Johann Christoph Erhard
Blick auf Olevano von Osten, 1821
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Johann Christoph Erhard

Blick auf Olevano von Osten, 1821

Johann Christoph Erhard

Blick auf Olevano von Osten, 1821

In Olevano entstanden 1821 mehrere Bleistift- und Federzeichnungen, die das Bergstädtchen von Norden, zumeist vom Monte Sant‘ Arcangelo aufgenommen, zeigen.(Anm. 1) Die Blätter dienten zur Vorbereitung der Radierung „Olevano“ (Anm. 2), die wahrscheinlich als letzte Druckgraphik von Erhard entstand. Die Zeichnungen sind teilweise vor der Natur, die unmittelbaren Vorzeichnungen zur Komposition der Radierung wohl erst nach Erhards Rückkehr aus Olevano im Herbst in Rom entstanden. Allen gemeinsam ist das Ringen um die Lösung gestalterischer Probleme, die sich vor allem auf die Wahl des Standorts und die Staffage beziehen, für die Erhard unterschiedliche Lösungen durchspielte.
Noch nicht in den unmittelbaren Zusammenhang der Radierung gehört wohl Inv.-Nr. 56389, auf dem sich Erhard auf die präzise Darstellung der kubischen Häusergruppen konzentriert, während die umgebende Landschaft nur skizzenhaft summarisch angegeben wird. Marleen Gärtner hat in dem präzisen Duktus eine Orientierung an der „altmeisterlich strengen, reduzierten Formensprache der Nazarener“ erkennen wollen, die zu einer abstrakt-immateriellen Flächigkeit tendiert, weshalb sie den Einsatz optischer Hilfsmittel wie die um 1820 verbreitete Camera Lucida vermutet.(Anm. 3)
Die Suche nach Lösung gestalterischer Probleme belegt auch Inv.-Nr. 23181, das am Beginn der Zeichnungen steht, die als Vorarbeiten für die Radierung bezeichnet werden können.(Anm. 4) Das Blatt ist sicher noch als Naturstudie in Olevano entstanden, doch ist das Bemühen um eine bildhafte Geschlossenheit sichtbar, wofür vor allem die Anstückung am rechten Rand ein Indiz ist, die Raum für die rahmende Vegetation bietet. Erhard hat aber noch nicht den richtigen Standort gefunden, der erst auf Inv.-Nr. 23182 gefunden ist, das weitgehend dem Standort und dem Ausschnitt der Radierung entspricht. Der Blick vom Monte Sant‘ Arcangelo nördlich von Olevano geht auf Joseph Anton Koch zurück, der die Ansicht von Norden erschlossen hat, die später von den meisten Künstlern wie z. B. Franz Horny, Adrian Ludwig Richter oder Heinrich Reinhold bevorzugt worden. Reinholds Ansicht von Norden (Inv.-Nr. 47325) dürfte dabei gleichzeitig mit Erhards Ansicht entstanden sein; es ist vorstellbar, dass beide nebeneinander gezeichnet haben. Der Vergleich zeigt die noch größere Strenge und Regelmäßigkeit des Duktus bei Reinhold, während besonders Erhards Binnenzeichnung differenzierter ist, die den Bergrücken weniger kristallin erscheinen lässt. Erhard scheint sich die Lösung gestalterischer Probleme wie den Vordergrund rechts etappenweise zu erarbeiten, der der Radierung bereits nahekommt, während er links mit der Staffage experimentiert. Trotz des Bemühens um bildhafte Geschlossenheit, die die angedeuteten Bäume rechts und links vermitteln, ist auch diese Ansicht zum größten Teil vor der Natur entstanden.
Das Hamburger Blatt Inv.-Nr. 23182 diente Erhard als Grundlage für ein Blatt in Berlin (Anm. 5), auf dem er sich auf die Ausarbeitung des Vordergrundes konzentrierte. Hier erscheint erstmals die charakteristische Gruppe von sich überschneidenden Bäumen, neben der links ein einzelner, kleiner Baum steht. Zwischen ihnen geht ein Hirte (?) talwärts, der nur angedeutet ist, doch ist er für die Bildfindung wichtig, denn damit ist die endgültige Position der Staffage festgelegt.
