Philipp Otto Runge
Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1805 - 1806
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Philipp Otto Runge

Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1805 - 1806

Philipp Otto Runge

Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1805 - 1806

Das Blatt hat Daniel als Nr. 2 unter den Arbeiten zur „Ruhe auf der Flucht“ aufgelistet und wie folgt beschrieben: „Zeichnung davon auf weißem Papier, in genauen Federumrissen. Das Thier, welches die heiligen Reisenden bis dahin getragen, steht an der äußersten linken Seite im Vorgrunde, Disteln fressend, den Sattel hoch auf dem Rücken. Joseph, sehr ermüdet, hat sich zunächst hingelagert, und rührt mit dem Stabe in einem angezündeten kleinen Kohlenfeuer unten in der Mitte des Bildes. Gleich darüber liegt auf dem Rücken das Christkindlein unter Blumen, wovon es einen Theil in den rechten Arm faßt, den andern in die Höhe hebt, wo er von dem Lichte des heitern Hintergrundes beschienen wird. Links sitzt Maria, zu dem Kinde herabsehend mit gefalteten Händen, Büsche mit aufgeblühten Rosen und Dattelpalmen beugen sich hinterwärts über sie hin. Ueber ihr steht ein Baum mit großen Blättern und entfalteten weißen Blumen, und in den Zweigen sitzen Engelknaben, theils mit Blumen von dem Baum, theils mit Tonwerkzeugen in den Händen. Der Hintergrund zeigt in weiter Aussicht das Nilthal, mit flachen Inseln, Pyramiden und Gebäuden.“ (Anm. 1)
Runge hat die Landschaft durch die Architekturversatzstücke Pyramide, Obelisk und Säulenkolonnade zwar als „ägyptisch-orientalisch“ gekennzeichnet, doch trägt sie unverkennbar die Züge einer nordischen Küstenlandschaft (Anm. 2). Insgesamt ist der nordische Charakter der Komposition hervorgehoben worden, Pinder etwa fühlte sich an Altdorfer (Anm. 3), Isermeyer an Darstellungen desselben Themas von Cranach und Wolf Huber erinnert (Anm. 4), doch dürfte vor allem die Figur Josephs mit dem hinter ihm fressenden Esel auf nordische Anregungen wie etwa Lucas van Leydens Kupferstich von 1508 „Ruhe auf der Flucht“ (Bartsch 38) zurückgehen (Anm. 5). Auf Martin Schongauers Kupferstich desselben Themas (Bartsch 7) findet sich auch bereits das Motiv des von Engeln belebten Palmenbaumes (Anm. 6). Über einzelne motivische Anregungen ist es auch der Stellenwert der Landschaft innerhalb der Komposition, die das Blatt mit nordischen Traditionen verbindet, doch auch die zeichnerische Ausfertigung knüpft daran an. Die Umrisszeichnung, deren Qualität Daniel gegenüber Inv. Nr. 34152 weitaus höher einschätzte (Anm. 7), entwickelt in der präzisen und detaillierten Strichführung, in der graphische Mittel wie Parallelschraffuren und Kreuzlagen zur Angabe der Binnenzeichnung dienen, besonders in der Figurenzone eine bildliche Präsenz, die an altmeisterliche Kupferstiche erinnert. Daniels Urteil ist sicher vom Zeitgeschmack und der Bevorzugung der Umrisszeichnung in der Art Flaxmans geprägt, doch schafft Runge über die flächenhafte Wirkung des Umrisses hinaus besonders in den Verschattungen ein geordnetes, gleichwohl durchsichtiges Liniensystem, das an die Klarheit eines Kupferstichs denken lässt (Anm. 8).
Es wird allgemein davon ausgegangen, dass das Blatt dem Gemälde als letzter Entwurf unmittelbar vorausging, obwohl zwischen Gemälde und Zeichnung einige Unterschiede bestehen. Diese Änderungen betreffen vor allem die Haltung des Jesuskindes, das sich auf seinen rechten Ellenbogen stützt und sich dem Betrachter zuwendet (Anm. 9), während die in Anbetung versunkene Maria die Hände aneinander gelegt hat. Die von Traeger bemerkte unterschiedliche Anzahl von Engeln in dem Blütenbaum (Anm. 10) ist allerdings dem unvollendeten Zustand des Gemäldes geschuldet; auf der als Umriss ausgeführten Unterzeichnung sind beide Engel mit Geige und Schalmei auf dem Gemälde (Anm. 11) sichtbar. Trotzdem kann es sich bei Inv. Nr. 34258 nicht um die unmittelbare Vorzeichnung im Sinne eines Kartons handeln, obwohl das Blatt quadriert ist. Auch wenn es dafür bisher keinen Beleg gibt, erscheint es im Gegensatz zu Traeger (Anm. 12) sehr wohl möglich, dass es sich bei dem Blatt um die Vorlage für eine Umrissradierung oder Lithographie gehandelt haben könnte (Anm. 13). Am Blatt selbst sind allerdings keine Spuren erhalten, die darauf hinweisen könnten, dass das Blatt als Vorlage für eine Druckgraphik diente.

