Jacob Adriaensz. Backer
Liegender weiblicher Akt, 1645 - 1646
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Jacob Adriaensz. Backer

Liegender weiblicher Akt, 1645 - 1646

Jacob Adriaensz. Backer

Liegender weiblicher Akt, 1645 - 1646

Die Zuschreibung dieser Zeichnung an Jacob Backer, erstmals vorgeschlagen von Gustav Pauli, gilt heute als akzeptiert.(Anm.1)
Das Blatt wurde mit unterschiedlichen Werken assoziiert. Röver-Kann und Schatborn wiesen auf die stilistische Nähe zu der Studie eines „Weiblichen Aktes in Rückenansicht“, die zeitweise Ferdinand Bol zugeschrieben war, zuletzt aber als Werk Backers publiziert wurde.(Anm.2) Diese Zeichnung diente wohl als Ausgangspunkt für eine Gemäldefigur, wobei das entsprechende Bild, „Cimon und Ephigenia“ aus ehemaligem Besitz der Kunsthalle Bremen, zuletzt nicht mehr als Werk des Backer, sondern als Kopie nach Bol betrachtet wurde.(Anm.3) Darüber hinaus stimmt die Körperhaltung des Hamburger Rückenaktes nahezu überein mit einer sicher Backer zuschreibbaren „Studie einer bekleideten Frau“.(Anm.4)
Im Katalog der Backer-Ausstellung 2008 wurde auf den Kontext zu zwei weiteren Zeichnungen Backers verwiesen: der „Studie eines aufblickenden weiblichen Akts“ in Cambridge (Mass.) und der „Studie eines herabblickenden weiblichen Akts“ in Berlin.(Anm.5) Das Modell der Berliner Zeichnung begegnet aus leicht nach rechts versetztem Blickpunkt auch auf einer 1648 datierten Zeichnung des Govert Flinck.(Anm.6)
Anhand dieses „Zeichnungspaares“ lassen sich die unterschiedlichen stilistischen Schwerpunkte beider Künstler exemplarisch vor Augen führen. Bei Backer sind dies die fein nuancierten Übergänge in der Modellierung, während Flinck stärkeres Gewicht auf klare Helldunkelkontraste legt.(Anm.7) Hinzu kommt bei Backer eine Tendenz zur eleganten, stilisierten Linienführung.(Anm.8)
Diese Eigenschaften sind auch auf unserem Blatt zu beobachten, bei allerdings stellenweise fester und entschiedener gegebenen Konturen und weniger differenzierterer Modellierung. Peter van den Brink sieht in diesen Abweichungen einen Hinweis auf etwas frühere Entstehung.(Anm.9)
Die Reihe der motivischen Bezüge lässt sich erweitern um die in ähnlicher Haltung liegende unbekleidete Nymphe auf der Pariser Kompositionsskizze „Cimon und Ephigenia“.(Anm.10) Diese Zeichnung galt bisher als Werk des Govert Flinck, wurde kürzlich aber Bartholomeus Breenbergh zugeschrieben.(Anm.11) Ein direkter Zusammenhang zu unserer Studie, wie noch von Lugt vorgeschlagen, ist sicher auszuschließen.(Anm.12) Die skizzierte Nymphe ist in weniger starker Verkürzung wiedergegeben als der liegende Frauenakt der Hamburger Zeichnung. Vermutlich griff der Zeichner des Pariser Blattes auf eine verlorene Figurenstudie zurück, die aus leicht versetztem Standpunkt in einer gemeinsamen Sitzung nach dem gleichen Modell gezeichnet wurde, und dies vielleicht wirklich von Bartholomeus Breenbergh.(Anm.13)
Letztlich lässt sich diesem vielfältigen und nicht immer leicht zu entwirrenden Bezie-hungsgeflecht zweierlei entnehmen: Dass sich erstens die Amsterdamer Historienmaler in gemeinsamen Zeichenstunden dem Aktstudium widmeten und sich so einen Fundus für entsprechende Gemäldefiguren erarbeiteten, aber sich, zweitens, auch gegenseitig inspirierten bzw. in Motivzitaten aufeinander Bezug nahmen.(Anm.14) Ein übereinstimmendes Motiv ist daher nicht selbstredend Hinweis auf den Urheber, was die Bestimmung dieser „Academiebeelden“ grundsätzlich erschwert.

