Philipp Otto Runge
Entwurf für den rechten oberen Rahmenteil des Morgens (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809
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Philipp Otto Runge

Entwurf für den rechten oberen Rahmenteil des Morgens (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809

Philipp Otto Runge

Entwurf für den rechten oberen Rahmenteil des Morgens (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809

Das Blatt stellt einen Entwurf zu dem geflügelten Genius dar, der oben rechts in der Rahmenkomposition auf der Lilienblüte sitzt. Die unter der Federzeichnung liegende Bleistiftkonstruktion der Blüte verdeutlicht deren räumliche Entfaltung als unregelmäßiges Hexagon. Gegenüber dem „Kleinen Morgen“ winden sich um den Lilienstengel stilisierte, in ihrer zeichnerischen Prägnanz an die Scharflinigkeit des Kupferstichs erinnernde Blätter, die Traeger als Löwenzahn identifizierte. Das darunter liegende, bisher unidentifizierte Blatt, das als Basis dient, ist in seinem völlig symmetrischen Aufbau noch stärker stilisiert, weshalb man an eine Entnahme aus einem Ornamentstichwerk denken könnte (Anm. 1). Waetzoldt hatte ihre Einführung mit der Vermeidung zu großer Leerflächen begründet, die sich sonst bei dem größeren Format ergeben hätten (Anm. 2). In diesem Entwurfsstadium sah Runge offensichtlich eine klarere Unterscheidung der einzelnen Abschnitte der Rahmenkomposition vor, die wohl aus seinem Wunsch nach stärkerer Stilisierung erklärbar wird.
Die Gestalt des auf der Lilienblüte sitzenden Genius hat Runge aus dem „Kleinen Morgen“ übernommen, doch ist er nun tiefer hinabgeneigt, so dass er sich mit dem Ellenbogen auf seinem Knie aufstützt. Dieses Detail hat auch eine leichte Veränderung der Blickrichtung zur Folge, sein Blick richtet sich nicht mehr auf die Kopfleiste sondern auf das aufgehende Morgenlicht im Binnenbild (Anm. 3).
Auf der Rückseite hat Runge die sich durchdrückenden Konturen des Federstrichs mit Bleistift nachgezogen. Offensichtlich wollte Runge das Blatt als Karton für beide Seiten der symmetrisch aufgebauten Rahmenkomposition verwenden, in der die nachgezogene Bleistiftzeichnung als Vorlage für den linken Genius dienen sollte. Angesichts des langwierigen Arbeitsprozesses erscheint es denkbar, dass Runge auf diese Weise beabsichtigte, die einzelnen Arbeitsschritte zu rationalisieren, doch ist auch nicht auszuschließen, dass die Nachzeichnung auf der Rückseite in einer Art Um- bzw. Abdruckverfahren ähnlich wie die an einzelnen Blättern sichtbaren Rötelspuren als Vorlage zur Übertragung dienen sollte.

Peter Prange

1 Bertsch, in: Runge 2010, S. 194.
2 Waetzoldt 1951, S. 159.
3 Waetzoldt 1951, S. 159; vgl. dagegen Traeger 1975, S. 469, Nr. 503, der die Blickänderung damit begründet, „dass der Anblick des ewigen Gottes auch für die aufgetsiegene Seele nicht zu ertragen ist.“

Details zu diesem Werk

Verso

Titel verso: Der linke (?) geflügelte Genius auf der Lilie (Durchzeichnung der Vorderseite?)

Technik verso: Bleistift

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz der Witwe Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856; Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.194, 390, Nr.152, Abb., Abb.S. 202

Pauline Kintz: Alles was wir sehen, ist ein Bild. Philipp Otto Runge in het licht van de vroeg-romantische poezietheorie van Friedrich Schlegel en Novalis, Delft 2009, S.225, Abb., Abb.12.34

Andreas Gruschka: So nah und doch so fern. Philipp Otto Runges gesteigerte Wirklichkeit der Kinder. Eine Entdeckungsreise durch die Bilderwelten Runges und seiner Zeit., Wetzlar 2008, S.190, Abb.29 auf S. 75 (Ausschnitt)

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge. Die Zeiten - Der Morgen, hrsg. von Uwe M. Schneede, Hamburg 1997, S.5, 46, Abb.5 auf S. 9

Philipp Otto Runge. Caspar David Friedrich. Im Lauf der Zeit, hrsg. von Andreas Blühm, Ausst.-Kat. Van Gogh Museum, Amsterdam, Zwolle 1996, S.14, 100, Nr.40, Abb.Taf. 40 auf S. 63, S. 101

Ute Blaich: Philipp Otto Runge. Die Hülsenbeckschen Kinder, Hamburg 1995, S.79, Abb.

Jens Christian Jensen: Malerei der Romantik in Deutschland, Köln 1985, S.144, Abb.36 auf S. 36

Doris Krininger: "Der Morgen" - Prinzip Weiblichkeit als Quelle gesellschaftlicher Utopie - Zu Philipp Otto Runges universalem Kunst- und Weltentwurf, Marburg, Univ., Mag.-Arb. 1980, S.XVII

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.133, Abb.Abb. 67, S. 65

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge oder die Geburt einer neuen Kunst, München 1977, S.66, 152, 154, Abb.81 auf S. 67

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.219, Nr.202, Abb.

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.168, 469, Nr.503, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 2: Johann Friedrich Overbeck (1798-1869) bis Christian Xeller (1784-1872), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973, S.1991, Abb.S. 1549

Traeger, Jörg: Rezension zu Bisanz, Kunstchronik 25 1972, , S.402

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969, S.286, Nr. 3 l

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, Abb.106

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.24, 27, Nr.166

Johannes Linke: Philipp Otto Runge, in: Die Neue Schau, Kassel/ Basel 1952, S. 5-7, Abb.S. 6

Ragué, Beatrix von: Das Verhältnis von Kunst und Christentum bei Philipp Otto Runge, 1950, S.126 Anm. 2

Ich weiß eine schöne Blume. Scherenschnitte von Philipp Otto Runge. Mit Gedichten der Zeit., hrsg. von Paul Brockhaus, Brüssel 1943, Abb.nach S. 50

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runge. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, hrsg. von Karl Privat, Berlin 1942, Abb.S. 256

Carl von Lorck: Philipp Otto Runge. Sechzig Bilder (ohne Paginierung), Königsberg 1939, Abb.o. S.

Meisterwerke der Romantik, Ausst.-Kat. Kunsthalle Hamburg 2. November- 31. Dezember, Hamburg 1935, Nr.23

Meisterwerke der deutschen Romantik. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e. V., Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1935, Nr.23

Paul Ferdinand Schmidt: Philipp Otto Runge, der Maler der Romantik, in: Velhagen und Klasings 2, Berlin u. a. 1925/26, Jg. 40, S. 417-432, Abb.S. 426

Paul Ferdinand Schmidt: Philipp Otto Runge. Sein Leben und sein Werk, hrsg. von Karl Scheffler, Curt Glaser, Deutsche Mesiter, Leipzig 1923, Abb.o. S.

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.38, Nr.91, Abb.Taf. 30

Dirksen, Victor: Philipp Otto Runge, die Tageszeiten (Der Kunstbrief 14), Berlin (1944), , S.9, 15, Abb.11

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.172, 231