Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Zeichner
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Zeichner
Das Blatt stammt wahrscheinlich aus einem Skizzenbuch. Ăhnliche Zeichnungen Tischbeins in Weimar aus den Jahren 1813/14 sind dort zu einer Art âSkizzenbuchâ zusammengebunden worden (Anm. 1), doch ist das Hamburger Blatt bereits zu Beginn des Jahrhunderts entstanden. Tischbeins eigenhĂ€ndige Beschriftung verweist auf die Entstehung des Blattes an dem Abend, an dem ein GemĂ€lde bei ihm bestellt worden ist. Das von Tischbein genannte Tafelbild ist mit dem GemĂ€lde âAias und Kassandraâ zu identifizieren, das sich heute in Eutin im GroĂherzoglichen Schloss befindet.(Anm. 2) Das GemĂ€lde, das im Auftrag Herzogs Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg (1755â1829) entstand, hatte Tischbein bereits 1802 mit zahlreichen Studien begonnen (Anm. 3), doch zog sich dessen Fertigstellung bis 1806 hin. Das Blatt zeigt Kassandra, wie sie von Aias vom Altar fortgerissen wird, den sie nach ihrer Flucht in das Heiligtum der Athene aufgesucht hatte, damit er ihr damaliger Sitte zufolge Sicherheit gewĂ€hre.(Anm. 4) Der Beschriftung zufolge dĂŒrfte das Blatt Tischbeins erster Entwurf zur Kassandra sein, die nahezu unverĂ€ndert ins GemĂ€lde â allerdings bekleidet â ĂŒbernommen wurde.
Tischbein hatte sich bereits frĂŒher mit dem Thema âAias und Kassandraâ beschĂ€ftigt: In den 1790er Jahren wĂ€hrend seines Aufenthalts in Neapel hatte Tischbein die Vasensammlung des damals berĂŒhmtesten Vasensammlers Sir William Hamilton (1730â1803) als reine Umrisszeichnungen publiziert, darunter eine Szene mit Aias und Kassandra (Anm. 5), die Tischbein auch als aquarellierte Fassung ausgefĂŒhrt hat.(Anm. 6)
Peter Prange
1 Weimar, Klassik Stiftung Weimar und Kunstsammlungen, Graphische Sammlung: Skizzenbuch J. W. Tischbeins 1813/14, besonders S. 2723.
2 Siehe Landsberger 1908, S. 196, Nr. 114.
3 Aus Tischbeinâs Leben und Briefwechsel, hrsg. v. Friedrich von Alten, Leipzig 1872, S. 129. Eine ausgefĂŒhrtere Studie zur Kassandra befand sich zuletzt im Kunsthandel, vgl. Auk.-Kat. New York 2003, S. 77, Nr. 193, XI, Pl. III.
4 Homer, Odyssee 4, 499 ff.
5 Johann Wilhelm Heinrich Tischbein: Collection of Engravings from Ancient Vases Mostly of Pure Greek Workmanship discovered in sepulchres in the kingdom of the two Sicilies but chiefly in the neighbourhood of Naples, during the course of the years 1789 and 1790, 4 Bde, Neapel 1791â1795.
6 Sacramento, Crocker Art Museum, Inv.-Nr. 1871.1007, vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Central European Drawings in the Collection of the Crocker Art Museum, Turnhout 2004, S. 252â253.
Details zu diesem Werk
Beschriftung
Unten bezeichnet: "Erste Skizze zur Cassantera den nehmlichen Abende als das Bild mir bestelt wordn(?)." (Feder in Braun)
Oben links bezeichnet: "Joh Heinr. Wilh. Tischbein" (schwarze Kreide)Wasserzeichen / Kettenlinien
"PIETER DE VRIES & COMP" (1799)
Verso
Titel verso: Zwei Federskizzen eines Lamakopfes(?), darĂŒber ein Text
Technik verso: Feder in Braun
Provenienz
Johann Valentin Meyer (1747-1811)?, Hamburg (L. 1551 a, Suppl.); Georg Christian Lorenz Meyer (1787-1866)?, Hamburg (nicht bei Lugt); Arnold Otto Meyer (1825-1913), Hamburg (L. 1994); Eduard Lorenz Lorenz-Meyer (1856-1926), Hamburg; Albrecht Lorenz Lorenz-Meyer (1891-1960), Hamburg (nicht bei Lugt); von diesem 1951 der Kunsthalle geschenkt
Bibliographie
Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Katalog, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 1, Köln u.a. 2007, S.349-350, Nr.1007