica (nach Giovanni Battista Mercati),

Stefano della Bella

Der sogenannte Tempel der Minerva Medica (nach Giovanni Battista Mercati)

Diese und die beiden folgenden Zeichnungen bilden innerhalb des Klebebandes eine kleine Gruppe mit Darstellungen antiker Monumente in skizzenhafter Federtechnik. Kennzeichnend sind die lockere Umrissbetonung und das Fehlen von Binnenschraffierung und Lavierung. Sämtliche Motive stammen aus Rom und ähneln hinsichtlich des Blickwinkels unzweifelhaft drei Radierungen, die Giovanni Battista Mercati (Sansepolcro 1600 – nachweisbar bis 1637 in Rom) nach eigenen Entwürfen 1629 ediert hatte. Mercatis Radierungen gehören zu der 51 teiligen Folge „Alcune vedute et prospettive di (…) Roma“.(Anm. 1) Diese Serie mit Ansichten römischer Monumente zeichnet sich weniger durch eine detailreiche Wiedergabe als durch atmosphärischen Reichtum aus. Mercati war ein Künstler bescheidener Qualität, doch gelang ihm mit dieser Serie ein wichtiger Schritt hin zu der für die Wahrnehmung Roms wichtigen Ruinenromantik. Aufgrund des frühen Publikationsdatums kommt ihm in dieser Hinsicht Bedeutung zu.
Angesichts der großen Übereinstimmung der drei Zeichnungen mit den Radierungen stellt sich die Frage, ob diese als Vorzeichnungen anzusehen sind. Bislang sind keine Vorzeichnungen Mercatis für die Serie bekannt, so dass es keinerlei Anhaltspunkte für seinen Zeichenstil gibt. Der Vergleich der Strichtechnik von Zeichnung und Radierung lässt aber den Schluss zu, dass hier völlig verschiedene Darstellungskonzepte vorliegen. Dem etwas statischen, zum Teil verdichteten Liniengefüge auf den Radierungen steht die virtuose Lockerheit der Zeichnungen gegenüber. Es ist wenig wahrscheinlich, dass beide Darstellungsformen von einer Hand stammen. Sehr wohl kann man aber diesen Zeichenstil mit für della Bella gesicherten Studien vergleichen. Beispielsweise zeigt der „Blick auf ein (römisches ?) Stadttor“ im Louvre eine ähnliche, leicht „zittrige“ Wiedergabe des Bogens.(Anm. 2) Zudem hat della Bella häufiger – so etwa bei seinen Zeichnungen nach Hans Holbein d. Jüngeren – mit lockeren, freien Federstrichen kopiert (Inv.-Nr. 1967-110). Für eine Kopie spricht letztlich auch die Seitengleichheit der Zeichnungen.
Eine Zuschreibung an della Bella erscheint vor diesem Hintergrund durchaus nahe liegend. Sie wird noch zwingender, wenn man sich den Umgang mit den Vorbildern näher ansieht: Vergleicht man della Bellas Darstellung des sogenannten Tempels der Minerva Medica mit Mercatis Vorlage, so wird deutlich, dass er den dokumentarischen Informationsgehalt der Motive noch stärker zurückdrängt. Mercatis Darstellung strebt zwar nicht die topographische Detailgenauigkeit eines Giovanni Battista Piranesi an, doch gibt er der Ansicht durch eine reiche Binnenschraffur mehr Volumen als della Bella es tut. Diesem ging es vornehmlich um die skizzenhafte Andeutung des antiken Monuments. Dabei zeichnete er derart schnell, dass er von den Fensteröffnungen im ersten Stockwerk lediglich eine deutlich darstellte. Trotz aller Flüchtigkeit ist der Charakter des Bauwerks treffend wiedergegeben. Sein ruinöser Zustand wird nicht nur durch die offene Westseite, sondern auch durch die aus den Steinen herauswachsenden Pflanzen verdeutlicht. Della Bellas leicht zittrige, offene Skizzenhaftigkeit entspricht diesem Verfallsszustand und nimmt dem Bau auch die letzte Stabilität. Die Zeichnungen belegen della Bellas Fähigkeit, ein Bauwerk mit sehr wenigen Strichen ausdrucksvoll zu skizzieren. Dieser Ansatz widerspricht Mercatis Darstellungen grundlegend, ist aber typisch für della Bellas Zeichenstil, so dass die Blätter ihm hier sicher zugeschrieben werden können.
Dass della Bella die Serie bereits früh nach deren Publikation kennengelernt hat, ist sehr wahrscheinlich, hatte Mercati sie doch dem Großherzog Ferdinando de’ Medici gewidmet.
Nicht auszuschließen ist, dass sich della Bella von der Folge zu Nachzeichnungen in der Natur anregen ließ; sehr viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass er die Vorlagen in der oben beschriebenen ihm eigenen Art kopierte bzw. interpretierte.
Mit dem Nachweis der direkten Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ansichten Roms wird einmal mehr deutlich, dass della Bella nicht nur ältere, sondern auch aktuelle Graphik zur Kenntnis nahm. Dabei ist immer wieder verblüffend, wie stark er z. T. steife Vorlagen verlebendigt.
Fraglich bleibt die Funktion derartiger Blätter. Ohne Kenntnis der Vorlagen Mercatis würde man von Studien des nach Rom gelangten Künstlers ausgehen. Ob della Bella eine eigene graphische Folge mit antiken Monumenten plante, ist spekulativ. Die von ihm herausgegebenen Ansichten Roms haben in jedem Fall nichts mit diesen Blättern zu tun.
Eine Datierung der Gruppe ist schwierig, doch ist durch das Publikationsdatum von 1629 ein terminus post quem gegeben. Die sehr freie Skizzierweise ist schon in den 1630er Jahren für della Bella nachweisbar, so dass eine Entstehung zu diesem Zeitpunkt denkbar ist; dieser Datierung entspricht auch die Reife und Unabhängigkeit im Umgang mit den Vorlagen. Eine Entstehung in der Pariser Zeit oder nach seiner Rückkehr nach Florenz erscheint dagegen wenig zwingend.
Die Hamburger Gruppe nimmt nach bisheriger Kenntnis innerhalb der Darstellungen Roms im Œuvre della Bellas aufgrund der Zeichentechnik und dem Arbeiten nach Vorbildern einen besonderen Platz ein. Diesen Zeichnungen steht eine größere Gruppe topographischer Aufnahmen gegenüber, die vor allem durch einen stärkeren Einsatz von Lavierung und Schraffuren malerischer angelegt sind.(Anm. 3)
Die vorliegende Zeichnung zeigt den auf dem Esquilin gelegenen Kuppelsaal in den Licinianischen Gärten. Er wurde spätestens seit dem 17. Jahrhundert irrtümlich als Tempel der Minerva Medica bezeichnet, da man vermutete, dass sich dort ehemals ein Standbild der Minerva mit der Schlange befunden habe.(Anm. 4)
Das in das 4. Jahrhundert nach Christi datierte Bauwerk war bis zum Einsturz der Kuppel 1828 eines der am meisten bewunderten antiken Monumente Roms. Seit dem 16. Jahrhundert avancierte der Bau zu einem gesuchten Bildmotiv. Della Bellas Darstellung zeigt den Tempel von der durch einen Einsturz geöffneten Seite im Westen von der Porta Maggiore her.(Anm. 5) Künstler bevorzugten diese Ansicht aufgrund ihres ruinösen Charakters.
Della Bella hat den berühmten Bau noch ein drittes Mal während seines ersten Rom-Aufenthaltes Mitte der 1630er Jahre festgehalten.(Anm. 6) Diese Skizze ist mit stärke-rem Einsatz von Kreide und größerem Detailreichtum deutlich unterschiedlich. Zudem ist der Blickwinkel leicht variiert.

