Jan Havicksz. Steen, (?) Gabriel Metsu, ehemals zugeschrieben
Stehende Frau, in der Rechten einen Staubwedel, um 1660
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Jan Havicksz. Steen, (?) Gabriel Metsu, ehemals zugeschrieben

Stehende Frau, in der Rechten einen Staubwedel, um 1660

Jan Havicksz. Steen, (?) Gabriel Metsu, ehemals zugeschrieben

Stehende Frau, in der Rechten einen Staubwedel, um 1660

Eine Frau hält einen Staubwedel wie ein Zepter in der rechten Hand und richtet den linken Arm gebieterisch zu Boden. Dieser Gestus stellt sie im weitesten Sinne in die Nähe von Darstellungen der „herrschenden Frau“.(Anm.1) Bei Gabriel Metsu, dem das Blatt bisher zugeordnet war, findet diese Thematik inklusive des humoristischen Untertones keinen Widerhall.(Anm.2) Auch den wenigen für Metsu gesicherten Zeichnungen lässt sich unser Blatt nicht anschließen.(Anm.3) Eine gewisse Verwandtschaft besteht einzig zu der Pariser „Pfannkuchenbäckerin“, die jedoch, bei feiner verwobenen graphischen Strukturen akkurater gearbeitet ist.(Anm.4)
Auf die stilistische Verwandtschaft zu einem ehemals Anthonie Palamedesz. (1601–1673) zugeschriebenen Blatt in Paris verwies Peter Schatborn, doch sprechen Unterschiede in der Behandlung der dort linear definierten, hier durch gestrichelte Umrisse angedeuteten Gesichtszüge gegen gemeinsame Urheberschaft.(Anm.5) Auch für die feinen, kurz angerissenen Strukturlinien im Bereich von Stirnhaar und Staubwedel findet sich im Pariser Blatt kein Äquivalent.
Aus thematischer Sicht wäre eher ein Zusammenhang mit Jan Steen in Betracht zu ziehen.(Anm.6) Diesem sind nur zwei Figurenstudien in Amsterdam mit Sicherheit zuzu-schreiben, denen sich das Hamburger Blatt grundsätzlich vergleichen lässt.(Anm.7) Dies betrifft die straff umrissenen Füße, die etwas sperrig wirkenden Ärmel und die stellenweise gedoppelte Kontur. In beiden Fällen belegen Pentimenti die Suche nach der endgültigen Form, auf dem Hamburger Blatt gut zu erkennen im Bereich der rechten Hand. Allerdings sind die Amsterdamer Figurenstudien bei stärker kontrastierenden Schattenpartien in den Tonwerten abwechslungsreicher gestaltet,(Anm.8) während auf vorliegender Zeichnung größeres Augenmerk den präzise erfassten Texturen von Staubwedel, Haaren und Kragen gilt. Vergleichbare Partien der authentischen Steen-Zeichnungen sind bei stellenweise ähnlich vibrierend bewegtem Strich doch summarischer angelegt.
Diese Unterschiede wären grundsätzlich durch die stilistische Weiterentwicklung zu erklären, wenn man in Betracht zieht, dass die Amsterdamer Zeichnungen in den 1650er Jahren entstanden sein müssen, während die Tracht der „Stehenden Frau mit Staubwedel“ auf eine Entstehung in den 1660er Jahren deutet. Aus diesen Gründen soll das Hamburger Blatt hier erstmals Jan Steen zugeordnet werden, jedoch unter Vorbehalt, solange kein unmittelbarer Bezug zu dem gemalten Œuvre hergestellt werden kann.

