Philipp Otto Runge
Der Morgen (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1807/8
Zurück Bildinfos ➕ 🗖

Philipp Otto Runge

Der Morgen (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1807/8

Philipp Otto Runge

Der Morgen (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1807/8

Das Morgenkind erscheint erstmals auf Inv. Nr. 34185, das im oberen Bereich so beschnitten ist – erkennbar an der oben fehlenden Rahmenleiste -, dass die Entfaltung der Lichtlilie fehlt. Für Waetzoldts Vermutung, dass dieser Bereich nicht gänzlich durchgezeichnet war (Anm. 1), gibt es indes keine Anhaltspunkte. Die Einführung des Morgenkindes hatte eine Änderung der ersten Komposition (vgl. Inv. Nr. 34183) zur Folge, die nach von Einem in der Entwicklung des Bildgedankens eine Zwischenstufe markiert: „Auch hier haben wir noch die Erdkugel. Zum ersten Mal aber werden Kind und Landschaft gegeben, freilich noch hieroglyphenhaft, die Landschaft ist nur Scholle, die das Kind trägt.“ (Anm. 2) Die Krümmung der Erdkugel ist in den sanften Bogen des Horizonts verwandelt, der zusammen mit dem Kind den Schritt zum Landschaftlichen bedeutet. Gleichzeitig ergeben sich dadurch neue Bewegungsimpulse, die für die Konstituierung des Bildraumes von Bedeutung sind: Der auf den Betrachter zuschreitenden Aurora antworten die auf gleicher Höhe seitwärts nach außen strebenden Blumengenien; ihre Bewegung wird in einer vorderen Ebene von den beiden auf Wolken sitzenden Blumengenien, die sich dem Morgenkind zuwenden und so die Komposition nach vorne hin schließen.
Das Schreitmotiv Auroras mit dem Standbein rechts entspricht Inv. Nr. 34188, doch zeigt Aurora auf Inv. Nr. 34185 erstmals deutlich das Motiv des Lichttragens durch die über den Kopf erhobene Hand links. Dieses Motiv fehlt auf Inv. Nr. 34188; ihre zur Seite sich öffnende Linke hat Runge auf Inv. Nr. 34185 vor ihren Körper geführt, wo sie zusammen mit den fließenden Haaren Auroras Scham verdeckt. Insgesamt ergibt sich eine schlankere Proportionierung Auroras, die ihr schwereloses Schreiten sinnfällig macht, das auch dem flächengebundenen Bildverständnis Runges verdankt wird. Räumliche Tiefe wird allein durch das Nebeneinander von hellen, unschraffierten und dunklen, schraffierten Flächen hervorgerufen. Daniels Datierung „1807/8“ dürfte auch auf die Aurora Inv. Nr. 34188 zutreffen, weil sie im Entwurfsprozess in unmittelbarem Zusammenhang mit Inv. Nr. 34185 steht, doch vor dieser entstanden sein dürfte.

Peter Prange

1 Waetzoldt 1951, S. 126.
2 von Einem 1949, S. 115.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1807/8" (Feder in Grau); oberhalb davon nummeriert: "21" (Bleistift)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz der Witwe Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856; Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

David Klemm: Runge und die italienische Kunst, in Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner, Jenns Howoldt, München 2013, S.270, Abb. 28 (Detail)

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.160-162, 388, Nr.112, Abb., Abb.S. 164

Frank Büttner: Philipp Otto Runge, C. H. Beck 2010, Nr.Abb. 37, Abb.S. 109

Le temps de la peinture. Lyon 1800-1914 Lyon: Fage éditions 2007, S.12, 235, Abb., Nr.139

Caecilie Weissert: Reproduktions-Stichwerke. Vermittlung alter und neuer Kunst im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Berlin 1999, S.11, Abb.10

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge. Die Zeiten - Der Morgen, hrsg. von Uwe M. Schneede, Hamburg 1997, S.30, 47, Abb.26 auf S. 33

Philipp Otto Runge. Caspar David Friedrich. Im Lauf der Zeit, hrsg. von Andreas Blühm, Ausst.-Kat. Van Gogh Museum, Amsterdam, Zwolle 1996, S.14, 98, Nr.29, Abb.Taf. 29 auf S. 55, S. 99

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge- Der denkende Zeichner, in: Kunsträume. Die Länder zu Gast in der Nationalgalerie Berlin, Berlin 1987, S. 21-52, S.26, Nr.19, Abb.S. 48

Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800, Ausst.-Kat. Kunsthaus, Zürich; Städtische Kunsthalle und Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf; Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1983, Abb.S. 54

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.133, Abb.Abb. 68, S. 66

Doris Krininger: "Der Morgen" - Prinzip Weiblichkeit als Quelle gesellschaftlicher Utopie - Zu Philipp Otto Runges universalem Kunst- und Weltentwurf, Marburg, Univ., Mag.-Arb. 1980, S.IV-V, VIII

Philipp Otto Runge Caspar David Friedrich aus der Hamburger Kunsthalle, dem Kunsthistorischen Museum und der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, Ausst.-Kat. Oberes Belvedere, Wien 1978, S.132, Nr.75, Abb.S. 133

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge oder die Geburt einer neuen Kunst, München 1977, S.59, Abb.59 auf S. 50

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.208, Nr.179, Abb.S. 209

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.162, 167, 421, Nr.386, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 2: Johann Friedrich Overbeck (1798-1869) bis Christian Xeller (1784-1872), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973, S.1991, Abb.S. 1536

Herbert von Einem: Die Symbollandschaft der deutschen Romantik, in: Stil und Überlieferung. Aufsätze zur Kunstgeschichte des Abendlandes, hrsg. von Thomas W. Gaehtgens, Reiner Haussherr, Düsseldorf 1971, S. 210-226, S.213, Abb.85

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969, S.285

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.24, Nr.146

Stephan Waetzoldt: Philipp Otto Runges "Vier Zeiten", Hamburg 1951, S.126. 138-140, Abb.38

Ragué, Beatrix von: Das Verhältnis von Kunst und Christentum bei Philipp Otto Runge, 1950, S.120 Anm. 1, S. 122-123

Herbert von Einem: Christian Adolf Isermeyer. Philipp Otto Runge, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 12, München u. a. 1949, S. 113-117, S.115

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runge. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, hrsg. von Karl Privat, Berlin 1942, Abb.S. 288-289, 291

Christian Adolf Isermeyer: Philipp Otto Runge, Die Kunstbücher des Volkes, Bd. 32, Berlin 1940, S.132

Carl von Lorck: Philipp Otto Runge. Sechzig Bilder (ohne Paginierung), Königsberg 1939, Abb.o. S.

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.300, Abb.Tf. 34, Nr. 1

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.36, Nr.66

Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875. Zeichnungen, Aquarelle. Pastelle, Ölstudien. Miniaturen und Möbel, Ausst.-Kat. Königliche Nationalgalerie Berlin 1906, S.108, Nr.2994