Philipp Otto Runge
Bacchus und Ariadne ("Die Freuden des Weins"), 1803
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Philipp Otto Runge

Bacchus und Ariadne ("Die Freuden des Weins"), 1803

Philipp Otto Runge

Bacchus und Ariadne ("Die Freuden des Weins"), 1803

Eine erste Konzeption des Mittelbildes entstand vor dem 24. Oktober 1802, als Runge an Daniel schrieb: „So soll in dem mittleren Gemählde die Mitte der Silen seyn, der den Blick tiefsinnig in einen goldenen Pocal senkt; das ist die innere Gluth der Trunkenheit mit vollem Bewustseyn, eigentlich das Leben und der Genuß im vollstem Uebermaas, so daß Bacchus und Ariadne dagegen wieder nur die Freude des Weins und den halben Genuß ausdrücken.“ (Anm. 1) Eine Zeichnung, die dieses Entwurfsstadium überliefert, hat sich nicht erhalten; Daniel schreibt, dass „von dem inneren Bilde zu diesem Rahmen [Inv. Nr. 34270] bloß eine rohe Federskizze da ist“, die er Ende Dezember 1802 wie folgt beschrieb: „Unter einem Baum symmetrisch nach jeder Seite hingelagert, ruhen Bacchus und Ariadne (der Gott reicht ihr eine Traube hin), die Füße auf Panther oder Tiger hingestreckt. Ueber ihnen in dem Baumwipfel liegt ein Knabe als Genius; eine Bezeichnung, die der Künstler öfters wählte, um anzudeuten, daß die Figuren, über welchen ein solcher schwebt, höhere Wesen sind, die in göttlicher Sicherheit wandeln oder handthieren. […] das Bild selbst soll enthalten: Bacchus und Ariadne einander zur Seite; das ist die Freude und Liebe des Weins. Es ist aber das beste und tieffste davon noch zurück: der Satyr und die Bacchantin zusammengenommen ist der Silen, denn Bacchus ist doch auch nur erst die Hälfte, er ist nur Halbgott, aber die innere Gluth in dem goldnen Pocal, die Silen ertragen will, aber nicht kann, das ist das eigentliche Element, die Fülle der tieffsten Berauschung mit Bewustseyn, das eigentliche Studium der Raserey des Weins und muß die Mitte und der Centralpunct des Bildes seyn. So wird es, mit Rahmen und allem ganz fertig, in der innern Composition die Offenbarung dieses Elementes.“ (Anm. 2)
Die beschriebene Skizze ist identisch mit dem vorliegenden Blatt, auf Bacchus und Ariadne als Attribute die beiden Trinkschalen und die beiden zu ihren Füßen liegenden Panther zugeordnet sind, die die Freude und Liebe des Weins verkörpern. Die Symmetrie der Rahmenkonstruktion hat Runge auch auf das Mittelbild übertragen; der Baum mit liegenden Putto, die Weintraube und der darunter befindliche Pokal bilden die Symmetrieachse für die einander Rücken an Rücken zugewandten Bacchus und Ariadne. Sie erinnern in ihrer Haltung an Personifikationen des „Tages“ und der „Nacht“ aus Michelangelos Medicigrab; Möseneder glaubt die die Gestaltung des Paares auf Salomon Gessners Schlussfignette zur Idylle „Der Frühling“ zurückführen zu können (Anm. 3); allerdings fehlt Gessners Paar über den inhaltlichen Zusammenhang hinaus die für Runge charakteristische symmetrische Ausrichtung.
Das unvollendete, teilweise skizzenhaft angelegte Blatt zeigt die für Runge typische Entwurfspraxis: Eine die Gegenstände teilweise nur andeutende, teilweise auch unbestimmt bleibende Bleistiftvorzeichnung dient Runge zur Fixierung der Komposition, doch noch nicht zur Festlegung der Einzelform. „Die Richtigkeit der Zeichnung“ ist nicht Zweck der Skizze, schreibt Runge Daniel (Anm. 4), sondern die Annäherung an die Komposition. Die Form präzisiert Runge erst in einem zweiten Schritt mit der Feder, die zwar als Umrisslinie ausgeführt wird, doch durch Zu- und Abnahme der Linie, An- und Absetzen der Feder ein Eigenleben führt, das sie vom Umrissstil Flaxmans absetzt.

