Philipp Otto Runge
Bildnis Pauline Bassenge im Profil nach links, 1801
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Philipp Otto Runge

Bildnis Pauline Bassenge im Profil nach links, 1801

Philipp Otto Runge

Bildnis Pauline Bassenge im Profil nach links, 1801

1801 hatte sich Runge in Dresden in Pauline Bassenge verliebt, die er auf der Zeichnung im Profil in antikischer Idealität wiedergibt. Jensen hat auf die „isolierte Stellung“ des Blattes im Werk Runges hingewiesen (Anm. 1), doch erinnern das Profil, ihr leicht nach unten gerichteter Blick und nicht zuletzt ihre Frisur an Runges Darstellung des sogenannten „Kapitolinischen Antinous“ (vgl. Inv. Nr. 1938-62). In Bezug auf die Antike erhebt Runge Paulines Bildnis über den Rang eines Erinnerungsbildes hinaus, er setzt Pauline mit jener idealen Schönheit gleich, die man dem „Kapitolinischen Antinous“ zugesprochen hatte (Anm. 2). Diese Idealität spricht Runge in einem Brief an Pauline an, in dem er ein Bildnis von ihr erwähnt, dass er nach der Begegnung mit ihr auf einem Ball zeichnete: „Ich schreibe hier oben auf meinem Zimmer, dein Portrait, daß ich zeichnete wie ich [Dich] zuerst aufm Ball sah, hängt hier bey mir, ich freue mich recht daran, es ist eben so schön und rein und weiß, als wenn ich dich da aufm Ball sah […].“(Anm. 3) Die Charakterisierung als „rein und weiß“ trifft auch auf das vorliegende Blatt zu, weshalb Traeger vermutet, dass es sich um das früheste erhaltene Bildnis Paulines handelt, das Runge nach der Begegnung auf dem Ball vermutlich „aus dem Gedächtnis gezeichnet“ habe.
Die gesamte, repräsentative Bildanlage und die sorgfältige, ausgewogene Komposition, die klassizistischer Bildnistradition entspricht, lassen allerdings an dieser Annahme zweifeln, dass es sich um eine Aufnahme aus der Erinnerung handelt. Auch ob es sich bei dieser Zeichnung um jene handelt, die Runge im Dezember 1801 an Daniel sandte, bleibt fraglich: „An Daniel habe ich Sonnabend der P. ihr (gleichsam) Bildniß geschickt, aber ich war Sonnabend ordentlich böse darauf, denn es ist doch nur ein Schatten – und schalt mich aus für die Dummheit, es im Enthusiasmus ordentlich für etwas gehalten zu haben.“ (Anm. 4) Die zitierte Passage drückt Runges allgemeine Verzweiflung über die Unmöglichkeit des Portraits aus, ein wahrhaftiges Bild eines Menschen zu schaffen – oder sollte er deswegen die bewusste Auseinandersetzung mit dem Kopf des Antinous gesucht haben?
Böttcher hatte das Blatt ohne Begründung „um 1803“ datiert, doch dürfte die zeichnerische Ausfertigung, die in den Hell-Dunkel-Kontrasten und den feinen Kreidestrichen noch an Runges Antikennachzeichnungen und Aktstudien erinnert, auf eine frühere Entstehung bereits 1801 in Dresden hinweisen.

Peter Prange

1 Bildniszeichnung 1957, S. 53, Nr. 147.
2 Vgl. Francis Haskell/Nicolas Penny: Taste and the Antique. The Lure of classical Sculpture 1500-1900, New Haven-London 1981, S.143-144, Abb. 74.
3 Brief vom 6. Dezember 1803 an Pauline, vgl. Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, hrsg. von Karl Friedrich Degner, Berlin 1940, S. 158.
4 Brief vom 27. Dezember 1801 an Maria, vgl. HS II, S. 108.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1801" (Feder in Braun; stark verblasst)

Wasserzeichen / Kettenlinien

"Pieter de Vries & Comp." PDV & C, Lilie (nicht bei Traeger, da damals noch fest montiert)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz der Witwe Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Kunsthandlung Martin Schmidt, Hamburg, 1918; "Verein von Kunstfreunden von 1870", Hamburg, 1918-1939; wegen Vereinsauflösung in das Eigentum der Hamburger Kunsthalle übergegangen, 1939

Bibliographie

Uwe Fleckner: Eine sonderbare Gattung. Die Bildnisse von Philipp Otto Runge, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.127, Anm. 29

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.82, 248, 392, Nr.191, Abb.

Runge und die Seinen. Zeichnungen und Scherenschnitte aus dem Hamburger Kupferstichkabinett, Ausst.-Kat. Museum Kaffeemühle, Wolgast 2000, S.o.S., Nr.21, Abb.

Ute Blaich: Philipp Otto Runge. Die Hülsenbeckschen Kinder, Hamburg 1995, S.49, Abb.

Jörg Traeger: Aus Philipp Otto Runges Anfängen als Maler. Eine frühe Fassung der "Ruhe auf der Flucht". Mit Bemerkungen zu Otto Sigismund Runge, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 55, 1992, Nr. 4, S. 463-482, S.476

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.225, Nr.213, Abb.

Jens Christian Jensen: Philipp Otto Runge. Leben und Werk, Köln 1977, S.63, 96, 229-230, Abb.19 auf S. 62

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.310, Nr.194, Abb.

Jörg Traeger: Zwei wiederentdeckte Hauptwerke von Philipp Otto Runge, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 38, München u. a. 1975, S. 171-186, S.177

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runges Briefe, hrsg. von Margrit Vasella-Lüber, Zürich 1967, S.14, Anm. 26

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 2, Hamburg 1841 (Reprint: Göttingen 1965), S.108

Jens Christian Jensen: Die Bildniszeichnung der deutschen Romantik, Ausst.-Kat. Lübeck, St. Annen-Museum und Overbeck-Gesellschaft, 30. 6. - 15. 9.1957, Lübeck 1957, S.55, Nr.147

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, hrsg. von Karl Friedrich Degner, Berlin 1940, S.158

Carl von Lorck: Philipp Otto Runge. Sechzig Bilder (ohne Paginierung), Königsberg 1939, Abb.o. S.

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.197, 301, Abb.Taf. 45, Nr. 2

Kunstfreunde: Jahresbericht: Verein von Kunstfreunden von 1870 e.V. Bericht über das Jahr 1918, Hamburg 1918, S.8