Philipp Otto Runge
Der rechte männliche Rosengenius (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809
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Philipp Otto Runge

Der rechte männliche Rosengenius (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809

Philipp Otto Runge

Der rechte männliche Rosengenius (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809

Im Februar 1809 schrieb Runge an seinen Freund Klinkowström, dass er jetzt sehr eifrig an seinem großen Bild , dem Morgen, arbeite: „[…] ich habe den Grund angelegt, so bogenförmig von Weiß in ein röthliches Grau; hierüber werde ich nun dünn die Luft auftragen so in horizontal gradlinigten Abstufungen in der eigentlichen Luftfarbe, damit die Wölbung der Untermahlung noch mitwürkend bleibt. Alles was sich aus der Helligkeit heraus nach vorne zu hinzieht, werde ich erst grau in grau anlegen, und bey der Uebermahlung die Farbe hineinspielen. Die ganze Behandlung ist mir sehr klar, und deswegen arbeite ich, während der Grund trocknet, daran, die hinteren in’s Licht hineinkommenden Figuren in recht guter Gruppirung und Beleuchtung mit schwarzer und weißer Kreide mir aufzuzeichnen, womit ich nun meist zu Ende bin.“ (Anm. 1) Die Kreidestudien sind Beleuchtungsstudien für die „in’s Licht hineinkommenden Figuren“, die noch stärker als im „Kleinen Morgen“ die Bedeutung des Lichts betonen, das von der Farbe abgelöst das Aufsteigen des Morgens verbildlichen soll. Kreidestudien dienten Runge schon vorher im Werkprozess als Mittel, Beleuchtung und Plastizität der Figuren zu erproben – verwiesen sei beispielsweise auf die detaillierte Kreidestudie zum Joseph (Inv. Nr. 34154) in der „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“.
Daniel hat diese im Februar 1809 entstandenen Beleuchtungsstudien später genauer beschrieben: „Es stechen darunter besonders hervor fünf Blätter auf braunem Papier, saubre Zeichnungen mit schwarzer und rother Kreide, weiß gehöht, darstellend: die ganze Lilie mit den Figuren auf und über derselben; einen Genius aus der Musica rechts; einen andern links; die Venus; den Knaben mit dem Rosengewölk rechts: alles genau wie auf der großen Untermahlung (eben so finden sich genaue Federumrisse von allen diesen). Ferner auf solchem Papier in schwarzer Kreide der dem Kinde die Rose darreichende Knabe rechts.“ (Anm. 2)
Letztere von Daniel aufgeführte Zeichnung ist identisch mit Inv. Nr. 34195, doch sind Daniels Angaben unvollständig. Der technische Befund zeigt, dass die sichtbaren Rötelspuren teilweise unter der schwarzen Kreide liegen. Sie wurden also zuerst auf das Blatt gebracht; die wenig prägnanten Linien, die sich von der Exaktheit des Kreidestrichs unterscheiden, zeigen alle Merkmale eines Abdrucks. Sie wurden wahrscheinlich in einem Umdruckverfahren aufgebracht, mit dem Runge die Position der einzelnen Motive festlegte. Die betrifft die Pflanzen rechts im Vordergrund, den Umriss des Rosengenius, aber auch die Wolkenformation und Teile der Landschaftssilhouette. Danach hat Runge das Blatt in schwarzer Kreide und teilweise wohl auch Kohle ausgezeichnet. In einem letzten Schritt ist der Rosengenius an den Konturen mit einem Bleistift vollständig durchgegriffelt worden.
Traeger hat als Merkwürdigkeit angemerkt, dass Daniel wie bei den anderen Kreidestudien keine zu Inv. Nr. 34195 zugehörige Federzeichnung erwähnt, sie stattdessen als eigene Studie absetzt. Diese Absetzung wird aus der Tatsache erklärbar, dass im Gegensatz zu den fünf Beleuchtungsstudien (Anm. 3) für Inv. Nr. 34195 eine zugehörige Federzeichnung fehlte. Auch könnte dies – anders als es Traeger vorgeschlagen hat - einen anderen Funktionszusammenhang als die Vorlage bzw. Karton für den Abdruck auf Ölpapier (vgl. Inv. Nr. 34311) nahelegen. Die Tatsache, dass Inv. Nr. 34195 und Inv. Nr. 34311 in den Maßen differieren, spricht dafür, dass beide Blätter in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis stehen (vgl. Inv. Nr. 34311). (Anm. 4)
Während die Beleuchtungsstudien die endgültige Fassung der einzelnen Motive vorstellen, wie sie ins das Gemälde übernommen wurden, zeigt Inv. Nr. 34195 insbesondere in der Gestaltung des Landschaftlichen zum ausgeführten Gemälde einige Unterschiede. Diese betreffen nicht nur die Gestaltung der Pflanzen – es fehlen etwa die Tulpen -, sondern vor allem die sich ausbreitenden Nebelschwaden, die als eine „Art Pathosformel“ bezeichnet wurden (Anm. 5), aber auch beispielsweise die Stellung der Hände oder des linken Beines. Sie sind ein Hinweis darauf, dass das an den Umrissen genau durchgegriffelte Blatt als Karton etwa für eine von Daniel erwähnte, heute verschollene Ölstudie – „der vordere Knabe rechts im Vorgrunde“ (Anm. 6) – gedient haben könnte.
Auf der Rückseite befindet sich die sorgfältig ausgearbeitete Kreidestudie eines weiblichen Kopfes, die bisher als Vorzeichnung zur Aurora im „Großen Morgen“ gilt. Ihr hochgestreckter Arm – der Armansatz ist angedeutet – erweist indes, dass die Studie der Aurora des „Kleinen Morgens“ nähersteht. Auch ist ihr Kopf nicht frontal gegeben sondern sie wendet ihren Blick leicht nach links, was auf ein Zwischenstadium in der Entwicklung von der frontalen Blickrichtung, wie sie Inv. Nr. 34185 zeigt, zum nach oben gerichteten Blick auf Inv. Nr. 34189 deuten dürfte. Auch in der strengen, regelmäßigen Frisur und dem etwas schräggestellten Hals steht die Rückseite Inv. Nr. 34185 nahe, wobei auf der Kreidestudie der Übergang vom Hals zum Kopf insgesamt organischer gelöst ist.

