David Teniers d. J.
Innenraum mit häuslichem Stilleben, um 1633
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David Teniers d. J.

Innenraum mit häuslichem Stilleben, um 1633

David Teniers d. J.

Innenraum mit häuslichem Stilleben, um 1633

Wie der Großteil der etwa 300 von Klinge für authentisch erklärten Te-niers-Zeichnungen war auch das vorliegende Blatt Ausgangspunkt für eine gemalte Komposition. Das heute verlorene Bild wird überliefert durch drei leicht variierende Gemäldekopien.(Anm.1) Auf einer dieser Fassungen ist der Raum im Vergleich zur Zeichnung weiter gefasst, was auf nachträgliche Beschneidung der Blattränder schließen lässt.
Zeichnung und Gemälde sind der Gruppe der um 1633/34 von Teniers entwickelten Kücheninterieurs zugehörig.(Anm.2) Unser Blatt wurde von Klinge um 1633 angesetzt und gehört damit zu den frühesten Zeichnungen des Künstlers. Dies erklärt auch den im Einzelnen noch etwas vorsichtigen Charakter der Handschrift und gewisse Unsicherheiten in der Gestaltung der räumlichen Situation. Doch setzte Teniers bereits bewusst auf den Gegensatz zwischen weißem Blattgrund und kräftiger Schraffur, um Glanz und Struktur der Gegenstände herauszuarbeiten. Wenn dabei die unterschiedliche Materialbeschaffenheit der verschiedenen Gefäße nicht annähernd so virtuos erfasst ist wie auf den gemalten Versionen,(Anm.3) erklärt sich dies aus der untergeordneten Funktion der Zeichnung: Teniers nutzte diese primär für die Bildentwicklung – die eigenständige künstlerische Bedeutung dieser Gattung spielte in seinem Werk eine nur marginale Rolle.
Vielen der im Vordergrund arrangierten Gegenständen begegnet man auch an anderer Stelle im Œuvre Teniers’. Dazu gehört der auf einem roh behauenem Tisch stehende „Berkenmayer“, ein in der bäuerlichen Welt ehemals weit verbreiteter hölzerner Deckelpokal. Als regelrechtes „Leitmotiv“ des Künstlers kann derseitlich gekippte Messingkessel angesehen werden. Er wurde im 16. Jahrhundert von Joachim Beuckelaer eingeführt und kam in der Folgezeit auch bei anderen Stilllebenmalern zum Einsatz.(Anm.4) Wie die anderen leeren Gefäße ist er als Vanitasmotiv zu deuten. Auch die neben dem Pokal aufgestellte Sanduhr mahnt an die Vergänglichkeit irdischer Freuden, während der Blasebalg und die mit Heu geschlossene große Kanne, in Anlehnung an die niederländische Redensart „mit Heu bekrönen“, den Selbstbetrug durch flüchtigen Sinnesrausch versinnbildlichen.(Anm.5) Auf der Rückseite des Blattes ist mit flüchtigem Strich die Festnahme und Plünderung eines Mannes durch Soldaten skizziert. Dieser Entwurf wäre in Anlehnung an die Recto-Zeichnung ebenfalls in die 1630er Jahre zu setzen, auch wenn er von Klinge nicht unter den Figurenstudien dieser Zeit berücksichtigt wurde. Verglichen mit einer Gruppe gezeichneter Soldatendarstellungen der 1640er Jahre ist er deutlich knapper und flüchtiger angelegt.(Anm.6) Vielleicht reagierte Teniers mit derartigen Szenen auf Callots 1633 publizierte Folge der „Misères de la Guerre“. Die eigenhändigen Bezeichnungen sind als Farbangaben zu interpretieren.(Anm.7)
Harzens Verweis auf die Herkunft aus der Sammlung Mariette lässt sich nicht verifizieren. Es fehlt dessen Sammlermarke, und auf der Nachlassauktion von 1775 ist das Blatt nicht zu identifizieren.(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 Margret Klinge-Gross: Herman Saftleven als Zeichner und Maler bäuerlicher Interieurs, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 38, 1976, S. 69-92, Anm. 164, Nr. 1–3, jeweils Standort unbekannt, und Abb. 1 a. Vgl. auch Lüdke 2005, S. 68, Anm. 33–35 und S. 72, Abb. 11 mit weiteren gemalten Variationen des Hamburger Stilllebens. Zur Funktion der Zeichnung bei Teniers vgl. Margret Klinge: David Teniers der Jüngere als Zeichner. Die Antwerpener Schaffenszeit (1633-1651), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1997, S. 71-282, S. 230.
2 Margret Klinge: David Teniers der Jüngere als Zeichner. Die Antwerpener Schaffenszeit (1633-1651), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1997, S. 71-282, S. 78–70 und 84–87. Einflussgebend waren hierfür Werke der Brüder Saftleven, vgl. hierzu auch Inv.-Nr. 22794.
3 Vgl. Margret Klinge: David Teniers der Jüngere als Zeichner. Die Antwerpener Schaffenszeit (1633-1651), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1997, S. 71-282, S. 95; vgl. ebd. S. 132 mit Blick auf spätere Stillleben-Zeichnungen in Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie, Inv.-Nr. D 150, und Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 198/3585, ebd. Nr. 22, 23.
4 Dietmar Lüdke: David Teniers d.J. - Maler von Stilleben, in: David Teniers der Jüngere (1610-1690). Alltag und Vergnügen in Flandern, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Heidelberg 2005, S. 64-75, S. 69–70, z. B. bei Cornelis Jacobsz. Delff, Alexander Adriaenssen, Gillis Gillisz. de Bergh, Pieter Simonsz. Potter, Jan Davidsz. de Geem und den Saftleven-Brüdern.
5 Vgl. David Teniers der Jüngere (1610-1690). Alltag und Vergnügen in Flandern, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Heidelberg 2005, Nr. 5; eine erotische Konnotation haftet ebenfalls den auf einem Teller im Vordergrund platzierten Schollen an, vgl. ebd. Nr. 31.
6 Margret Klinge: David Teniers der Jüngere als Zeichner. Die Antwerpener Schaffenszeit (1633-1651), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1997, S. 71-282, S. 146; vgl. Privatbesitz, Depositum der Staatsgalerie Stuttgart; Privatbesitz, ehemals London, Clifford Duits; London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1850,0413.125, ebd. Nr. 33, 34 und 35.
7 Vergleichbare Annotationen finden sich auch auf anderen Figurenstudien des Künstlers, z. B. The Art Institute of Chicago, Inv.-Nr. 1922.2034, David Teniers der Jüngere (1610-1690). Alltag und Vergnügen in Flandern, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Heidelberg 2005, Nr. 68; vgl. auch Margret Klinge: David Teniers der Jüngere als Zeichner. Die Antwerpener Schaffenszeit (1633-1651), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1997, S. 71-282, S. 124.
8 Die Beschreibung von Nr. 1047 im Aukt.-Kat. Paris, Mariette 1775, S. 163 ist zu allgemein formuliert, um eindeutig auf unser Blatt bezogen zu werden: „Cinq Etudes de Tête, Figure & Paysages“.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Verso in der Skizze links bezeichnet: "rot", M.r., stark abgerieben: "blauw" (Graphit)

