Philipp Otto Runge
Lichtlilie und Musika mit den Eckfüllungen des Binnenbildes (Studie zum Gemälde "Der kleine Morgen"), 1808
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Philipp Otto Runge

Lichtlilie und Musika mit den Eckfüllungen des Binnenbildes (Studie zum Gemälde "Der kleine Morgen"), 1808

Philipp Otto Runge

Lichtlilie und Musika mit den Eckfüllungen des Binnenbildes (Studie zum Gemälde "Der kleine Morgen"), 1808

Das Blatt zeigt den oberen Teil des Binnenbildes mit der Lichtlilie und den musizierenden Engel, auf dem wie auf der Konstruktionszeichnung Inv. Nr. 34184 die ganzfigurige Dreiergruppe unter dem Morgenstern erscheint. Schümann (Anm. 1) hatte deshalb das Blatt als Vorstudie zur Gesamtkomposition in Berlin (Anm. 2) bezeichnet, auf der anstelle der Dreiergruppe drei Cherubsköpfe erscheinen, doch muss dies nicht zutreffend sein, denn Runge hat offensichtlich beide Formen des oberen Abschlusses gleichzeitig nebeneinander erprobt. Daniel erwähnt eine Reihe von Ölstudien zu beiden Fassungen des „Morgens“: „[…]; vor allen eines, welches die Lilie mit der Musica vollständig enthält, die einzelnen Figuren in verschiedenen harmonischen Farben, der Luftton grau statt blau; ein anderes auf ganz dunkelblauem Grunde die Lilie und Staubfäden mit allen Figuren; sämmtlich und alles gelb in gelb gemahlt (allen fehlen noch die Haupthaare), mit 2 Figuren aus der Musica mit lebhaftem Roth an ihren Flügeln; ferner giebt ein Bild nur die drey Staubfädenkinder mit dem Morgenstern über sich und unter denselben eine schwache Andeutung der Lilie (als der Künstler hernach in dem kleineren Gemählde des Ganzen diese drey Kinder in bloße drey Engelsköpfe verwandelt hatte, ließ er sich durch die Vorliebe des Herausgebers für die ganzen drey Figuren bewegen, solche in dem großen Bilde, nur in breiterer Ausladung, wieder aufzunehmen); die Lilie und Musica mit der oberen Hälfte der Venus; die Venus mit dem ganzen Vorgrunde; die Venus allein; der vordere Knabe rechts im Vorgrunde; noch ein Blatt Vorgrund; zwey Studien bloß von den Lufttönen am Horizont.“ (Anm. 3) Daniel weist darauf hin, dass Runge auf seinen Wunsch hin im „Großen Morgen“ zur ganzfigurigen Dreiergruppe der Engel zurückkehrte, doch ist das vorliegende Blatt nicht auf die zweite fassung zu beziehen, was – darauf hat Traeger hingewiesen – nicht nur durch die Art der Umarmung der Dreiergruppe nahegelegt wird, sondern auch durch den linken, Triangel schlagenden Engel, dessen Oberkörper noch nicht zum Betrachter gedreht ist.
Runge hat offensichtlich die ganzfigurige Dreiergruppe und die Cherubsköpfe gleichzeitig erprobt, und auch Inv. Nr. 34186 dürfte Ausdruck dieses Nebeneinanders beider Fassungen sein. Die Komposition beansprucht nicht nur durch die durchgehende Rahmung eine bildliche Eigenständigkeit; auch die Tatsache, dass sie nicht in der Aurora sondern in dem ungewöhnlichen Motiv eines Flammensterns (?) – wohl eine Anspielung auf die flammenartig züngelnden Haare der Aurora – endet, sowie die symmetrische Anordnung der Wolken, die vor allem in der Mitte die nur mit dem Bleistift angedeuteten Blätter der Lilie überlagern, sorgen für eine bildliche Geschlossenheit, die auf eine eigenständige Komposition deutet. Waetzoldt hat deshalb zu Recht geschlossen, dass sich um die Vorzeichnung für eine der von Daniel erwähnten, doch durchweg nicht erhaltenen Ölstudien handelt (Anm. 4). Möglicherweise handelt es sich um die von Daniel erwähnte Ölskizze, „welche die Lilie mit der Musica vollständig enthält.“ (Anm. 5) Aufgrund der unterschiedlichen zeichnerischen Behandlung in dem Blatt sah Waetzoldt es vor allem als eine Studie für die oberen Ecken mit den maßwerkartig durchbrochenen Knospen und Engelsköpfen an, die als einzige mit dem Pinsel plastisch herausgearbeitet sind. Tatsächlich entfaltet das Maßwerk der Eckfüllungen gegenüber der eher flächigen Wirkung der Berliner Gesamtkomposition eine körperhafte Plastistzität, die an die Lithographie Speckters erinnert (Anm. 6).

Peter Prange

1 Schümann, in: Kat. Hamburg 1969, S. 285, Nr. 3 c.
2 Der Morgen, Bleistift, Feder in Schwarz, Pinsel in Grau und Schwarz, 422 x 334 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 1, vgl. Traeger 1975, S. 424-425, Nr. 395, Abb.
3 Vgl. HS I, S. 235.
4 Waetzoldt 1951, S. 143-144.
5 Vgl. Anm. 3.
6 Vgl. Bertsch, in: Kosmos Runge 2010, S. 166.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1808" (Feder in Grau); oberhalb davon nummeriert: "19" (Bleistift); oben rechts bezeichnet: "(Drawing [...] Royal" (Feder in Braun)

Wasserzeichen / Kettenlinien

"E & P / 1801"

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz der Witwe Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856; Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.166, 388, Nr.120, Abb., Abb.S. 172

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge. Die Zeiten - Der Morgen, hrsg. von Uwe M. Schneede, Hamburg 1997, S.47, Abb.23 auf S. 30

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge- Der denkende Zeichner, in: Kunsträume. Die Länder zu Gast in der Nationalgalerie Berlin, Berlin 1987, S. 21-52, S.26, Nr.20, Abb.S. 49

Willi Geismeier: Die Malerei der deutschen Romantiker, Dresden 1984, S.479, Abb.Taf. 31

Doris Krininger: "Der Morgen" - Prinzip Weiblichkeit als Quelle gesellschaftlicher Utopie - Zu Philipp Otto Runges universalem Kunst- und Weltentwurf, Marburg, Univ., Mag.-Arb. 1980, S.146, Anm. 31, VIII, X

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge oder die Geburt einer neuen Kunst, München 1977, S.59, Abb.56 auf S. 49

Gerhard Kolberg: Die Funktion der Bildrahmung und ihr Verhältnis zur Bildgestaltung der Malerei und Grafik der deutschen Romantik, Diss. TU Berlin 1977, S.43, Abb. 17

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.134, 152, 429, Nr.402, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 2: Johann Friedrich Overbeck (1798-1869) bis Christian Xeller (1784-1872), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973, S.1991, Abb.S. 1537

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969, S.285, Nr. 3 c

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.24-25, Nr.147

Waetzold, Stephan: Philipp Otto Runges "Vier Zeiten", Hamburg, Univ., Diss. 1951, S.127, 143-144, Abb.43

Christian Adolf Isermeyer: Philipp Otto Runge, Die Kunstbücher des Volkes, Bd. 32, Berlin 1940, S.132

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.36, Nr.67

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.48