Paolo Farinati (auch: Farinato)
Epimetheus öffnet die Büchse der Pandora, 1584 oder 1589
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Paolo Farinati (auch: Farinato)

Epimetheus öffnet die Büchse der Pandora, 1584 oder 1589

Paolo Farinati (auch: Farinato)

Epimetheus öffnet die Büchse der Pandora, 1584 oder 1589

Zeus ließ durch den Schmied Hephaistos die schön geformte Pandora, die „Allbeschenkte“, erschaffen. Er gab ihr eine Büchse, in dem alle Übel der Welt eingeschlossen waren, und ließ sie durch Hermes auf die Erde bringen. Pandora sollte damit den Diebstahl des Feuers durch Prometheus vergelten. Epimetheus („der zu spät Bedenkende, Erkennende“) nahm Pandora trotz der Warnungen seines Bruders Prometheus („der Vorausdenkende“) zur Frau. Als er die ihm von Pandora hingehaltene Büchse öffnete, kamen Übel und Leid über die Menschheit, nur die Hoffnung blieb in dem Gefäß zurück.
Diese bereits von Hesiod überlieferte Geschichte wurde 1508 von Erasmus von Rotterdam in seinen „Adagiorum chiliades tres“ („Dreitausend Sprichwörter“, I, XXXI) nacherzählt.(Anm.1) Im Gegensatz zu Hesiod ließ er allerdings offen, ob Pandora oder Epimetheus das Gefäß geöffnet hat.(Anm.2)
Die Zeichnung Farinatis, in Panofskys grundlegender Untersuchung zum Mythos nicht erwähnt, ist sicher eine der wirkungsvollsten Umsetzungen dieses literarischen Themas in der bildenden Kunst. Dargestellt ist Epimetheus, der soeben die Büchse geöffnet hat und der ganz offensichtlich vor dem sich ihm nun darbietenden Inhalt erschreckt. Oberhalb dieser Szene hat sich Prometheus, auf einer Wolke mit dem von Zeus gesandten, ihn quälenden Adler sitzend, von dem Geschehen abgewendet. Das von ihm gehaltene Spruchband – ein Zitat aus dem Erasmus-Text – verkündet, dass Epimetheus zweifellos zu spät ein kluger Mann geworden sei.(Anm.3) Farinati stellt damit nachdrücklich Epimetheus als Verantwortlichen heraus, während seine Künstlerkollegen zumeist Pandora die Büchse öffnen ließen und damit alle Schuld auf die Frau abwälzten.
Farinati ist in seiner Komposition deutlich den Bilderfindungen Veroneses verpflichtet, wie etwa dem Bacchus in der Villa Barbaro in Maser. Er zeichnet mit großer Sicherheit, einzig ein Pentimento am Kopf der Pandora deutet auf eine kleine Unentschlossenheit hin. Typisch für Farinati ist die Verwendung von Feder mit Weißhöhungen auf blauem Papier.(Anm.4) Wie zahlreiche andere seiner Zeichnungen hat der Künstler auch das Hamburger Blatt rechts unterhalb des Baumstumpfes mit einer Schnecke „signiert“. Das Blatt diente sicherlich als Präsentationszeichnung für ein Wandfresko. Hierauf deuten die obere Rahmenbegrenzung sowie die Putti an den Bildrändern hin. Weitere ganz ähnlich gezeichnete Blätter Farinatis zur Geschichte der Pandora und zu anderen mythologischen Themen deuten darauf hin, dass das Hamburger Blatt ehemals zu einer Entwurfsfolge zählte.(Anm.5) Jedoch lässt sich bislang kein entsprechender ausgeführter Zyklus nachweisen.
Im Louvre existiert eine motivisch genaue, etwas verkleinerte Kopie der Hamburger Komposition.(Anm.6) Bonnefoit schloß nicht aus, dass es sich dabei um das Werk eines anonymen Zeichners handelt, der im Auftrag von Everhard Jabach tätig gewesen ist.(Anm.7) Dies würde im Umkehrschluß aber bedeuten, dass sich das unbestritten als Original anerkannte Hamburger Blatt ursprünglich im Besitz des berühmten Sammlers befunden hat. Hierfür lassen sich jedoch weder auf dem Blatt selbst noch archivalisch Nachweise erbringen.(Anm.8)
Eine weitere im Louvre bewahrte Kopie nach der Hamburger Zeichnung ist deutlich flüchtiger gezeichnet.(Anm.9) Der direkte Bezug wird hier auch durch die Übernahme der auf dem Hamburger Blatt vermerkten inhaltlichen Erläuterung deutlich.
Das Blatt weist eine für italienische Zeichnungen auffallend lange Beschriftung mit Angaben zum Inhalt der Szene auf. Sie dürfte analog zu der wohl gesicherten Inschrift auf einem Blatt in Amsterdam aufgrund der charakteristischen Ähnlichkeiten eigenhändig sein.(Anm.10) Schwierig zu beurteilen sind die in der Beschriftung vermerkten Jahreszahlen, die sich wohl auf die Entstehung des Entwurfs beziehen lassen. Demnach könnte die Studie 1584 oder 1589 entstanden sein.