Die folgenden, die Radierung vorbereitenden Blätter zeigen eine veränderte Gestaltung des Vordergrundes, die der Radierung entspricht. Die auf den bisherigen Blätter links offene, den Blick in die Ebene freigebende Seite wird durch einen mit Bäumen bewachsenen Felsabhang so geschlossen, dass zwei klar voneinander getrennte Raumschichten mit dem höher gelegenen Vordergrund und dem im Tal auf einem Felsenrücken gelegenen Dorf entstehen. Ihr Verhältnis zueinander im Hinblick auf den Entstehungsprozess der Radierung ist dabei nicht ohne weiteres zu bestimmen, da Erhard weiterhin die Gestaltung des Vordergrundes und der Staffage bis zuletzt variierte. Das Format der Darstellung auf einem Blatt in München (Anm. 6) entspricht der Radierung (Anm. 7), doch sind die beiden auf der Radierung prägnant herausgearbeiteten Felsplatten im mittleren Vordergrund, auf der Zeichnung noch nicht als solche definiert. Auch findet sich auf diesem Blatt noch eine talwärts gewandte, mit dem Bleistift nur angedeutete Staffage, die ähnlich auf dem Verso einer weiteren Zeichnung in Hamburg erscheint (Inv.-Nr. 23183 verso). Die Bewegungsrichtung ins Tal wird durch zwei weitere am Abhang stehende Figuren, die an gleicher Stelle bereits auf der Berliner Zeichnung erscheinen, unterstützt. Sie sind auch auf der Vorderseite sichtbar, doch nur schemenhaft in Bleistift angelegt und mit der Feder überzeichnet. Erhard hat die Versoseite auf die Vorderseite durchgepaust, doch nur die Gesamtanlage der Komposition. Die Gestaltung des Vordergrundes hat Erhard hier wiederum überarbeitet – so variiert die Anzahl der Bäume am rechten bzw. linken Rand wie auch die Gestaltung der gegenüberliegenden Seite – und die Bewegungsrichtung der Staffage verändert. Während auf dem Verso zwischen den Bäumen ein Landmann erscheint, der wohl talwärts geht, reitet auf der Vorderseite ein Landmann aus dem Tal heraus, dem ein Jäger vorausgeht. Die Ausarbeitung mit der Feder macht die einzelnen Landschaftsgründe im Sinne der Radierung sichtbarer, deren Lichtwirkung Erhard auf dem Blatt erprobt. Mittels Schraffuren legte er die Helldunkelwirkung fest, die in der Verteilung von Licht und Schatten dem dramatisch aufgeladenen Charakter der Radierung nahe kommt. Die mit dem Bleistift gezogene Rahmung belegt zudem den finalen Charakter des Blattes, auch wenn es in den Abmessungen noch etwas größer als die Radierung ausfällt.
Auf eine Durchzeichnung von Inv.-Nr. 23183 geht auch Inv.-Nr. 47323 zurück, das als Blatt Johann Joachim Fabers 1913 im Hamburger Antiquariat Dörling erworben wurde, und ehemals zu Harzens Sammlung gehörte. Es ist teilweise durchgegriffelt, doch nicht als „endgültige Vorzeichnung für die Radierung“ (Anm. 8) anzusehen, da der Vordergrund – vor allem die Baumgruppe am linken Rand – von der Radierung abweicht. Das Blatt diente vielmehr der endgültigen Festlegung der Staffage, die wie auf der Radierung aus einer auf einem Esel reitender Bäuerin besteht, der ein Bauer vorausgeht. (Anm. 9) Erkennbar ist, dass die Bäuerin zunächst offensichtlich frontal auf dem Esel saß, doch Erhard nachträglich ihre Position änderte. Ausradierungen und das wiederholte Nachzeichnen der Konturen verdeutlichen Erhards Ringen um die endgültige Form.
Es ist anzunehmen, dass das Blatt in München und die beiden Hamburger Blätter (Inv.-Nr. 23183 und 47323) erst in Rom im Atelier entstanden sind, doch lässt sich keine der erwähnten Zeichnungen als endgültige, mit der Radierung übereinstimmende Vorzeichnung bestimmen. Alle Zeichnungen weichen in Details in der Angabe des Vordergrunds – vor allem in der Staffage, aber auch in der Anlage der Bäume rechts, deren Anzahl variiert, und des linken Anhangs -, weshalb offen bleiben muss, ob eine endgültige Vorzeichnung existiert hat. Sie scheint vielleicht auch nicht zwingend nötig gewesen zu sein, denn Erhard hat die Arbeit an der Radierung offensichtlich als offenen Prozess verstanden, der immer wieder variiert werden konnte. Insofern ist die endgültige Festlegung auch erst auf der Platte vorstellbar, wofür auch sprechen könnte, dass Erhard die Platte überarbeitet hat. Apell erwähnt, dass der erste Druck nicht vollendet war und freie Stellen aufwies, die Erhard nachgearbeitet hat. (Anm. 10)

