Primaticcio (Kopist)
Odysseus schießt durch die Ringe,
Zurück Bildinfos ➕ 🗖

Primaticcio (Kopist)

Odysseus schießt durch die Ringe,

Primaticcio (Kopist)

Odysseus schießt durch die Ringe

Die Galerie des Odysseus im Schloss von Fontainebleau war die größte Leistung Francesco Primaticcios als „Surintendant des Bâtiments“ der französischen Könige: Entwurf und Ausführung umspannten einen Zeitraum von 1537 bis 1570 (vgl. Inv.-Nr. 21374).(Anm.1) Bereits kurz nach ihrer Fertigstellung wurde die 1738 zerstörte Galerie zu einem Ort künstlerischer Wallfahrt. Ihr Ruhm übertraf den der ebenfalls in Fontainebleau befindlichen Galerie Franz’ I., die wesentlich von Rosso Fiorentino geprägt worden war. Zahlreiche Künstler, wie Nicolas Poussin, haben die Fresken studiert. Rubens kopierte einige Szenen und beauftragte Theodor van Thulden damit, den ganzen Zyklus nachzustechen (publiziert 1633). In Zusammenhang mit dieser großen Popularität der Folge ist auch das Hamburger Blatt zu bewerten.
Es zeigt eine der berühmtesten Szenen aus der von Homer überlieferten Geschichte des Odysseus: den Moment, in dem der Held die an und für sich unlösbare Aufgabe bewältigt, in gebückter Haltung einen Pfeil durch eine Reihe von Ringen zu schießen (21. Gesang, 405–425).
Primaticcio hat diese Szene in einer sorgfältigen, feinen Rötelzeichnung vorbereitet, und er gab damit Nicolò dell’Abate und dessen Mitarbeitern präzise Vorgaben für die Umsetzung dieser 39. Szene der Galerie. Nach heutigem Forschungsstand wird eine Zeichnung in Liverpool als entscheidende Vorstudie angesehen, während eine demgegenüber leicht veränderte Studie in Stockholm unmittelbar danach oder sogar als Kopie entstanden sein dürfte.(Anm.2)
Im Vergleich zu diesen beiden Blättern erweist sich die Hamburger Zeichnung ohne Frage als penible und trockene Arbeit eines Kopisten. Angesichts dessen überrascht es, dass das Blatt lange Zeit als Original Primaticcios gelten konnte. Diese hohe Wertschätzung ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass sich die Zeichnung einst in der Sammlung Goll van Franckensteins befunden hat.
Auffallend ist, dass die Szene hier seitenverkehrt zu den Vorzeichnungen – und damit zum Fresko – erscheint. Denkbar ist, dass das Blatt nach einer seitenverkehrten graphischen Wiedergabe der Szene entstanden ist. Ein Vergleich mit dem Kupferstich Theodor van Thuldens nach dem Fresko ergibt jedoch zu große Unterschiede als dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte.(Anm.3) Interessanterweise hat der anonyme Künstler die Vorlage am oberen und rechten Bildrand leicht vergrößert, was vor allem zu einer stärkeren Rahmung durch die Architektur genutzt wurde. Ergänzt werden musste dabei auch der linke Fuß des Odysseus, der auf dem Fresko ganz offensichtlich fehlte. Die schwache Qualität dieses Details lässt auf einen künstlerisch weniger begabten Kopisten schließen.

David Klemm

1 Sylvie Béguin, Jean Guillaume, Alain Roy: La galerie d’Ulysse à Fontainebleau, Paris 1985; zu dieser Szene speziell S. 284–286; vgl. Primatice. Maître de Fontainebleau, Ausst.-Kat. Paris, Musée du Louvre, Paris 2004, S. 332–335.
2 Mantegna to Rubens. The Weld-Blundell Drawings Collection, bearb. v. Xanthe Brooke, Ausst.-Kat. Liverpool, Walker Art Gallery, London, British Museum, London 1998, S. 90–91.
3 Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts, ca. 1450–1700, XXX, Amsterdam 1986, Abb. S. 119.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unterhalb des Rahmens links bezeichnet: "Ulysse 13.5 9.5" (Bleistift); unten rechts auf dem Karton bezeichnet: "Abt. St. Marten" (Feder in Braun); unten rechts nummeriert: "65" (Bleistift); auf dem Verso in der Mitte bezeichnet: "1627. gekost 23 gulden" (Feder in Braun); unten links untereinander nummeriert: "38" (Feder in Braun), "9" (Feder in Braun), "N 3051" (Feder in Rot); unten in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Provenienz

Johann Goll van Franckenstein (1722-1785), Amsterdam (L. 2987); Johann Goll van Franckenstein jr. (1756-1821), Amsterdam (L. 2987); Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 218 (als Francesco Primaticcio); NH Ad : 01 : 03, fol. 104 (als Francesco Primaticcio): "Ulysses unter Athena's Schutze übt in Gegenwart der Freier seine Kunst im Bogenschießen. Sehr vollendete Feder und Röthelzeichnung. gehöht. 13.5. 9.5. Von alter Hand ist hinten bemerkt 1627 gekost 23 Gulden. Samml. Goll v Fr."; am Rand: "Rosa?"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.306-307, Nr.446