Annemarie Stefes

1 Peter Schatborn auf dem Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; vgl. auch Kersten, in: Peter van den Brink, Jaap van der Veen u.a.: Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, S. 193.
2 Privatbesitz, Amsterdam, Peter van den Brink: Uitmuntend Schilder in het Groot. De Schilder en Tekenaar Jacob Adriaensz. Backer, in: Jacob Backer (1608/9 - 1651), Ausst.-Kat. Amsterdam/Aachen 2008, S. 27-84, S. 79, Abb. 92. Vgl. Peter Schatborn auf dem Symposium in der Hamburger Kunsthalle, siehe Anm. 1 und Röver-Kann, in: Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 32.
3 Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 32, Abb. c; in Unkenntnis des Originals ist diese Frage allerdings kaum mehr zu klären.
4 Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Inv.-Nr. kkgb7082, Peter van den Brink, Jaap van der Veen u.a.: Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, Nr. 48.
5 Cambridge (Mass.), Harvard Art Museum/Fogg Museum, Sammlung Maida und George Abrams, Promised Gift, Inv.-Nr. 25.1998.107, Peter van den Brink, Jaap van der Veen u.a.: Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, Nr. 55, und Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 1327, ebd. Nr. 54 b.
6 Cambridge (Mass.), Harvard Art Museum/Fogg Museum, Sammlung Maida und George Abrams, Promised Gift, Inv.-Nr. 25.1998.50, Peter van den Brink, Jaap van der Veen u.a.: Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, Nr. 54 a. Gemeinsame Zeichen-„Kollegies“ nach dem weiblichen Aktmodell sind für Backer, Flinck und andere Rembrandt-Schüler für die Zeit um 1648/49 auch dokumentarisch nachgewiesen, vgl. Peter van den Brink: Uitmuntend Schilder in het Groot. De Schilder en Tekenaar Jacob Adriaensz. Backer, in: Jacob Backer (1608/9 - 1651), Ausst.-Kat. Amsterdam/Aachen 2008, S. 27-84, S. 69–71. Entgegen der gängigen Auffassung betrachtete Röver-Kann, in: Peter van den Brink, Jaap van der Veen u.a.: Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, Backers Figurenstudien nicht als Modellstudien, sondern als freie Variationen eines Themas.
7 Peter van den Brink: Uitmuntend Schilder in het Groot. De Schilder en Tekenaar Jacob Adriaensz. Backer, in: Jacob Backer (1608/9 - 1651), Ausst.-Kat. Amsterdam/Aachen 2008, S. 27-84, S. 71–72, 74.
8 So auch Peter Schatborn auf dem Symposium in der Hamburger Kunsthalle, siehe Anm. 1.
9 In einer E-Mail vom 22. 11. 2009.
10 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 21925, vgl. Frits Lugt: Rezension zu Pauli 1924, in: La Revue d'Art 47, 1925 und Frits Lugt: École hollandaise, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins. Inventaire général des dessins des écoles du Nord, Bd. 1, Paris 1929.
11 Von Kersten, in: Peter van den Brink, Jaap van der Veen u.a.: Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, S. 193, wurde das Blatt unter der traditionellen Zuschreibung an Flinck zitiert, während Van den Brink an gleicher Stelle, S. 80, die Autorschaft Breenberghs favorisierte.
12 Dafür votierte auch Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 1, Backer - Bol, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1979.
13 Ein direkter Kontakt zwischen Breenbergh und Backer in den mittleren 1640er Jahren würde bestätigt durch die stilistische Nähe zwischen dem Hamburger Blatt und der Breenbergh zugeschriebenen „Studie eines liegenden Männeraktes“, Cambridge (Mass.), Harvard Art Museum/Fogg Museum, Inv.-Nr. 1996.303 (Ölkohle und weiße Kreide auf blauem Papier, 248 x 358 mm), Peter van den Brink: Uitmuntend Schilder in het Groot. De Schilder en Tekenaar Jacob Adriaensz. Backer, in: Jacob Backer (1608/9 - 1651), Ausst.-Kat. Amsterdam/Aachen 2008, S. 27-84, S. 81, Abb. 95. Dieses Blatt ist eine Vorstudie zu seinem Gemälde von 1646, „Venus betrauert den Tod des Adonis“ in gleicher Sammlung, Inv.-Nr. 1997.5. Die aus der stilistischen Verwandtschaft beider Zeichnungen (in den kompakten Formen, der differenzierten Modellierung, den kräftigen Umrisslinien) abzuleitende Möglichkeit einer Zuschreibung auch unserer Zeichnung an Breenbergh wird von Peter van den Brink gleichwohl ausgeschlossen (Mitteilung per E-Mail, 22. 11. 2009). Breenbergh arbeitete als Figurenzeichner in einem noch etwas flamboyanteren Stil als Backer. Im Gegensatz dazu wird die „Studie eines liegenden weiblichen Aktes“ in Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. Z 365, von Peter van den Brink: Uitmuntend Schilder in het Groot. De Schilder en Tekenaar Jacob Adriaensz. Backer, in: Jacob Backer (1608/9 - 1651), Ausst.-Kat. Amsterdam/Aachen 2008, S. 27-84, S. 80 dem Breenbergh-Corpus angeschlossen; bei Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 4, Fabritius - Furnerius, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 944 x und Döring, in: Ausst.-Kat. Braunschweig 2006, Nr. 16 galt sie als Werk des Govert Flinck. Von den Autoren des Ausstellungskatalogs Chicago 1969 wurde sie stilistisch mit der Hamburger Zeichnung assoziiert, wirkt aber geschmeidiger und eleganter in der Linienführung. In der Körperhaltung einer Nymphe auf der unter Anm. 10 erwähnten Louvre-Zeichnung entsprechend, wäre der Braunschweiger Frauenakt als potentielle Vorstudie zu bewerten, worauf bereits Frits Lugt: Rezension zu Pauli 1924, in: La Revue d'Art 47, 1925, S. 164 verwies.
14 Diese Vorgehensweise wird auch belegt durch einen überarbeiteten Abklatsch nach unserer Zeichnung in Wien, Grafische Sammlung Albertina, „Unbekannte Künstler, Bd. X“, vgl. Kurt Bauch: Jakob Adriaensz Backer. Ein Rembrandt-Schüler aus Friesland, Berlin 1926, S. 106, bei Nr. 49.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
ca. 25 mm (v)

