Cornelis Visscher
Cornelis Visscher
In der kurzen Zeit von 1649 bis 1658 schuf Cornelis Visscher ein umfangreiches zeichnerisches Ćuvre, gröĂtenteils bestehend aus Bildnissen. Heute gilt er als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Vertreter der Haarlemer PortrĂ€tschule. Neben konventionellen, hĂ€ufig auf Pergament gearbeiteten BlĂ€ttern (Inv.-Nrn. 22650, 22651) zeichnete er auch weniger förmliche Bildnisse und Studienköpfe. Das vorliegende Blatt ist dieser zweiten Kategorie zuzurechnen.(Anm.1) In der Gattung verwandt sind einige in Rötel und Kreide gearbeitete Studienköpfe des ebenfalls in Haarlem ansĂ€ssigen Adriaen van Ostade, die etwa gleichzeitig, in den spĂ€ten 1640er Jahren, entstanden sind.(Anm.2)
In Dresden befindet sich eine Wiederholung des MĂ€nnerportrĂ€ts, die sich in der etwas gleichmĂ€Ăigeren graphischen Struktur und den weniger ausgeprĂ€gten horizontalen Staufalten des Rockes von unserem Blatt unterscheidet. Diese Zeichnung wird im RKD versuchsweise Jan de Visscher (um 1636-nach 1692) zugeordnet, dem jĂŒngeren Bruder des Cornelis.(Anm.3)
Ungewöhnlich fĂŒr Cornelis Visscher sind die nackten Figuren der stark abgeriebenen Verso-Zeichnung. Das Motiv lĂ€sst auf mythologische Thematik schlieĂen, ist jedoch nicht nĂ€her zu bestimmen, weil durch die Beschneidung des Papiers wichtige Partien fehlen. Diese Skizze muss vor dem Studienkopf entstanden sein: Das ursprĂŒnglich gröĂere Papier wurde fĂŒr die Darstellung des bĂ€rtigen Alten verkleinert. Die antikisierende Figurengruppe wird also wohl auch von Cornelis Visscher selbst gezeichnet worden sein.(Anm.4) Jedoch bietet sein umfangreiches Ćuvre keinen unmittelbaren AnknĂŒpfungpunkt. Allenfalls vergleichbar wĂ€ren zwei Kopien nach Puttenreliefs des François Duquesnoy, im breiten Konturenstrich grundsĂ€tzlich verwandt, jedoch als vollstĂ€ndig modellierte Zeichnungen auf Pergament einer anderen Werkgruppe zugehörig.(Anm.5) Gleichwohl wĂ€re fĂŒr die als reine Konturenstudie angelegte Verso-Zeichnung die AbhĂ€ngigkeit von einer skulptierten oder gestochenen Vorlage denkbar.
Annemarie Stefes
1 Vgl. die verwandte âStudie eines alten Mannesâ, Boston, Sammlung George und Maida Abrams, William S. Robinson, Peter Schatborn: Seventeenth-Century Dutch Drawings - A Selection from the Maida and George Abrams Collection, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Wien, Graphische Sammlung Albertina, New York, The Pierpont Morgan Library, Cambridge (Mass.), The Fogg Art Museum 1991, Nr. 91. Auch jugendliche Modelle wurden auf diese Weise gezeichnet, vgl. die âKinderköpfeâ in Amsterdams Historisch Museum, Inv.-Nr. TA 10361 und Inv.-Nr. TA 10362, Ben Broos, Marijn Schapelhouman: Nederlandse Tekenaars geboren tussen 1600 en 1660, Oude tekeningen in het bezit van het Amsterdams Historisch Museum, waaronder de collectie Fodor, Bd. 4, Amsterdam/Zwolle 1993, Nr. 164 und 166.
2 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1836,0811.395-397, Bernhard Schnackenburg: Adriaen van Ostade, Isack van Ostade. Zeichnungen und Aquarelle. Gesamtdarstellung mit Werkkatalogen, 2 Bde, Hamburg 1981, Nr. 113, 81 und 114; Tom Rassieur: Adriaen van Ostade, the Methodical Artist: Preparatory Drawings, a Chronology, and Rembrandt, in: Ausst.-Kat. Amsterdam 1998, S. 31-53, S. 32.
3 Notiz auf der Photokartei des RKD; Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1048.
4 Der breite und stumpfe Konturenstrich lĂ€sst sich auch mit Visschers âHĂ€nden eines Rommelpot-Spielersâ vergleichen, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1895-A-3075, Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, bearb. Peter Schatborn, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, Nr. 98.
5 Stockholm, Nationalmuseum, Inv.-Nr. NM H 1873/1863 und Inv.-Nr. NM H 1874/1863, mit vermutlich eigenhĂ€ndigen Wiederholungen: Aukt.-Kat. Amsterdam, Christieâs, 8. 11. 2000, Nr. 41.
Details zu diesem Werk
Beschriftung
Wasserzeichen / Kettenlinien
Untere HÀlfte eines Löwenwappens, vgl. Heawood 367 (1683)
24-25 mm (h)
Verso
Titel verso: Nacktes Paar mit Kindern
Technik verso: Kohle
Provenienz
Slg. da Costa; M. Waldeck; dessen Auktion, Berlin 1887 (Lugt, Ventes 46265); Washington von der Hellen (1834-1900), Hamburg, Nr. 462; Gustav von der Hellen (1879-1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle
Bibliographie
Stefes, Annemarie: NiederlĂ€ndische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von GaĂner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.580, Nr.1106
Wolf Stubbe: Die Sammlung von der Hellen, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 8, Hamburg 1963, S. 153-180, S.159
Katalog einer Sammlung von Handzeichnungen und Aquarellen alter und neuer Meister aus dem Besitze des Herrn Dr. M. Waldeck, Auktion 35, 14.2. und folgende Tage, Amsler & Ruthardt, Berlin 1887, S.45, Nr.470