Peter Prange

1 Zur Lokalisierung vgl. Domenico Riccardi: Gli artisti romantici tedeschi del primo Ottocento a Olevano Romano, Mailand 1997, S. 160, Nr. 33.
2 Aloys Apell: Das Werk von Johann Christoph Erhard, Maler und Radirer, Dresden 1866, S. 69-70, Nr. 95.
3 Gärtner 2012, S. 165.
4 Möglicherweise ging dem Blatt noch Inv.-Nr. 23184 verso voraus.
5 Nordansicht von Olevano, Bleistift, 225 x 293 mm, Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. SZ 18, vgl. Gärtner 2012, S. 317, Nr. 534.
6 Olevano von Norden, Bleistift, Feder in Braun, 203 x 295 mm (Blatt), 190/191 x 271 mm (Darstellung), München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 26254, vgl. Gärtner 2012, S. 317, Nr. 535.
7 Platte 207 x 313 mm, Darstellung 190 x 271 mm.
8 Gärtner 2012, S. 170.
9 Gärtner 2012, S. 170, assoziert mit der Staffage die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten, doch beabsichtigte Erhard kaum eine religiöse Deutung der Szene, zumal das Kind fehlt.
10 Apell 1866, S. 70.

Details zu diesem Werk

Provenienz

Nachlass des Künstlers, Rom, 1822; Johann Benjamin Erhard d. J., Nürnberg (Bruder des Künstlers); von dort erworben durch Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (Lugt 1244); dessen Legat 1863 an die Stadt Hamburg für ein zukünftiges Museum, 1869 der neu eröffneten Kunsthalle übergeben (Archiv der Hamburger Kunsthalle, Nachlass Harzen, Inventar Ad: 01: 20, Fol. 699: "Große und theatralische Ansicht von Olevano nebst Borgo Maleffitto. Bleist. Br 15.0 H. 10.6")

Bibliographie

Marleen Gärtner: Johann Christoph Erhard (1795-1822). Sein Leben und seine Zeichnungen, Marburg 2013 (sic; 2012), S.165, 316, Nr.527, Abb.60 auf S. 395

Heinke Fabritius: Die italienischen Landschaftszeichnungen Franz Hornys. Eine Studie zum bildnerischen Denken um 1820, Berlin 2012, S.185, Anm. 452, Abb.Nr. 58

Peter Märker: Der Traum vom Süden. Johann Heinrich Schilbach (1798-1851). Zeichnungen, Aquarelle, Ölstudien und Gemälde, Ausst.-Kat. Hessisches Landesmuseum, Darmstadt, Heidelberg 2000, S.150, Nr.bei Nr. 16

Petra Kuhlmann-Hodick, Claudia Valter: und Kupferstich-Kabinett Staatliche Kunstsammlungen Dresden: "... ein Land der Verheissung". Julius Schnorr von Carolsfeld zeichnet Italien, Köln 2000, S.273, 286, Nr.bei Nr. 107, bei Nr. 129

Johann Christoph Erhard (1795-1822). Der Zeichner, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg 1996., S.270-271, Nr.103, Abb.

Deutsche Künstler um Ludwig I. in Rom, Ausst.-Kat. Staatliche Graphische Sammlung München, München 1981, S.31, Nr.bei Nr. 26

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 1: Carl Blechen (1798-1840) bis Friedrich Olivier (1791-1859), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973., S.1989, Abb.S. 276

Coriolano Belloni: I pittori di Olevano, Florenz 1970, S.70, Abb.Taf. XIX

Wolf Stubbe: Italienreise um 1800. Aquarelle und Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1958, S.31, Nr.155