Philipp Otto Runge
Atlas,
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Philipp Otto Runge

Atlas,

Philipp Otto Runge

Atlas

Berefelt hatte die als „Atlas“ bezeichnete Figur auf ein antikes Vorbild zurückgeführt (Anm. 1), doch wird ihre antike Herkunft bezweifelt. Am nächsten kommen ihr vier Satyrn, die sich als Stützen am sogenannten Satyrbrunnen im Garten der Villa Albani in Rom befanden (Anm. 2) und 1778 von Piranesi gestochen wurden (Anm. 3); ein Hinweis auf ihre antike Herkunft konnte bisher jedoch nicht gefunden werden. Deshalb ist als Original ein antikisierendes, zeitgenössisches Werk des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu vermuten, das bisher nicht identifiziert werden konnte, doch bei den in Kopenhagen um und nach 1800 tätigen Künstlern sehr bekannt war. Ursprünglich trug die Statue, was nach ihr angefertigte Kopien dokumentieren (Anm. 4) und Daniel Runges Bezeichnung „Atlas“ erklärt, auf dem Rücken die Erdkugel, doch befand sich in der Akademie offenbar nur ein Abguss ohne Erdkugel, nach dem gezeichnet wurde.
Der Gipsabguss der Statue befand sich vor 1800 im Antikensaal in Charlottenborg (Anm. 5), wo der Gips noch 1824 in Hans Detlev Christian Martens‘ Gemälde mit der Ansicht der westlichen Seite des Antikensaals ganz links auf dem oberen Regal sichtbar ist (Anm. 6). Der Abguss wurde besonders häufig in den 1820er Jahren auf Gemälden und Zeichnungen dargestellt; u. a. auf Gemälden, die die Ateliers des Malers Christian August Lorentzen (Anm. 7) und des Bildhauers Christen Christensen zeigen (Anm. 8). Auch Zeichnungen von Johann Christian Dahl (Anm. 9), eines anonymen Künstlers aus der Klasse Johan Ludvig Lunds (Anm. 10) und von Edvard Sonne (Anm. 11) aus Christian Wilhelm Eckersbergs Klasse bezeugen die Existenz der Statue in der Sammlung. Sonne hat die Statue aus dem gleichen Blickwinkel wie Runge aufgenommen, der allerdings Plinthe und Stütze weggelassen hat (Anm. 12). Runges Blatt ist bisher die früheste bekannt gewordene Zeichnung nach dem Gips.
Anfang Januar 1800 war Runge von der zweiten Klasse in den Gipssaal vorgerückt (Anm. 13), „wo ich nach einer Figur zeichne, die ebenfalls zur Probe seyn soll, um nach dem Modellsaal zu kommen.“ (Anm. 14) Traeger mutmaßte, ob es sich dabei um die Darstellung einer Figur handeln könnte, die von Daniel als „Atlas“ bezeichnet wurde (Anm. 15). Die zeichnerische Qualität des allseitig beschnittenen Blattes ist allerdings kaum eines Probestücks würdig, vielmehr dürfte es sich um ein schon bald nach Runges Ankunft in Kopenhagen entstandenes Blatt handeln. Durch den allseitigen, bis nahe an die Figur herangeführten Beschnitt des Blattes werden die gedrungenen Proportionen Runges noch zusätzlich verstärkt.

