Philipp Otto Runge
Linker Fuß mit Standplatte von der Außenseite (Studie nach einem Gipsabguss),
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Philipp Otto Runge

Linker Fuß mit Standplatte von der Außenseite (Studie nach einem Gipsabguss),

Philipp Otto Runge

Linker Fuß mit Standplatte von der Außenseite (Studie nach einem Gipsabguss)

Traeger hatte unter Hinweis auf eine Lithographie Hardorffs mit der Darstellung eines linken weiblichen Fußes, die nach einem Gipsabguß entstand, Berefelts Datierung der Fußstudien in die Kopenhagener Zeit in Zweifel gezogen, doch hat Schubert darauf hingewiesen, dass solche Studien in Anlehnung an Giovanni Volpatos und Raffael Morghens 1785 erschienenem Stichwerk „Principi del Disegno“ erst in Kopenhagen direkt nach Abgüssen im Gipssaal entstanden (Anm. 1). Tatsächlich gehörten Gipsabgüsse von Füßen bereits 1748 zur Ausstattung der Kopenhagener Akademie (Anm. 2), und in einem Brief vom 26. November 1799 an Herterich hatte Runge auf die besondere Bedeutung solcher Studien nach Armen und Beinen hingewiesen: „Der erste Anfang nach Gyps zu zeichnen könnte, wie mich dünkt, immer besser gemacht werden, nämlich nach Armen und Beinen, nach Körpern oder Gefäßen, man würde dadurch nicht in dem Ausdruck mißgeleitet.“ (Anm. 3)
Runge hat nach zwei verschiedenen Abgüssen von Füßen gezeichnet, von denen einer auf einer Art Unterlage steht. Besonders auf diesen Blättern arbeitet Runge mit starken Schattierungen, die die plastische Wirkung der Darstellung steigern; besonders auffallend auf Inv. Nr. 1938-47, das gegenüber den anderen Blättern, die den Charakter von „Übungszeichnungen“ haben, mit dem farbigen Papier und der Weißhöhung den Anforderungen an das Modellzeichnen entsprach. Auf Inv. Nr. 1938-45 und Inv. Nr. 1938-46 fehlen diese starken Verschattungen, die den dargestellten Fuß in den „Grund“ einbetten; bei weitgehendem Verzicht auf Binnenzeichnung nähern sie sich der reinen Umrisszeichnung. Dies gilt auch für die Fußstudien auf Inv. Nr. 1938-43, die auf Inv. Nr. 34235 verso Umrisszeichnung erscheint, die nur noch an einzelnen Stellen durch Schattierung bzw. Binnenzeichnung akzentuiert wird.

Peter Prange

Ein weiteres, in denselben Zusammenhang gehörendes Blatt mit Fußstudien nach Gipsen befindet sich in Berlin (Anm. 4).
1 Vgl. Schubert 2013, S. 133-134. Dieses Werk war Runge aber offensichtlich bereits aus Hamburg bekannt, wo nach einer Tafel die Rückansicht eines Muskelmanns entstand, vgl. Cornelia Vagt: Gerdt Hardorff d.Ä. und sein Werk. Monographie und Katalog, Diss. Univ. Kiel 1984, S. 100; zur Zeichnung vgl. Traeger 1975, S. 270, Nr. 86 g.
2 Jan Zahle: Wiedewelt and Plaster Casts in Copenhagen, in: Johannes Wiedewelt. A Danish Artist in Search of the Past, Shaping the Future, hrsg. von Marjatta Nielsen/Annette Rathje, Kopenhagen 2010, S. 130. Ein Gemälde Joachim Ferdinand Richardt, Atelier in der Akademie, Öl/Lw, 41.9 x 47,1 cm, Kopenhagen, Thorvaldsens Museum B 284, zeigt die Aufstellung der Abgüsse von Händen und Füßen in Regalen, vgl. . Jan Zahle: Antiksalen, Figursalen, Museet, in: Spejlinger i gips, Udstilling på Det Kongelige Danske Kunstakademi, Billedkunstskolerne og Danmarks Kunstbibliotek, Sammlingen af Arkitekturtegninger, Kopenhagen 2004, S. 156, Nr. 27, Abb.
3 Vgl. HS II, S. 33.
4 Zwei Ansichten der Innenseite eines Fußes, schwarze Kreide, 387 x 299 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 13, vgl. Traeger 1975, S. 275, Nr. 100 a, Abb.