Annemarie Stefes

1 Vgl. Inv.-Nr. 52374 mit weiteren Beispielen. Thematisch verwandt ist ein Emblem aus Jan Luykens „Leerzam Huisrad“ von 1711, das unter dem Titel „De Raagbol“ eine Frau mit Staubwedel zeigt (S. 78) und eindeutig als moralischer Appell zur Reinhaltung des Herzens zu verstehen ist.
2 Zu diesem Ergebnis kam auch Adriaan Waiboer auf Grundlage einer Digitalphotographie (freundliche Mitteilung vom 5. 2. 2009).
3 Während Lugt (Frits Lugt: Rezension zu Pauli 1924, in: Onze Kunst 41, 1925, Nr. 22, S. 162-165) die alte Zuschreibung an Metsu bestätigt sah, wurde dessen Autorschaft von Van Regteren Altena (J.Q. van Regteren Altena: Gabriel Metsu as a Draughtsman, in: Master Drawings 1, 1963, S. 13-19) und Waiboer (Adriaan E. Waiboer, Michiel Franken: Northern Nocturnes. Nightscapes in the age of Rembrandt, Ausst.-Kat. Dublin, National Gallery of Ireland, Dublin 2005) bezweifelt. Die wenigen Metsu mit Sicherheit zuschreibbaren Blätter ergeben nach mündlicher Mitteilung Adriaan Waiboers vom 5. 2. 2009 ein eher heterogenes Bild: Die monogrammierte und um 1650/53 anzusetzende „Auferstehung Christi“ in Montpellier, Musée Fabre, Inv.-Nr. 3661, Egbert Haverkamp Begemann: A 'Resurrection of Christ' by Gabriel Metsu, in: Was getekend ... liber amicorum Prof. Dr. E.K.J. Reznicek, Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek, 38, 1987, S. 93-96, Abb. 2, unterscheidet sich von der ungleich kräftiger gearbeiteten, wohl in den frühen 1660er Jahren entstandenen „Studie einer sich die Hände waschenden Frau“, Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 929, Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, bearb. Peter Schatborn, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, S. 85, Abb. 1.
4 Paris, Petit Palais, Sammlung Dutuit, Inv.-Nr. D-Dut 1003, Regards sur l'art hollandais du XVIIe siècle. Frits Lugt et les Frères Dutuit, collectionneurs, Ausst.-Kat. Paris 2004, Nr. 63.
5 Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 1217, bei Verwandtschaften in der gelegentlich spröde wirkenden Modellierung und den drahtigen, stellenweise gedoppelten Konturen, vgl. Schatborn, in: Peter Schatborn, Karel G. Boon: Dutch Genre Drawings of the Seventeenth Century, Ausst.-Kat. New York, Pierpont Morgan Library, Boston, Museum of Fine Arts, Chicago, The Art Institute of Chicago 1972, S. 51, bei Nr. 78. – Gegen die Zuschreibung an Palamedesz. vgl. Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, bearb. Peter Schatborn, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, S. 76.
6 Vgl. die ähnlich gekleidete Magd auf der um 1661/62 anzusetzenden „Arztvisite“, London, Apsley House, Wellington Museum (Leihgabe des Victoria & Albert Museums), H. Perry Chapman, Wouter Th. Kloek, Arthur K. Wheelock jr. jr.: Jan Steen: Painter and Storyteller, Ausst.-Kat. Washington, National Gallery, Amsterdam, Rijksmuseum, Zwolle 1996, Nr. 16. An Jan Steen sah sich auch Adriaen Waiboer für die Geste der Frau erinnert (Mitteilung per E-Mail, 5. 2. 2009).
7 „Sitzender Mann“ bzw. „Kegelnder Mann“, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1888-A-1514 recto und verso, Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, bearb. Peter Schatborn, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, Nr. 90.
8 Hinweis von Peter Schatborn bei grundsätzlich positiver Bewertung der hier vorgeschlagenen Assoziation mit Jan Steen, 16. 5. 2009.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts bezeichnet: "G. Metzu" (Feder in Braun); verso unten links Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

Buchstaben PB, unten durch einen Strich verbunden
23-24 mm (v) (angestückter Streifen, soweit erkennbar, ähnlich strukturiert)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 43: "[Gabriel Metzu.] Eine Hausfrau mit einem Fliegenwedel in der Hand, in gebietener Stellung. Bez G. Metzu. Kreidestudie 6.6.10.6"; NH Ad: 02: 01, S. 257); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.529-530, Nr.1002

Dutch Genre Drawings of the Seventeenth Century, Ausst.-Kat. New York u.a. 1972

J.Q. van Regteren Altena: Gabriel Metsu as a Draughtsman, in: Master Drawings 1, 1963, S. 13-19, S.15

Gustav Pauli: Zeichnungen alter Meister in der Kunsthalle zu Hamburg. Niederländer, hrsg. von Hamburger Kunsthalle, Veröffentlichungen der Prestel-Gesellschaft., Bd. 8, Frankfurt a. M. 1924, Abb.Taf. 33

Frits Lugt: Rezension zu Pauli 1924, in: Onze Kunst 41, 1925, Nr. 22, S. 162-165, S.164