Peter Prange

1 Brief vom 24. Oktober 1802 an Daniel, vgl. HS I, S. 224.
2 Brief vom 28. Dezember 1802 an Daniel, vgl. HS I, S. 225.
3 Möseneder 1981, S. 11, Abb. 6.
4 Brief vom 16. Januar 1803 an Daniel, vgl. HS I, S. 195.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten links bezeichnet: "Die Freuden des Weins / (Bacchus und Ariadne)" (Bleistift); unten in der Mitte datiert: "1803" (Feder in Braun); oben links nummeriert: "N.o 495 n 1," (Bleistift; Inv.-Nr. des Kunstvereins in Hamburg); auf dem Verso unten links von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1803." (Feder in Schwarz); unten links unterhalb des Sammlungsstempels nummeriert: "21" (Bleistift)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts, Archiv Nr. 307, Catalog der Sammlung des Kunst-Vereins in Hamburg, S. 107, Nr. 495 n1/2.: "2 Bt. die Freuden des Weins. Dresden 1802/3. Royfol. ... 1, Skizze des Mittelbildes. Bacchus und Ariadne unter einem Baume sitzend. Bleifeder und Feder."); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

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Markus Bertsch: Beobachtungen zu Runges bildnerischem Werk und seiner Kunstauffassung, in: Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik München 2010, S. 23-36, S.27, Nr.84

Pauline Kintz: Alles was wir sehen, ist ein Bild. Philipp Otto Runge in het licht van de vroeg-romantische poezietheorie van Friedrich Schlegel en Novalis, Delft 2009, S.247, Abb., 254, Anm. 9, 280, Anm. 30, Abb.13.7

Scholl, Christian: Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst, Berlin, München, 2007, S.250

Inge Grolle: Die Geburt der Romantik aus dem Geist der Klassik. Zur künstelerischen Entwicklug von Philipp Otto Runge, 2004, S.87

Wasser und Wein. Zwei Dinge des Lebens aus der Sicht der Kunst von der Antike bis heute, Ausst.-Kat. Kunst.Halle.Krems 1995, S.268, Nr.XI/7

Johann J. K. Reusch: Philipp Otto Runge and the Intellectual Circles around Matthias Claudius, Los Angeles, Univ., Diss. 1994, S.69, Abb.XXIV auf S. 178

De Dürer à Baselitz. Dessins allemandes de la Kunsthalle de Hamburg Paris 1988, S.98

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge- Der denkende Zeichner, in: Kunsträume. Die Länder zu Gast in der Nationalgalerie Berlin, Berlin 1987, S. 21-52, S.23-25, Nr.6, Abb.S. 35

Philipp Otto Runge: Philipp Otto Runge. Die Begier nach der Möglichkeit neuer Bilder. Briefwechsel und Schriften zur bildenden Kunst, hrsg. von Hannelore Gärtner, Leipzig 1982, S.22

Karl Möseneder: Philipp Otto Runge und Jacob Böhme. Über Runges "Quelle und Dichter" und den "Kleinen Morgen", Marburger Ostforschungen, Bd. 38, Marburg/Lahn 1981, S.10, Abb.5

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.134, Abb.124 auf S. 118

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Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.40, Abb., 104, 171, Nr.139, Abb., Abb.14

Wolf Stubbe: Philipp Otto Runge. Bild und Symbol, München u. a. 1977, S.60, Abb.6 auf S. 24

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.54, 148, 337, Nr.251, Abb.

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Sigrid Hinz: Philipp Otto Runge, Berlin 1973, S.16

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Curt Grützmacher: Novalis und Philipp Otto Runge. Drei Zentralmotive und ihre Bedeutungssphäre. Die Blume, das Kind, das Licht, München 1964, S.54

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Romantik im deutschen Norden. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e.V., Hamburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1937, Nr.20

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Paul Ferdinand Schmidt: Philipp Otto Runge. Sein Leben und sein Werk, hrsg. von Karl Scheffler, Curt Glaser, Deutsche Mesiter, Leipzig 1923, S.45

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Strich, Fritz: Die Mythologie in der deutschen Literatur von Klopstock bis Wagner, 2 Bde, Halle an der Saale 1910, S.190-191

Max Semrau: Zum Gedächtnis Philipp Otto Runges, in: Pommersche Jahrbücher Sonderdruck, Greifwald 1910, S. 219-264

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.48

Menzel, Wolfgang: Runges Nachlaß (Rezension zu Hinterlassene Schriften), in: Literaturblatt auf das Jahr 1841 1841, , S.396

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.225, 350