1938-46 verso, Wendeltreppe (Traeger 100 e)
Da die Akademie für das Erlernen der Perspektive und der Geometrie nur begrenzt Möglichkeiten bot, nutzte Runge schon bald nach seiner Ankunft in Kopenhagen laut Daniel „eine sich darbietende Gelegenheit zur Erweiterung seiner Kenntniß in der Perspectiv“ (Anm. 1), und zeichnete „nach Körpern“ (Anm. 2), obwohl seine akademischen Lehrer ihm vom Studium der Perspektive und Anatomie abgeraten hatten (Anm. 3). Runge nahm Privatunterricht – möglicherweise bei dem Theatermaler Dietrich, der später auch Mitglied in Runges Privatakademie wurde (Anm. 4) - wo er sich mit typischen Aufgaben der perspektivischen Konstruktion beschäftigte, wie sie die Lehrbücher der Zeit vorgaben: „Noch im Winter legte er sich mit Eifer auf das Studium der Geometrie nach dem Euklides von Lorenz, so wie der Perspectiv nach Lambert“ (Anm. 5), so dass er Ende des Jahres im Stande war, „ein Kreuzgewölbe, eine Windeltreppe, eine Kugel usw. in Perspectiv legen“ konnte (Anm. 6).
In den Zusammenhang dieser privaten Übungen gehört auch die Rückseite von Inv. Nr. 1938-46, auf der sich die in Bleistift und Feder ausgeführte Konstruktion einer Wendeltreppe befindet. Sie steht einer weiteren perspektivischen Konstruktion einer Wendeltreppe in der Sammlung Vötterle nahe (Anm. 7), die vollständig ausgearbeitet ist. In der Sammlung Vötterle befinden sich insgesamt 13 Konstruktionszeichnungen mit Darstellungen von Stelen und Postamenten, Gewölben, Säulenstümpfen und anderen Architekturteilen (Anm. 8), die aus einem 15 Blatt enthaltenden Konvolut stammen, das 1938 bei Boerner versteigert wurde (Anm. 9). Neben den 13 Blättern und zwei weiteren aus der Versteigerung 1938 stammenden, bis heute aber vermissten Zeichnungen (Anm. 10) befindet sich noch ein Blatt in Berlin, das die Konstruktion einer Giebelwand und eines Kegels zeigt (Anm. 11).
Es ist wahrscheinlich, dass die Konstruktionszeichnungen nach Vorlagen entstanden, doch konnten diese bisher nicht ausfindig gemacht werden. Die von Runge erwähnten Werke von Lorenz und Lambert enthalten keine entsprechenden Kupferstichbeilagen; möglicherweise fertigte Runge seine Zeichnungen nach weiteren Werken zur Geometrie und Perspektive an, um die Runge Daniel am 31. Dezember 1799 gebeten hat (Anm. 12).
Runges analytische Bestrebungen trieb er auch im darauffolgenden Jahr voran, als er im Oktober 1800 mit seinen Studienkollegen Christian August Böhndel, Johann Gottfried Eiffe, Krohn und Dietrich eine sogenannte Privatakademie gründete (Anm. 13), die vor allem dem Theoriemangel an der Akademie abhelfen sollte. „[…] ich habe jetzt einen Stubencumpan aus Hamburg und dann meinen Freund Böhndel, wir haben unsre Winterabende so eingetheilt: Bis 7 Uhr wird auf der Akademie gezeichnet, dann gehen wir zu Hause und essen Butterbrod, und dann wird Montags, Mittwochs und Freytag Geometrie, und weiterhin diese, angewandt auf die Perspectiv getrieben, wobey ich vorerst der Präsident bin, weil ich sie schon vorigen Winter geübt habe; Dienstags und Sonnabends die Geschichte; Donnerstag ist frey, oder wird auch den schönen Wissenschaften gewidmet.