Auf dem Verso unten rechts von der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

Lammwappen, ähnlich Heawood 2842 (Holland 1649), aber über Buchstaben WR, vgl. RPK W135 (Salomon de Bray, 1648)
ca. 24 mm (h)

Verso

Titel verso: Flüchtige Skizze eines Raubüberfalls

Technik verso: Graphit

Provenienz

Pierre-Jean Mariette (1694-1774), Paris?; Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 66: "[David Teniers, der Sohn] Kessel {To} Fässer, Eimer {K} und anderes {Küchen} Geräth im Vorgrund einer Küche aufgehäuft, im Hintergrund zwey Landleute im Gespräch. Mit Bleistift ausgeführt. 10.0.7.9. Samml. Mariette."; NH Ad: 02: 01, S. 271); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.543, Nr.1027, Abb.Farbtafel S. 33

Dietmar Lüdke: David Teniers d.J. - Maler von Stilleben, in: David Teniers der Jüngere (1610-1690). Alltag und Vergnügen in Flandern, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Heidelberg 2005, S. 64-75, S.68, 71, Abb.4

Margret Klinge: David Teniers der Jüngere als Zeichner. Die Antwerpener Schaffenszeit (1633-1651), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1997, S. 71-282, S.93-97, 106, 130, 232, Nr.1 mit Abb.