Peter Prange

1 Berefelt 1961, S. 159, Anm. 5.
2 Vgl. Carlo Gasparri: Die Skulpturen der Sammlung Albani in der Zeit Napoleons und der Restauration, in: Forschungen zur Villa Albani. Antike Kunst und die Epoche der Aufklärung, hrsg. von Herbert Beck/Peter C. Bol, Berlin 1982, S. 389, Abb. 211.
3 Gasparri 1982, Abb. 209.
4 Die Statue existierte noch 1898, als der Industrielle Carl Jacobsen bei dem Bildhauer Nicolai Schmidt eine Kopie in Auftrag gab, die den Turm des Restaurants und Bierausschanks „Atlanten“ in Kopenhagen schmückte, vgl. Mette Moltesen/Jan Zahle: Carl Jacobsen‘ s idea for exhibiting sculpture in public: in Parks, in the first and second Glyptotek and in the Royal Cast Collection in Copenhagen, in: Gipsabgüsse und antike Skulpturen. Kontext und Präsentation, hrsg. von Charlotte Schreiter, Berlin 2012, S. 234, Nr. B 36. Für diesen und weitere Hinweise danke ich Jan Zahle, Kopenhagen. Später wurde die Statue nach Valby überführt, wo sie noch heute auf einer Mauer der Energiezentrale der Ny Carlsberg Brauereiaufgestellt ist, zum Restaurant „Atlanten“ vgl. Dorothea Zanker-v. Meyer: Die Bauten von J. C. und Carl Jacobsen. Zur Bautätigkeit einer Industriellenfamilie in Dänemark, Berlin 1982, S. 87-88, Abb. 66.
5 Vgl. Zahle 2004, S. 198, Nr. S 55. In Ny Fortegnelse over Marmor- og Gibs-Figurerne samt Receptions-Stykkerne og flere Konstsager i det kongelige Maler- Billedhugger- og Bygnings-Academie paa Charlottenborg, med hosföyet kort Forklaring over de betydeligste Poster, Kopenhagen 1799, findet sich allerdings kein Hinweis auf die Atlasstatue.
6 Hans Detlev Christian Martens, Der Antikensaal in Charlottenborg, 1824, Öl/Lw, 92,8 x 74,5 cm, Kopenhagen, Thorvaldsen Museum, Inv. Nr. B 259.
7 Martinus Rørbye, Der Maler Christian August Lorentzen in seinem Atelier, 1827, Öl/Lw, 70,4 x 57,1 cm, Privatsammlung, vgl. Die Kopenhagener Schule. Meisterwerke Dänischer und Deutscher Maler von 1770 bis 1850, Ausst.-Kat. Kunsthalle Kiel, Ostfildern-Ruit 2005, S. 81, Abb.
8 Wilhelm Bendz, Der Bildhauer Christen Christensen bei der Arbeit mit dem lebenden Modell in seinem Atelier, 1827, Öl/Lw, 190 x 158 cm, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, KMS 62, vgl. Wilhelm Bendz 1804-1832. A young Painter of the Danish Golden Age, Ausst.-Kat. Hirschsprung Collection, Kopenhagen 1996, S. 90, Nr. 27, Abb.
9 Johann Christian Dahl, Atlas, schwarze Kreide, 618 x 463 mm, Oslo, Nationalgalerie, Inv. Nr. NG.K&H.B.02602, vgl. William Gelius: Dahls akademitegninger, in: J. C. Dahl i Danmark, Ausst.-Kat. Thorvaldsens Museum, Kopenhagen 2003, S. 24, Nr. 16, Abb.
10 Anonym, Atlas, schwarze Kreide, 616 x 428 mm, Kopenhagen, Danmarks Kunstbibliotek, modeltegning 463d, vgl. Karin Kryger: Tegninger efter afstøbninger, in: Spejlinger i gips, Udstilling på Det Kongelige Danske Kunstakademi, Billedkunstskolerne og Danmarks Kunstbibliotek, Sammlingen af Arkitekturtegninger, Kopenhagen 2004, S. 238, Nr. 46, Abb.
11 Edvard Sonne, Atlas, schwarze Kreide, 664 x 435 mm, Kopenhagen, Danmarks Kunstbibliotek, modeltegning 463c, vgl. Kryger 2004, S. 238, Nr. 47, Abb.
12 Deshalb vermutet Jan Zahle, Kopenhagen, dass es zwei Versionen des Atlas – mit und ohne Basis bzw. Stütze – gegeben haben könnte; email vom 26.6.2014.
13 Am 6. Januar 1800 war Runge in der zweiten Freihandzeichenklasse bei Informator Carl David Probshayn zur Gipsschule „avanciert“, vgl. Schubert 2013, S. 132.
14 Brief vom 14. Januar 1800 an Daniel, vgl. HS II, S. 39.
15 Traeger 1975, S. 297.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten links von der Hand Daniel Runges nachträglich bezeichnet: "Atlas" (Feder in Braun)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; wohl als deren Geschenk an ihren Enkel Paul Runge (1835-1899), Berlin (Sohn des Otto Sigismund Runge (1806-1839); Philipp Otto Runge (1866-1925; Sohn des Vorigen), Berlin; Hans Runge (1900-?; Sohn des Vorigen), Berlin (bis 1938); erworben 1938 von C. G. Boerner, Leipzig

Bibliographie

Marianne Saabye und Anna Schram Vejlby: Til låns. Hamburger Kunsthalle gæster Hirschsprung, Ausst.-Kat. Den Hirschsprung Samling, København 2013, Abb.S. 28

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.76, 383, Nr.33, Abb.

Jan Zahle: Antiksalen, Figursalen, Museet, in: Spejlinger i gips, Udstilling på Det Kongelige Danske Kunstakademi, Billedkunstskolerne og Danmarks Kunstbibliotek, Sammlingen af Arkitekturtegninger, Kopenhagen 2004, S.S. 198, bei Nr. 55, Anm.77

Pygmalions Werkstatt. Die Erschaffung des Menschen im Atelier von der Renaissance bis zum Surrealismus, hrsg. von Helmut Friedel, Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Köln 2001, S.140, Abb., Nr.36

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.297-298, Nr.158, Abb.

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 2, Hamburg 1841 (Reprint: Göttingen 1965), S.39, 454

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.116, 159, Anm. 5

Deutsche Handzeichnungen der Romantikerzeit. Deutsche Graphik des frühen XIX. Jahrhunderts. Deutsche Zeichnungen der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, Auktion 199, 25. 5. 1938, C. G. Boerner, Leipzig 1938, S.15, Nr.132