Raffael (Umkreis), Zeichner
Handstudien, um 1500
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Raffael (Umkreis), Zeichner

Handstudien, um 1500

Raffael (Umkreis), Zeichner

Handstudien, um 1500

Das Blatt mit den beiden sorgfältig mit der Feder gezeichneten und mit Tusche lavierten Handstudien wurde von Georg Ernst Harzen Raffael zugeschrieben. Erstaunlicherweise blieb die Zeichnung seitdem weitgehend unbeachtet. Dies hängt wohl damit zusammen, dass sie nach Erwin Panofskys Einschätzung als Kopie nach einer verlorenen Raffaelzeichnung im Zweitbestand aufbewahrt wurde.(Anm.1) Panofsky hatte den richtigen Bezug der Studien zu der wahrscheinlich 1502 bis 1504 im Auftrag der Familie Oddi entstandenen „Marienkrönung“ des jungen Raffael hergestellt.(Anm.2) Die zusammengelegten Hände entsprechen denjenigen der Maria, wohingegen die einzelne rechte Hand derjenigen des Apostels Thomas zuzuordnen ist. Dass die Hände nicht direkt vom Gemälde kopiert wurden, ist daran erkennbar, dass beide Studien der ausgeführten malerischen Fassung sehr nahe kommen, ihr aber nicht genau entsprechen.
Während Hugo Chapman Panofskys Annahme stützt,(Anm.3) haben vor allem Achim Gnann(Anm.4) und Nicholas Turner (Anm.5) starken Einspruch dagegen erhoben. Beide betonten die hohe Qualität des Blattes und plädierten daher für eine mögliche Eigenhändigkeit Raffaels. Turner wies auf eine Zeichnung im Ashmolean Museum hin, die unabhängig voneinander von Gere und Turner sowie von Knab/Mitsch/Oberhuber 1983 Raffael zugeschrieben wurde.(Anm.6) Diese Zeichnung zeigt in ihrem linken Teil ebenfalls eine Handstudie, die in der technischen Ausführung sehr stark mit der Hamburger Zeichnung übereinstimmt. Konsequenterweise müsste diese daher auch von Raffael stammen. Hierfür spricht auch, dass die frühe Datierung der Ashmolean-Zeichnung sich sehr gut mit dem möglicherweise um 1502 entstandenen Hamburger Blatt verbinden lässt.
In der Gruppe der erhaltenen Studien Raffaels zur Marienkrönung befindet sich auch eine Zeichnung der rechten Hand des Thomas, die allerdings in Silberstift ausgeführt ist.(Anm.7) Denkbar ist also, dass Raffael die Wirkung unterschiedlicher Techniken – Umrisszeichnung versus Lavierung – ausprobieren wollte. Ebenso könnte es sich um eine eigenhändige Wiederholung Raffaels nach originalen Studien für die Marienkrönung handeln. Hierfür spricht die offensichtlich genau kalkulierte Platzierung der Hände, wodurch der Charakter eines Musterbuchblattes entsteht. Möglicherweise wollte der Künstler auf diese Weise wichtige Bilderfindungen für weitere Aufträge dokumentieren. In Abwägung der hier vorgebrachten Argumente erscheint eine vorsichtige Zuschreibung an Raffael gerechtfertigt.

David Klemm

1 Kartonnotiz. Panofskys Einschätzung stammt aus der Zeit vor seiner Entlassung aus dem Professorenamt an der Universität Hamburg 1933.
2 Zur heute im Vatikan bewahrten Marienkrönung vgl. Jürg Meyer zur Capellen: Raphael. A critical Catalogue of His Paintings. Volume I: The Beginnings in Umbria and Florence ca. 1500-1508, Landshut 2001, S. 128–137.
3 Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 18.1.2008.
4 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
5 Ebd.
6 Ashmolean Museum Oxford, Parker 32; vgl. Eckhart Knab, Erwin Mitsch, Konrad Oberhuber, unter Mitarbeit v. Silvia Ferino-Pagden: Raphael. Die Zeichnungen, Stuttgart 1983, S. 619, App. 1.
7 Lille, Palais des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 441; vgl. Eckhart Knab, Erwin Mitsch, Konrad Oberhuber, unter Mitarbeit v. Silvia Ferino-Pagden: Raphael. Die Zeichnungen, Stuttgart 1983, S. 560, Nr. 47.

Nach neuerer Einschätzung handelt es sich doch eher um eine Zeichnung nach einer verlorenen Studie Raffaels. Eine ausführlicher Erläuterung dieser neuen Position folgt im Zuge der geplanten Ausstellung der Kunsthalle.

DK

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts nummeriert: "72." (Feder in Braun); oben in der Mitte nummeriert: "2" (Feder in Braun); Spuren einer Umfassungslinie (Feder in Schwarz); auf dem Verso unten links bezeichnet: "Raphael. 8.0 9.5" (Bleistift); unten links: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

WZ (Fragment): Doppelkonturiger Kreis, darin nicht identifizierbare Formen.

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 220 (als Raffael): "Eine Hand und zwey gefaltene. fol. Feder, Seppia."; NH Ad : 01 : 03, fol. 111 (als Raffael): "Zwey zum Beten gefaltete weibliche Hände für eine Madonna, eine desgleichen, geöffnet, erstere gepauset. Feder und Bister, vortrefflich. 8.0 7.5 / [am Rand:] Papierz. v. Wagen[?]"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.311-312, Nr.455