David Klemm

1 The Illustrated Bartsch 44 (20), 12–63 (143–146). Zur Serie vgl. auch Alfredo Petrucci: Le Acqueforti romane di Giambattista Mercati, in: Dedalo 12, 1932, S. 477-489.
2 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 311.3; vgl. Dessins de Stefano della Bella 1610-1664. Musée du Louvre, Cabinet des dessins. Inventaire général des dessins italiens. Bd. 2., bearb. v. Françoise Viatte, Paris 1974, S. 63, Nr. 52.
3 Vgl. z. B. „Studien der Thermen des Caracalla und des Trajan“, Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, Gabinetto Nazionale delle Stampe, Inv.-Nr. FC 12076 und 12077; vgl. Ausst.-Kat. Fort Worth/New York/Chicago 1994, S. 146–147. Wiederholt geben auf diesen Blättern kleine Personen einen Maßstab für die Einordnung der monumentalen Dimensionen der Gebäude an. Aufgrund der Herkunft einiger dieser Blätter aus dem Santarelli-Skizzenbuch in den Uffizien ist eine Datierung dieser malerischen Studien bereits für die 1630er Jahre anzunehmen, was nicht ausschließt, dass derartige Blätter auch noch vereinzelt in den 1650er Jahren entstanden sind.
4 The Illustrated Bartsch 44 (20), 16 (144). Die Zweckbestimmung des über einem zehneckigen Grundriß errichteten Gebäudes ist nicht genau zu klären. Lange Zeit dachte man, dass es sich um ein Nymphäum gehandelt hat, doch deutet die kostbare Innenausstattung vielmehr auf einen repräsentativen Festsaal hin. Vgl. Roma Antica. Römische Ruinen in der italienischen Kunst des 18. Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund, Dortmund 1994, S. 225–227.
5 Von Interesse ist ein Vergleich mit Piranesis mehr als 100 Jahre später radierter Ansicht, die das Gebäu-de aus fast dem gleichen Blickwinkel zeigt. Piranesis detaillierte Dokumentation steht in fundamentalem Gegensatz zu della Bellas Skizzenhaftigkeit.
6 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 12552 S.

Details zu diesem Werk

Provenienz

Erworben 1967 aus Privatbesitz

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Stefano della Bella. Katalog und Tafeln. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner und Andreas Stolzenburg, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Böhlau Verlag Köln u. a. 2009, S.65-66, Nr.238, Abb.Farbtafel S. 168

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 13, Dr. Ernst Hauswedell & Co Verlag Hamburg 1968, S.174-175