Federico Barocci, eigentlich Fiori, Zeichner
Berglandschaft mit Fluß, um 1565
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Federico Barocci, eigentlich Fiori, Zeichner

Berglandschaft mit Fluß, um 1565

Federico Barocci, eigentlich Fiori, Zeichner

Berglandschaft mit Fluß, um 1565

Die Darstellung einer von einem Fluss durchzogenen Landschaft zählt zu den bemerkenswertesten Zeichnungen im weit über 1200 Zeichnungen umfassenden Œuvre des Künstlers. Sie stellt in der kleinen Gruppe von ca. 20 erhaltenen – von ca. 170 dokumentarisch nachweisbaren – Landschaftsstudien Baroccis die größte und eindrucksvollste dar. Ansonsten überwiegen Studien einzelner Bäume oder Büsche. Mit dem Panoramablick greift der Künstler einen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts weit verbreiteten Typus auf, in dem die exakte topographische Wiedergabe zumeist nur eine untergeordnete Rolle spielte. Trotzdem wollte Olsen in der im Hintergrund erkennbaren Stadt möglicherweise die Gegend von Ascoli Piceno in den Marken erkennen.(Anm.1) Harzen schlug sogar konkret Urbino, die Geburtsstadt des Künstlers, vor, doch sind diese Hinweise nicht überzeugend. Obgleich im Nachlassinventar von Studien „dal vero“, also vor der Natur berichtet wird, ist hier wohl eher eine allgemeine Erinnerung an die heimische Hügellandschaft der Marken zu vermuten. Wahrscheinlich entstand die Zeichnung ohne konkreten Zweck als Kunstwerk für sich.
Das Blatt wurde wohl, wie die alte Aufschrift vermuten lässt, von einem Vorbesitzer als ein Werk Federico Zuccaris angesehen; spätestens seit dem 19. Jahrhundert wird die Zeichnung jedoch Barocci zugeschrieben. Die dünnen Linien und kraftvollen Striche verweisen auf dessen frühe Zeichnungen, wie den „Hl. Georg und den Drachen“ in den Uffizien (Anm.2) und „Die Heilige Familie“ im Louvre (Anm.3). Olsen sah in der Behandlung der Bäume mit der summarischen Wiedergabe des Laubs Ähnlichkeit zu Kompositionsstudien der 1560er Jahre, so z. B. der „Anbetung der Hirten“ in Berlin4.
Gut vergleichbar ist auch das Londoner Blatt mit der „Stigmatisation des Hl. Franz von Assisi“ (Anm.5). Hier wie dort finden sich ähnliche Verwischungen der Weißhöhung und die feinen Punkte, mit denen die Blätter angedeutet werden. Allerdings weist das Londoner Blatt weniger Pentimenti auf, da es als direkte Vorzeichnung für ein Gemälde von vornherein mit größerer Sorgfalt angelegt wurde.
Verschiedentlich wurde versucht, die Studie mit einem Gemälde Baroccis zu verbinden. Olsen und Emiliani sahen in dem Blatt eine Vorstudie zur Landschaft auf dem 1565 entstandenen Gemälde „Madonna mit dem Hl. Johannes“ (Urbino, Galleria Nazionale) (Anm.6); Pillsbury und Richards beobachteten 1978 eine Ähnlichkeit zum Hintergrund des in der Attribution umstrittenen Gemäldes „Der Hl. Hieronymus in der Wüste“ (Urbino, Dommuseum).(Anm.7) Doch beide Bezüge sind zu allgemein, als dass die Hamburger Zeichnung als Vorstudie angesehen werden könnte.

David Klemm

1 Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, bearb. v. Eckhard Schaar unter Mitarbeit v. David Klemm, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Ostfildern-Ruit 1997, S. 82.
2 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 11313; vgl. Harald Olsen: Federico Barocci, Kopenhagen 1962, Abb. 14.
3 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 2848; vgl. Harald Olsen: Federico Barocci, Kopenhagen 1962, Abb. 2.
4 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 4131.
5 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. Pp 3-203.
6 Harald Olsen: Federico Barocci, Kopenhagen 1962, S. 145–146, bei Nr. 11; Andrea Emiliani: Federico Barocci (Urbino 1535-1612), 2. Bde., Pesaro 1985, I, S. 29.
7 The Graphic Art of Federico Barocci. Selected Drawings and Prints, bearb. v. Edmund P. Pillsbury, Louise S. Richards, Ausst.-Kat. The Cleveland Museum of Art, New Haven 1978, S. 38.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts bezeichnet: "Frederico [sic] Barrotio d' vrbino" (Feder in Dunkelbraun); unterhalb davon nummeriert: "175" (Feder in Dunkelbraun); unten rechts bezeichnet: "L_19[?]_0[?]" (Feder in Dunkelbraun); unten in der Mitte nummeriert: "48" (Feder in Dunkelbraun); auf dem Verso unten links bezeichnet: "/4[oder 14]" (Bleistift); unterhalb davon nummeriert: "7." (Feder in Braun); unten links bezeichnet: "29/AG" (Bleistift); unten in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); unten rechts bezei

Wasserzeichen / Kettenlinien

WZ: Nicht identifizierbare Form in einkonturigem Kreis.

Provenienz

Thomas Richter (1718-1773), Leipzig (nicht bei Lugt); Gottfried Winckler (1731-1795), Leipzig (nicht bei Lugt); wahrscheinlich auf dessen Nachlaßauktion Leipzig, 16. Oktober 1815, unter der Nr. 130 ("Landsch. Fed. u. Tusch, Fol.") versteigert; möglicherweise Carl Keyl (1799-1826 ),Leipzig; dessen Nachlaßauktion Leipzig , 04.1822 (Lugt, Ventes 10230); möglicherweise dort erworben von Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 01 : 03, fol. 89 (als Federico Barocci): "Eine weit ausgedehnte Gebirgslandschaft mit der Ansicht von Urbino in der Ferne, vorn waldbedeckte Hügel durch eine Brücke über einen Fluß verbunden. Bez. Frederico Barrotio d' vrbino Feder und Seppia auf bl. Pap. gehöht 15.0. 10.2 Samml. Richter : Winckler."; NH Ad : 02 : 01, S. 209 (als Federico Barocci); Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.82-83, Nr.31

David Klemm: Von Leonardo bis Piranesi. Italienische Zeichnungen von 1450 bis 1800 aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner, David Klemm und Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Bremen 2008, S.114-115, Abb, S. 229, Nr.50

Martin Royalton-Kisch: Pieter Bruegel as a Draftsman: The Changing Image, in: Pieter Bruegel the Elder, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art, New York, 2001, S. 13-39, S.20, Abb.18

Eckhard Schaar, David Klemm: Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1997, S.82, Nr.3, Abb.74

Andrea Emiliani: Federico Barocci (Urbino 1535-1612), Bd. 1, Pesaro 1985, S.29, Abb.29

Edmund P. Pillsbury, Louise S. Richards: The Graphic Art of Federico Barocci. Selected Drawings and Prints, Ausst.-Kat. The Cleveland Museum of Art, New Haven 1978, S.38, Nr.10, Abb.38

Harald Olsen: Federico Barocci, Kopenhagen 1962, S.145-146, Nr.bei Nr. 11

Harald Olsen: Federico Barocci. A Critical Study in Italian Cinquecento Painting, Figura 6, Studies edited by The Institute of Art History, University of Upsala, Stockholm 1955, S.114-115, Nr.bei Nr. 11