Luigi Vanvitelli, der Sohn des holländischen Malers Gaspar Van Wittel, genannt Vanvitelli, hat sich in den Anfangsjahren seiner glanzvollen Architektenlaufbahn auch als Zeichner und Maler betätigt.
Typisch für eine Reihe von mit Vanvitelli in Verbindung gebrachten Zeichnungen sind die „leicht laufenden Linien, die das Gegenständliche in ein mehr oder weniger dünnfädiges Netz einfangen“(Anm. 1). Dieses Charakteristikum trifft auch für das Hamburger Blatt zu, das durch große Lebendigkeit und virtuose Federführung besticht.
Aufgrund der im oberen Bereich angedeuteten Rahmung könnte es sich bei dieser Zeichnung um eine erste Entwurfsskizze für eine Darbringung Christi im Tempel handeln. Stubbe hat eine weitere Zeichnung Vanvitellis mit diesem Entwurf in Verbindung gebracht, bei dem die Darbringung – allerdings seitenverkehrt – konkreter herausgearbeitet worden ist.(Anm. 2) Ein Gemälde mit diesem Thema lässt sich für Vanvitelli jedoch nicht nachweisen.
Zur Datierung des Hamburger Blattes kann eine für Vanvitelli gesicherte Entwurfs-zeichnung für den 1726 beauftragten Altar in der römischen Kirche S. Cecilia herangezogen werden. Der Künstler bereitete „Die Erscheinung des Erzengels vor den Hll. Caecilia und Valeriano“ u. a. mit zwei in Caserta und Rom bewahrten Studien vor, die ebenfalls die oben beschriebene virtuose Federtechnik aufweisen.(Anm. 3)
Die auf dem Verso erkennbare Studie einer mehrteiligen offenen Bogenstellung kann mit keinem bekannten Werk Vanvitellis verbunden werden. Es könnte sich dabei um eine Ideenskizze für eine Gartenarchitektur handeln, wie sie in Vanvitellis zeichnerischem Œuvre in ähnlicher Form mehrfach nachweisbar ist.(Anm. 4)

David Klemm

1 Wolf Stubbe: Erwerbungen für die Graphische Sammlung in den Jahren 1962 und 1963, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 9, 1964, S. 189-212, S. 193.
2 Ebd.; Mülheim-Niederweiler, Sammlung Tüngel, o. Inv.-Nr.; vgl. Cesare de Seta: Luigi Vanvitelli, Napoli 1998, S. 183–184, Nr. 13.
3 Caserta Reggia, Soprintendenza per i B.A.A.A.S., Inv.-Nr. 1830; Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, Gabinetto Nazionale delle Stampe, Inv.-Nr. 12534; vgl. Cesare de Seta: Luigi Vanvitelli, Napoli 1998, S. 182, Nr. 10–11, Abb. Ein weiteres, in diese Gruppe gehörendes Blatt mit der Darstellung „Das Wunder des Hl. Basilius bei der Messe“ befindet sich in Neapel, Museo Nazionale di San Martino, Inv.-Nr. 20654; vgl. Cesare de Seta: Luigi Vanvitelli, Napoli 1998, S. 296, Nr. 268, Abb.
4 Vgl. z. B. Cesare de Seta: Luigi Vanvitelli, Napoli 1998, S. 217, Nr. 83–84.