David Klemm

1 Vgl. Dora u. Erwin Panofsky: Die Büchse der Pandora. Bedeutungswandel eines mythischen Symbols, Sonderband der Edition Pandora, hrsg. v. Helga u. Ulrich Raulff, Frankfurt am Main, New York 1992 [Originalausgabe „Pandora’s Box“ 1956].
2 Vgl. Dora u. Erwin Panofsky: Die Büchse der Pandora. Bedeutungswandel eines mythischen Symbols, Sonderband der Edition Pandora, hrsg. v. Helga u. Ulrich Raulff, Frankfurt am Main, New York 1992 [Originalausgabe „Pandora’s Box“ 1956]; vgl. Bonnefoit in Jean Starobinski: Largesse, Ausst.-Kat. Paris, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins, Paris 1994, S. 189.
3 „Er hat zu spät begriffen“; auf der Zeichnung steht caepit statt coepit.
4 Vgl. unter anderem die Blätter der Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung; vgl. Geheimster Wohnsitz. Goethes italienisches Museum. Zeichnungen aus dem Bestand der Graphischen Sammlung der Kunstsammlungen zu Weimar (...),bearb. v. Hermann Mildenberger, Ursula Verena Fischer Pace, Sonja Brink, Lea Ritter-Santini, Im Blickfeld der Goethezeit III, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlung, Weimar 1999, S. 134–137, Nr. 31–33.
5 Vgl. z. B. „Hephaistos formt Pandora im Beisein von Athene“; Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 4908; vgl. Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 4904, 4909. Dabei handelt es sich um Kopien nach Farinatis Originalen. Vgl. Jean Starobinski: Largesse, Ausst.-Kat. Paris, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins, Paris 1994, S. 189.
6 Paris, Louvre. Inv.-Nr. 4906. Starobinski in Jean Starobinski: Largesse, Ausst.-Kat. Paris, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins, Paris 1994, S. 189.
7 Ebd.
8 Bei Py 2001 ist kein Nachweis angegeben.
9 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 14437.
10 Vgl. Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentencabinet, Inv.-Nr. 1955.181v; Italiaanse tekeningen II de 15de en 16de eeuw, bearb. v. L. C. J. Frerichs, Ausst.-Kat. Rijksmuseum Amsterdam, Amsterdam 1981, S. 33, Nr. 60.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Schriftband bezeichnet: "SERO NIMIRVM SAPERE CAEPIT [ligiert]" (Feder in Dunkelbraun)

Unten links nummeriert: "184[?]" (Feder in Braun); unten bezeichnet: "Pezo .3. terzo come pandora porto il vaso dili[?] infirmite al fratel di prometeo et lui lo aperse et li infirmite usete fuori et Lui fu pentito dil anis[?] aperto deto. vaso / Tramotana" (Feder in Braun); unten rechts wohl von fremder Hand bezeichnet: "P. Farinato Aprile. 1584[?]." (Feder in Braun); auf dem Verso unten links: Verkaufsstempel der Stadt Leipzig (L. 2137) ; rechts davon: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); unten in der Mitte bezeichnet: "Aprile 1589" (Feder in Braun); oberhalb davon bezeichnet: "a" (Bleistift); unten rechts bezeichnet: "P. Farinati" (Feder in Braun); unterhalb davon bezeichnet: "6-I." (Feder in Braun)

Provenienz

Jan Danser Nijman (gest. 1797; Versteigerungen 1797, 1798; vgl. Lugt, Ventes 5640, 5730); Heinrich Wilhelm Campe (1770-1862), Leipzig ( L. 1391; ohne Sammlermarke, aber mit Verkaufsstempel der Stadt Leipzig (L. 2731); Campe-Auktion, Leipzig 1827; dort ersteigert von C. G. Boerner für Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 1, S. 214 (als Paolo Farinato); NH Ad : 01 : 03, fol. 97 (als Paolo Farinato): "Prometheus Bruder öffnet die ihm von der Pandora dargehaltene Büchse. Oben erscheint Zeus auf einer Wolke mit der Legende SERO NIMIRVM SAPERE CAEPIT. Unterschrift Pezo terzo come pandora porto il uaso dile infirmite al fratel die prometeo et lui lo aperse et le infirmite usete fuori et lui fu pentito auer aperto deto uaso. Tramotana. P. Farinato. Aprile 1589. Nebst der gewöhnlichen Schnecke. Federzeichnung auf bl. Pap. in Seppia beendigt und gehöht. 10.5. 15.8 Samm. Nyman u Campe"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.170-171, Nr.213

Michael Matile: Gusto e Passione. Italienische Zeichnungen aus der Sammlung Gadola, , Graphische Sammlung der ETH Zürich 2004, S.22, Nr.bei Nr. 5

Petra Roettig, Annemarie Stefes, Andreas Stolzenburg: Von Dürer bis Goya. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2001, S.40-41, Nr.15, Abb.

Eckhard Schaar, David Klemm: Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1997, S.89, Nr.18, Abb.64

Jean Starobinski: Largesse, Ausst.-Kat. Paris, Musée National du Louvre 1994, S.189, Nr.bei Nr. 34 (als "modello" Farinatis für zahlreiche Kopien)

Hélène Sueur: Le dessin à Verona de 1530 à la peste de 1630.Paolo Farinati et son entourage. Catalogue raisonnée des collections de Louvre, Bd. 2, unveröffentlichtes Manuskript einer Doktorarbeit, Paris 1991, S.161-163, 166-167

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.22, Nr.98

Verzeichniss der Oelgemälde, Handzeichnungen und anderer Kunstgestände [...] in dem Campeschen unter No 1212 allhier gelegenen Hause, 24.9.1827, Auktion Leipzig 1827, Nr.646