Philipp Otto Runge, Zeichner Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Kopf des Mannes neber der Mutter (nach Raffaels "Transfiguration"), 1801, Juli
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Philipp Otto Runge, Zeichner Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Kopf des Mannes neber der Mutter (nach Raffaels "Transfiguration"), 1801, Juli

Philipp Otto Runge, Zeichner Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Kopf des Mannes neber der Mutter (nach Raffaels "Transfiguration"), 1801, Juli

Die sechs großformatigen Zeichnungen nach Köpfen in Raffaels „Transfiguration“ schließen in ihrer klassizistischen Härte stilistisch und in der Technik unmittelbar an Runges Kopien nach Domenichinos Caecilienfresken an (vgl. Inv. Nr. 1938-130 – 1938-134). Während Stubbe (Anm. 1) und mit ihm Berefelt (Anm. 2) Nicolas Dorignys Stich von 1705 als Vorlage für Runges Kopien nach Raffaels „Transfiguration“ vermutet hatten, dürften sie im Gegensatz zu den Kopien nach Domenichino, für die als Vorlage Zeichnungen von Giovanni Battista Casanova nur vermutet werden können, sicher auf Zeichnungen Casanovas zurückgehen, denn in einem Brief an Goethe vom 23. August 1801 schreibt Runge: “Auch die Köpfe, so von Casanova noch nach Raffael auf der Akademie sind, habe ich fleißig gezeichnet. Herr Hartmann war so gut, mir dann und wann seine Meinung über die Weise zu sagen, wie ich die Sachen anwende.” (Anm. 3) Casanovas Zeichnungen lassen sich heute nicht mehr nachweisen (Anm. 4), doch wurden die Blätter von Hardorffs 1795 gestorbenen Lehrers nach dessen Tod offensichtlich in der Akademie aufbewahrt, wo sie noch 1801 als Lehrmaterial verwendet wurden (Anm. 5).
Daniel Runge hat die Zeichnungen auf Juli 1801 datiert, was mit Runges Bericht an Goethe übereinstimmt. Runge war am 21. Juni in Dresden zur weiteren Ausbildung eingetroffen, wo er zwar Kontakte zur Akademie unterhielt, doch nicht ihr Schüler wurde. Runge muss die Akademie aber besucht haben und bei dieser Gelegenheit Casanovas Zeichnungen kopiert haben, was damaliger gängiger Lehrpraxis entsprach. Neben der Rückenfigur der Mutter (Inv. Nr. 1938-79), dem Besessenen mit der Frau (Inv. Nr. 1938-78) und dem Vater (Inv. Nr. 1938-82) kopierte Runge noch die Gruppe zweier Jünger am linken Rand hinten (Inv. Nr. 1938-80), den Kopf des vorderen Jüngers links am Rand (Inv. Nr. 1938-81) sowie den Kopf des Mannes zwischen den beiden Frauen (Inv. Nr. 1938-83), der auf Stichreproduktionen kaum erkennbar ist. Runge wählte besonders ausdrucksstarke, auch dramatische Physiognomien aus, die aus ihrem erzählerischen Kontext herausgelöst als Exempla menschlicher Ausdrucksfähigkeit gelten konnten. Sie schließen damit an seine eigenen physiognomischen Versuche an, wie sie bereits die frühen Kriegerstudien zeigen (vgl. Inv. Nr. 1938-108 und 1938-109).
Runges Verhältnis zu Casanova war mehr als zwiespältig, denn nur knapp sechs Wochen später kam er in einem Brief an Daniel zu einem Urteil, das seine ganze Abneigung gegenüber der akademischen Lehre ausdrückt: „Dieser [Casanova] blieb so an einem Gedanken, der durch ein Bild allenfalls ausgedrückt würde, hangen, und glaubte vornämlich, das Beste liege darin, wie die Glieder der Figuren lägen, kurz, wie es sich mache. Wie ich diese Beschuldigung ihm beweise? – Seht einmal alle seine Schüler an, ob er nicht in allen ihr Talent und in den Besten sogar ein großes Genie ermordet hat? Denn das weiß ich aus ihrem eignen Munde, daß sie alle damit haben anfangen müssen, daß sie componiert haben; das heißt bey ihnen, sie haben verschiedne Figuren recht hübsch zusammensetzen müssen, so daß aus dieser Zusammensetzung am Ende eine bekannte Begebenheit kenntlich geworden ist; besonders aber sich in den verschiedensten Stellungen bey einer Composition üben müssen; dadurch sind sie am Ende dahin gekommen, dieser Art von Zusammensetzung eine große Rundung zu gegen und sie zulezt für das Große der Kunst (wie Gareis noch dieser Tage sich gegen mich ausdrückte) zu halten. Fragt man bey Hardorf selbst nach, ob ihm diese Behandlung nicht den Tod gethan hat? Casanova selbst habe ich nicht gekannt, aber aus dem Blick, den alle seine Schüler haben, womit sie gleich von vorn herein auf diese äußere Composition (wie ich sie nennen möchte) sehen, muß ich schlechterdings schließen, daß es dieses und seine schöne Zeichnung bloß war, was ihm so viel Ruf gebracht hat, und was er eigentlich von Mengs nur begriffen hat.“ (Anm. 6)
1 Stubbe 1960, S. 58.
2 Berefelt 1960, S. 208, Anm. 1.
3 Zitiert nach Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, hrsg. von Karl Friedrich Degner, Berlin 1940, S. 55.
4 Für Auskünfte danke ich Roland Kanz, Bonn, email vom 8. April 2014.
5 Auch Friedrich August von Klinkowström, der sich seit Sommer 1802 in Dresden aufhielt, zeichnete nach Casanovas Zeichnungen Zwei Jünger aus Raffaels Verklärung, 1802, schwarze Kreide, 470 x 630 mm, Privatbesitz, vgl. Friedrich. Runge. Klinkowström. Die Geburt der Romantik, Ausst.-Kat. Pommersches Landesmuseum Greifswald, Berlin 2010, S. 210, Abb. S. 128. Da Klinkowström offensichtlich erst 1803 Zugang zur Akademie hatte, ist nicht ausgeschlossen, dass sein Blatt nach Runges entsprechender Zeichnung (Inv. Nr. 1938-80) entstand.
6 Brief vom 6. Oktober 1801 an Daniel, zitiert nach HS II, S. 89-90.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten links monogrammiert und datiert: "POR July 1801" (Schwarze Kreide; verwischt)

Über dem Monogramm und der Datierung des Künstlers nochmals von der Hand Daniel Runges bezeichnet und datiert: "POR Jul 1801" (Feder in Grau); auf dem Verso unten rechts nummeriert: "26" (Bleistift)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; wohl als deren Geschenk an ihren Enkel Paul Runge (1835-1899), Berlin (Sohn des Otto Sigismund Runge (1806-1839); Philipp Otto Runge (1866-1925; Sohn des Vorigen), Berlin; Hans Runge (1900-?; Sohn des Vorigen), Berlin (bis 1938); erworben 1938 von C. G. Boerner, Leipzig

Bibliographie

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.26, 321, Nr.217f, Abb.

Deutsche Handzeichnungen der Romantikerzeit. Deutsche Graphik des frühen XIX. Jahrhunderts. Deutsche Zeichnungen der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, Auktion 199, 25. 5. 1938, C. G. Boerner, Leipzig 1938, S.15, Nr.133