Peter Prange

1 Vgl. HS I, S. 246-247.
2 Isermeyer 1940, S. 109, vermutet eine Küstenlandschaft auf Rügen, die durch Jakob Philipp Hackerts Rügen-Radierungen angeregt zu sein scheinen.
3 Wilhelm Pinder: Die Romantik in der deutschen Kunst um 1500, in: Das Werk des Künstlers 1, 1939/40, S. 27.
4 Isermayer 1940, S. 109.
5 Vgl. Berefelt 1961, S. 137, Anm. 1, Abb. 91.
6 Vgl. Berefelt 1961, S. 137, Anm. 1, Abb. 90.
7 Vgl. HS I, S. 247.
8 Hohl, in: Runge 1977, S. 175.
9 Klemm 2013, S. 265, Abb. 13, verweist für die Figur des Jesuskindes auf Francesco Bartolozzis 1765 entstandene Radierung nach Marcantonio Franceschinis „Bacchanal der Kinder“.
10 Traeger 1975, S. 384.
11 Die Ruhe auf der Flucht, Öl/Lw, 96,5 x 129,5 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1004, vgl. Traeger 1975, S. 386, Nr. 322, Abb.
12 Traeger 1975, S. 384.
13 Diese Vermutung bereits ausgesprochen von Schümann, in: Kat. Hamburg 1969, S. 280.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Maßstab entlang der schwarzen Mittellinie: "5, 10, 15, 20, 25" (Feder in Schwarz)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts, Archiv Nr. 307, Catalog der Sammlung des Kunst-Vereins in Hamburg, S. 110, Nr. 495 bb 1/5.: "5 Bt. die Flucht nach Ägypten. Hamburg 1805/6. ... 1, Zeichnung des ganzen Bildes, Federumriß. qImpfol."); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

David Klemm: Runge und die italienische Kunst, in Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner, Jenns Howoldt, München 2013, S.266, Abb. 12 (Detail)

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.224, 391, Nr.176, Abb., Abb.S. 226

Thomas Lange: Das bildnerische Denken Philipp Otto Runges, Berlin. München 2010, S.217, Abb.83 auf S. 216

Thomas Lange: „Landschaft“ als erste Erprobung der Abstraktion, in: Landschaft am „Scheidepunkt“. Evolutionen einer Gattung in Kunsttheorie, Kunstschaffen und Literatur um 1800, hrsg. von Markus Bertsch/Reinhard Wegner, Göttingen 2010, S.277, Abb. 6

Lange, Thomas: Das bildnerische Denken Philipp Otto Runges (1777-1810), München 2006, S.270, Abb.96

Susanne Strasser-Klotz: Runge und Ossian. Kunst, Literatur, Farbenlehre, Diss., Regensburg 1995 (http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv?idn=975068997&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=975068997.pdf), S.105

Sarah Symmons: Flaxman and Europe. The Outline Illustrations and their Influence, New. York, London 1984, S.215, Abb.Taf. 66

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runge. Die Begier nach der Möglichkeit neuer Bilder. Briefwechsel und Schriften zur bildenden Kunst, hrsg. von Hannelore Gärtner, Leipzig 1982, S.203, Abb.o. S.

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.132, Abb.46 auf S. 49

Runge. Fragen und Antworten, hrsg. von Hanna Hohl, München 1979, S.13

Philipp Otto Runge Caspar David Friedrich aus der Hamburger Kunsthalle, dem Kunsthistorischen Museum und der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, Ausst.-Kat. Oberes Belvedere, Wien 1978, S.104-105, Nr.58, Abb.S. 105

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.180, Nr.149, Abb.

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.109, 152, 175, 385-386, Nr.321, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Sigrid Hinz: Philipp Otto Runge, Berlin 1973, S.30, Abb.S. 31

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 2: Johann Friedrich Overbeck (1798-1869) bis Christian Xeller (1784-1872), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973, S.1991, Abb.S. 1563

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969, S.280

Idee und Vollendung, Ausst.-Kat. 16. Ruhrfestspiele Recklinghausen, Städtische Kunsthalle, Recklinghausen 1962, S.134, Nr.55-56

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.162, 205, Anm. 8, Abb.89

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.14, Nr.79

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runge. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, hrsg. von Karl Privat, Berlin 1942, Abb.S. 201 (Ausschnitt)

Christian Adolf Isermeyer: Philipp Otto Runge, Die Kunstbücher des Volkes, Bd. 32, Berlin 1940, S.129

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.299, Abb.Taf. 23, Nr. 1

Charlotte Hintze: Kopenhagen und die deutsche Malerei um 1800, München 1937, S.68

Meisterwerke der Romantik, Ausst.-Kat. Kunsthalle Hamburg 2. November- 31. Dezember, Hamburg 1935, Nr.5

Meisterwerke der deutschen Romantik. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e. V., Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1935, Nr.5

Paul Ferdinand Schmidt: Philipp Otto Runge. Sein Leben und sein Werk, hrsg. von Karl Scheffler, Curt Glaser, Deutsche Mesiter, Leipzig 1923, S.30, Abb.o. S.

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.41, Nr.126

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.48

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.246-247