Provenienz

Gerard Sanders (1702-1767), Rotterdam; dessen Auktion, Rotterdam 1767 (Lugt, Ventes 1631) ("Een liggend Naekt Vrouwtje, door Bakker"); Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad: 01: 01, fol. 13 als "Rembr?"; NH Ad:01:02, fol. 86: "N.N. Ein liegender weiblicher Akt. stark verkürzt gesehen. Feine {mit} Kreidestudie auf blauem P. gehöht. 10.0.8.5."; NH Ad: 02: 01, S. 279); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog I Van Aken-Murant, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.81-82, Nr.33

Jacob Backer (1608/9-1651), Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis; Aachen, Suermondt-Ludwig Museum, Zwolle 2008, S.193, Nr.53 mit Abb.

Anne Röver-Kann: Rembrandt, oder nicht? Zur Sammlungsgeschichte dieser Zeichnungen in Hamburg und Bremen, in: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 24-29, S.25

Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S.25, Nr.1 mit Abb.

Rembrandt und sein Jahrhundert, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1994, Nr.7, Abb.S. 21

Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Backer - Bol, hrsg. von Walter L. Strauss, Bd. 1, New York 1979, S.92, Nr.39 x mit Abb.

Rembrandt after three hundred years. An Exhibition of Rembrandt and His followers, Ausst.-Kat. Chicago 1969, Nr.148, Abb.S. 237

Rembrandt als Leermeester, Ausst.-Kat. Stedelijk Museum de Lakenhal, Leiden 1956, Nr.86, Abb.29

Frits Lugt: École hollandaise, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins. Inventaire général des dessins des écoles du Nord, Bd. 1, 2 Bde, Paris 1929, S.39, bei Nr. 272

Hans Kauffmann: Zur Kritik der Rembrandt-Zeichnungen, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 47, 1926, S. 157-178, S.246

Gustav Pauli: Zeichnungen alter Meister in der Kunsthalle zu Hamburg. Niederländer, hrsg. von Hamburger Kunsthalle, Veröffentlichungen der Prestel-Gesellschaft., Bd. 8, Frankfurt a. M. 1924, Abb.Taf. 22

Naemlyst van een fraey Kabinet Teekeningen en Kunstprenten ... benevens eenige kunstige Schilderyen, alle nagelaten door den Kunstschilder, den Heer Gerard Sanders ..., 5.8., Rotterdam 1767, S.37, Nr.2

Horst Gerson: Aktdarstellungen bei Rembrandt und seinen Schülern, in: Kunstchronik 10, 1957, S. 148-150, S.150

Frits Lugt: Beiträge zu dem Katalog der niederländischen Handzeichnungen in Berlin, in: Jahrbuch der Preussischen Kunstsammlungen 52, 1931, S. 36-80, S.49

Frits Lugt: Rezension zu Pauli 1924, in: Onze Kunst 41, 1925, Nr. 22, S. 162-165, S.164

Kurt Bauch: Jakob Adriaensz Backer. Ein Rembrandt-Schüler aus Friesland, Berlin 1926, S.106, Anm. 49, Nr.Z 49