Philipp Otto Runge
Die Nacht (Tageszeiten), 1803
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Philipp Otto Runge

Die Nacht (Tageszeiten), 1803

Philipp Otto Runge

Die Nacht (Tageszeiten), 1803

Am 30. Januar 1803 schrieb Runge an Daniel: „Die Nacht ist auf folgende Weise vorgestellt: unten steht in der Mitte eine aufgeschlossene Sonnenblume. Auf den Seiten beugen sich Feuerlilien heraus. Ueber der Sonnenblume giebt’s so kleine Sternblumen, die wie gelbe Funken davon fliegen; über diesen drey Feuerblumen; und zwey Büsche Nachtviolen beschließen als der Rauch zu beiden Seiten diese Flammen. Ueber dem Rauch fliegen ein Paar Engel, welche das Bild in der Hälfte bedecken. – Unten sitzen auf jeder Seite eine Gruppe von Kindern eingeschlafen, und hinten ganz im Dunkeln liegen zwey Schlafende, wo aus der Finsternis Aurikeln wie Eulenaugen heraussehen, Fingerhutsblumen, die so ein schief Maul ziehen, Storchschnäbel, Distelköpfe und allerley wunderliche Gestalten. – Auf der Mitte des Bildes steigt nun wieder als weibliche Gestalt die Nacht aus einer Mohnpflanze hinauf; die Mohnblumen bilden zu jeder Seite von ihr einen großen Bogen, vier hangen rechts und links vorne herüber und auf jeder Blume sitzt ein Knabe, der still und schnurgrade vor sich weg sieht; alle sind sie ganz en face und ernst, über jedem steht ein Stern; so daß diese obere Regularität ganz den Eindruck macht, wie das Himmelsgewölbe.“ (Anm. 1)
Waetzoldt hatte das Blatt, dass durch die Übernahme der Lunafigur aus dem „Abend“ der Zeichnung in Winterthur (Anm. 2), aber auch in der lockeren Zeichenweise dem ersten Entwurfsstadium der Zimmerverzierungen nahesteht, auf Runges Brief bezogen, doch gleichzeitig eine stärkere Straffung der Komposition bemerkt, die für eine insgesamt etwas spätere Entstehung spräche. Auch die Tatsache, dass die von Runge erwähnten zwei Büsche von Nachtviolen, die den Rauch der Feuerblumen verkörpern sollen, fehlen und an ihre Stelle Rauchwolken getreten sind, lässt nur den Schluss zu, dass es sich um eine andere, spätere Version handeln muss, während die im Brief vom 30. Januar beschriebene Fassung wie diejenigen zum „Morgen“ und „Tag“ verloren ist (Anm. 3).
Das Blatt dürfte zusammen mit dem „Tag“ (Inv. Nr. 34175) nach der Rückkehr aus Ziebingen bis Anfang April in Dresden entstanden sein. Beide Blätter markieren ein Zwischenstadium, in dem sich erstmals Rahmendarstellungen finden, die das Geschehen im Binnenbild kommentieren.

Peter Prange

1 Brief vom 30. Januar 1803 an Daniel, vgl. HS I, S. 32-33.
2 Der Abend, Feder in Schwarz, 725 x 518 mm, Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart, vgl. Traeger 1975, S. 344, Nr. 266, Abb.
3 Vgl. Traeger 1975, S. 344, Nr. 267-269.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

In der Mitte unten nachträglich datiert und bezeichnet: "1803 J" (Feder in Braun); auf dem Verso (?) von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1802/3" (Feder in Schwarz; die "2" nachträglich mit schwarzer Kreide durchgestrichen und ergänzt durch "1803")

Wasserzeichen / Kettenlinien

"Pv [ligiert]"

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts, Archiv Nr. 307, Catalog der Sammlung des Kunst-Vereins in Hamburg, S. 109, Nr. 495 t1/4.: "4 Bt. die Nacht. Dresden 1802/3. ... 2/4, 3 Bt Studien und Entwürfe dazu. Feder. grfol. & Royfol."); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

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Sarah Virtue: Ged Quinn. Over whom Kafka's Wheels Have Passed, Ausst.-Kat. The New Art Gallery Walsall 2013, S.30-35. Abb.

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.152, 386, Nr.89, Abb., Abb.S. 140

Pauline Kintz: Alles was wir sehen, ist ein Bild. Philipp Otto Runge in het licht van de vroeg-romantische poezietheorie van Friedrich Schlegel en Novalis, Delft 2009, S.266, Anm. 21, 267, 291, Abb.13.29 auf S. 268, Abb. 14.2 auf S. 292

Philipp Otto Runge. Caspar David Friedrich. Im Lauf der Zeit, hrsg. von Andreas Blühm, Ausst.-Kat. Van Gogh Museum, Amsterdam, Zwolle 1996, S.10, 93, Abb., Nr.1, Abb.Taf. 1 auf S. 34

Annika Waenerberg: Urpflanze und Ornament. Pflanzenmorphologische Anregungen in der Kunsttheorie und Kunst von Goethe bis zum Jugendstil, Ekenäs 1992, S.84, Abb.46 auf S. 85

Hermann Mildenberger: J. H. W. Tischbein - Philipp Otto Runge - Friedrich Overbeck. Apekte des künstlerischen Austauschs, in: Jahrbuch des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf 1, 1986-87, Neumünster 1988, S. 31-87, S.67, Abb., Abb.62

Jens Christian Jensen: Malerei der Romantik in Deutschland, Köln 1985, S.138

Philipp Otto Runge Caspar David Friedrich aus der Hamburger Kunsthalle, dem Kunsthistorischen Museum und der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, Ausst.-Kat. Oberes Belvedere, Wien 1978, S.118-121, 127, Nr.67, Abb.S. 120

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Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.194, Nr.161, Abb.

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.347, Nr.271, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 2, Hamburg 1841 (Reprint: Göttingen 1965), S.207

Kunst in Dresden 18.-20. Jahrhundert. Aquarelle - Zeichnungen - Druckgraphik. Ausstellung zur Erinnerung an die Gründung der Dresdner Kunstakademie 1746, Ausst.-Kat. Kurpfälzisches Museum, Heidelberg 1964, S.135, Nr.578

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.209

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.22, Nr.137

Waetzold, Stephan: Philipp Otto Runges "Vier Zeiten", Hamburg, Univ., Diss. 1951, S.24-26, Abb.12

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.298, Abb.Taf. 14, Nr. 1

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.36, Nr.60

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.48

Dirksen, Victor: Philipp Otto Runge, die Tageszeiten (Der Kunstbrief 14), Berlin (1944), , S.9, Abb.7

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.39