“ (Anm. 14) Die dortige Schulung in Perspektive und Geometrie befähigte ihn später zur Bewältigung komplexerer Bildlösungen wie die Raumkonstruktion bei der „Wiederkehr der Söhne“ (vgl. Inv. Nr. 1938-73 verso), und als Runge im Januar 1801 feststellte, dass seine Gedanken mit den Lösungen zu einer der Preisaufgaben des Weimarer Wettbewerbs 1800 übereinstimmten, hielt er dies für ein Verdienst der Privatakademie, durch die er in dem „Theil der Theorie, auf die es hier ankommt“ (Anm. 15), gefördert worden sei.
1 HS II, S. 452.
2 Brief vom 26. November 1799 an Herterich, vgl. HS II, S. 32.
3 Brief vom 31. Dezember 1799 an Daniel, vgl. HS II, S. 37.
4 Vgl. Regina Schubert: Runges Lehrzeit an der Kopenhagener Akademie, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S. 139.
5 HS II, S. 453. Bei den von Daniel angegebenen Traktaten dürfte es sich um Euklid‘s Elemente Funfzehn Bucher, aus dem Griechischen übersetzt von Johann Friedrich Lorenz, Halle 21798, und Johann Heinrich Lambert: Die Freye Perspective, oder Anweisung, jeden perspectivischen Aufriß von freyen Stücken und ohne Grundriss zu verfertigen, Zürich 1759, handeln.
6 Brief vom 31. Dezember 1799 an Daniel, vgl. HS II, S. 38.
7 Perspektivische Konstruktion einer Wendeltreppe, Feder und Pinsel in Grau und Schwarz, 304 x 238 mm, Privatbesitz, vgl. Traeger 1975, S. 277, Nr. 101 f, Abb.
8 Vgl. Traeger 1975, S. 276-278, Nr. 101 a-101 m, Abb.
9 Aukt.-Kat. Boerner 1938, Nr. 118.
10 Traeger 1975, S. 279, Nr. 101 n und Nr. 101 o.
11 Perspektivische Konstruktion einer Giebelwand und eines Kegels, Feder in Braun und Schwarz, Pinsel in Grau, 402 x 312 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 15, vgl. Traeger 1975, S. 279, Nr. 101 p, Abb.
12 Brief vom 31. Dezember 1799 an Daniel, vgl. HS II, S. 38.
13 Brief vom 11. Oktober 1800 an Daniel, vgl. HS II, S. 57-58.
14 Brief vom 30. August 1800 an den Vater, vgl. HS II, S. 55.
15 Brief vom 18. Januar 1801 an Erwin Speckter, vgl. HS II, S. 63.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links von der Hand Daniel Runges datiert: "1799" (Feder in Braun; wohl beschnitten; um 90 Grad gedreht)

Wasserzeichen / Kettenlinien

"J Kool Pro Patria"

Verso

Titel verso: Konstruktionszeichnung einer Wendeltreppe

Technik verso: Bleistift

Provenienz

Nachlass des Künstler; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; wohl als deren Geschenk an ihren Enkel Paul Runge (1835-1899), Berlin (Sohn des Otto Sigismund Runge (1806-1839); Philipp Otto Runge (1866-1925; Sohn des Vorigen), Berlin; Hans Runge (1900-?; Sohn des Vorigen), Berlin (bis 1938); erworben 1938 von C. G. Boerner, Leipzig

Bibliographie

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.146, 275-276, Nr.100e, Abb. recto und verso

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe, Bd. 18, Dr. Ernst Hauswedell & Co Verlag Hamburg 1973, S.125-154

Deutsche Handzeichnungen der Romantikerzeit. Deutsche Graphik des frühen XIX. Jahrhunderts. Deutsche Zeichnungen der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, Auktion 199, 25. 5. 1938, C. G. Boerner, Leipzig 1938, S.15, Nr.132