Peter Prange

1 Brief vom 24. Februar 1809 an Klinkowström, vgl. HS I, S. 172.
2 Vgl. HS I, S. 236.
3 Neben den bei Inv. Nr. 34191, 34200 und 34202 genannten Kreidestudien zählte dazu ein sich ehemals in Schwerin befindliches, heute verschollenes Blatt mit der Darstellung des rechten weiblichen, von Daniel irrtümlich als männlich bezeichneten Rosengenius‘, vgl. Traeger 1975, S. 460, Nr. 483, Abb.
4 Vgl. Bertsch, in: Runge 2010, S. 194, und Trempler 2013, S. 317.
5 Bertsch, in: Runge 2010, S. 194.
6 Vgl. HS I, S. 235.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten rechts von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1809" (Feder in Grau; um 90 Grad gedreht); oberhalb davon datiert: "1809" (Bleistift); links oberhalb davon nummeriert: "(3570)" (Bleistift; Inv.-Nr. des Lichtwark-Inventars)

Wasserzeichen / Kettenlinien

BRACCIANO (nicht bei Traeger)

Verso

Titel verso: Kopf und Oberkörper der Aurora (Studie zum Gemälde "Der große Morgen")

Technik verso: Schwarze Kreide

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz der Witwe Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856; Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

Jörg Trempler: Eine Runge-Zeichnung in Schinkels Händen? Berührungspunkte zwischen Karl Friedrich Schinkel und Philipp Otto Runge, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.317, Abb. 12

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.194, 390, Nr.154, Abb., Abb.S. 204

Pauline Kintz: Alles was wir sehen, ist ein Bild. Philipp Otto Runge in het licht van de vroeg-romantische poezietheorie van Friedrich Schlegel en Novalis, Delft 2009, S.233, Abb., Anm. 13, Abb.12.64

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge. Die Zeiten - Der Morgen, hrsg. von Uwe M. Schneede, Hamburg 1997, S.32, 47, Abb.32 auf S. 38

Philipp Otto Runge. Caspar David Friedrich. Im Lauf der Zeit, hrsg. von Andreas Blühm, Ausst.-Kat. Van Gogh Museum, Amsterdam, Zwolle 1996, S.14, 100, Nr.37, Abb.Taf. 37 auf S. 62, S. 101

Cornelia Vagt: Gerdt Hardorff d.Ä. und sein Werk. Monographie und Katalog, Kiel, Univ., Diss. 1984, S.103, 105

Doris Krininger: "Der Morgen" - Prinzip Weiblichkeit als Quelle gesellschaftlicher Utopie - Zu Philipp Otto Runges universalem Kunst- und Weltentwurf, Marburg, Univ., Mag.-Arb. 1980, S.XVI

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge oder die Geburt einer neuen Kunst, München 1977, S.66, 152, 158, Abb.75 auf S. 62

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.218, Nr.199, Abb.

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.168, 464, Nr.492, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 2: Johann Friedrich Overbeck (1798-1869) bis Christian Xeller (1784-1872), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973, S.1991, Abb.S. 1545

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969, S.286, Nr. 2 e

Johannes Langner: Philipp Otto Runge in der Hamburger Kunsthalle, Bilderhefte der Hamburger Kunsthalle, Bd. 4, Hamburg 1963, S.15, 22, Abb.52

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.27, Nr.164

Stephan Waetzoldt: Philipp Otto Runges "Vier Zeiten", Hamburg 1951, S.150, 156

Christian Adolf Isermeyer: Philipp Otto Runge, Die Kunstbücher des Volkes, Bd. 32, Berlin 1940, S.132

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.300, Abb.Taf. 34

Meisterwerke der deutschen Romantik. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e. V., Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1935, Nr.22

Meisterwerke der Romantik, Ausst.-Kat. Kunsthalle Hamburg 2. November- 31. Dezember, Hamburg 1935, Nr.22

Gustav Pauli: Ausstellung von Hamburgischen Zeichnungen der guten alten Zeit, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1922, S.11, Nr.36

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.37, Nr.76

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.236