Bartholomäus Spranger, (?)
Merkur und Psyche, 1575/76
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Bartholomäus Spranger, (?)

Merkur und Psyche, 1575/76

Bartholomäus Spranger, (?)

Merkur und Psyche, 1575/76

Entgegen der traditionellen Zuschreibung wurde das Blatt in Niedensteins Verzeichnis der Spranger-Zeichnungen (1931) nicht berücksichtigt,(Anm.1) von Oberhuber jedoch als eigenhändige Arbeit aus der Frühzeit des Künstlers bewertet – vorbereitende Studie für das um 1576/77 entstandene, heute verschollene Gemälde „Merkur bringt Psyche zu den Göttern“.(Anm.2) Dort schmiegt sich Psyche ähnlich an die Flanke Merkurs, jedoch mit abwärts geneigtem Blick; ihr Oberkörper wird nicht durch ihren Arm verdeckt, und sie hält in der rechten Hand eine Vase. Eine der gleichen Werkgruppe zugehörige „Auferstehung Christi“ in Prag ist in der Diagonalkomposition und den Gesichtern unserem Blatt vergleichbar.(Anm.3)
Mit Ausnahme eines leichten Vorbehalts bei Vignau-Wilberg wurde Sprangers Autorschaft in der neueren Literatur akzeptiert und als Beleg bewertet für den Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur.(Anm.4) Das Thema der Schwerelosigkeit beschäftigte auch Zeitgenossen wie Hans Mont (tätig 1571–1583) und Adriaen de Vries (um 1556–1626).(Anm.5)
Innerhalb von Sprangers gezeichnetem Œuvre findet sich indes wenig Vergleichbares. Der größte Teil seiner Zeichnungen ist in Feder gearbeitet, und schon die frühesten Arbeiten zeigen die für Spranger charakteristisch ausdrucksvollen, dynamisch an- und abschwellenden Konturen, eckige Akzente sowie breitflächig lavierte Licht- und Schattenpartien.(Anm.6) Die gegenüber der Binnenzeichnung zurücktretenden, glatten Konturen des Hamburger Blattes und die gleichmäßig abgerundeten Körperformen sind eher untypisch für seine Hand. Allenfalls vergleichbar wären Spranger-Zeichnungen wie die Darmstädter „Minerva“ und die Figurenstudien in München und Cambridge,(Anm.7) aber auch zu Zeichnungen des Joseph Heinz d. Ä. (1564–1609) lassen sich formale Bezüge beobachten.(Anm.8)
Die überaus akkurate, aus anschwellenden Taillen zusammengesetzte Weißhöhung geht vielleicht zurück auf italienische Eindrücke,(Anm.9) wenn sie nicht als Anspielung auf das graphische Idiom der Kupferstecher zu verstehen ist. In jedem Fall lässt die raffinierte Ausarbeitung auf hohen künstlerischen Anspruch schließen.

Annemarie Stefes

1 Hierzu auch Brief Niedersteins vom 6. 5. 1936 im Archiv des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle. Gegen Sprangers Autorschaft votierten auch Wolfgang Stechow und Kurt Bauch, wie an gleicher Stelle von Stubbe notiert. Bauch sah einen möglichen Zusammenhang mit Joachim Wtewael.
2 Konrad Oberhuber: Die stilistische Entwicklung im Werk Barth. Sprangers, Wien, Univ., Diss. 1958, S. 78. Das Gemälde wurde bereits bei Van Mander erwähnt und befand sich ehemals in der Sammlung Gurlitt, München, vgl. Michael Henning: Die Tafelbilder Bartholomäus Sprangers (1546-1611). Höfische Malerei zwischen "Manierismus" und "Barock", Essen 1987, Nr. A 8 und Thomas DaCosta Kaufmann: The School of Prague: Painting at the Court of Rudolf II, Chicago 1988, Nr. 20.3.
3 Prag, Národní Galerie, Inv.-Nr. O 7259, Michael Henning: Die Tafelbilder Bartholomäus Sprangers (1546-1611). Höfische Malerei zwischen "Manierismus" und "Barock", Essen 1987, Nr. A 7.
4 Dazu zuletzt Thomas DaCosta Kaufmann: A "modern" sculptor in Prague. Adriaen de Vries and the Paragone of the Arts, in: Festschrift für Konrad Oberhuber, hrsg. von Achim Gnann, Heinz Widauer, Mailand 2000, S. 283-292 mit weiterer Literatur.
5 Vgl. die Kleinbronze „Merkur und Psyche“, Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. 7980, etwa gleichzeitig entstanden und von Lars Olof Larsson: Bemerkungen zur Bildhauerkunst am Rudolfinischen Hofe, in: Umeni 18, 1970, S. 172-184, S. 174 versuchsweise dem um 1576 mit Spranger in Wien zusammenarbeitenden Hans Mont zugewiesen; vgl. Adriaen de Vries, „Merkur und Psyche“, Paris, Musée du Louvre, Département des Peintures, Inv.-Nr. 3270 MR. Zu diesem Wettstreit vgl. Lars Olof Larsson: Adrian de Vries 1545-1626, Wien u. München 1967 und Thomas DaCosta Kaufmann: A "modern" sculptor in Prague. Adriaen de Vries and the Paragone of the Arts, in: Festschrift für Konrad Oberhuber, hrsg. von Achim Gnann, Heinz Widauer, Mailand 2000, S. 283-292, zu der allegorischen Deutung des Themas vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: The School of Prague: Painting at the Court of Rudolf II, Chicago 1988, Thea Vignau-Wilberg: Pictor Doctus: Drawing and the Theory of Art around 1600, in: Rudolf II and Prague. The Court and the City, Ausst.-Kat. Prag 1997, S. 179-188, S. 184–185 und Frits Scholten (Hrsg.): Adriaen de Vries 1556-1626. Imperial Sculptor, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksmuseum, Stockholm, Nationalmuseum, Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Zwolle 1998, S. 109.
6 Vgl. Konrad Oberhuber: Anmerkungen zu Bartholomäus Spranger als Zeichner, in: Umeni 18, 1970, S. 213-223, Abb. 2 und 3 und Eliska Fuciková, James M. Bradburne: Rudolf II and Prague. The Court and the City, Ausst.-Kat. Prag, Schloss, London 1997, Nr. I.268 zu den 1572 in Rom entstandenen Passionsszenen; vgl. auch Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 15114 und Inv.-Nr. 7994, Otto Benesch: Die Zeichnungen der Niederländischen Schulen des XV. und XVI. Jahrhunderts, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. 2, Wien 1928, Nr. 278 u. 279 (um 1575).
7 Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv.-Nr. AE 2138, Gisela Bergsträsser: Niederländische Zeichnungen 16. Jahrhundert im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Kataloge des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Bd. 10, Darmstadt 1979, Nr. 88 (vor 1600); München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 2195; Cambridge, Fitzwilliam Museum, Inv.-Nr. 3018 (um 1596/97), beide abgebildet, in: John Oliver Hand, J. R. Judson, William W. Robinson, Martha Wolff: The Age of Brueghel. Netherlandish Drawings in the Sixteenth Century, Ausst.-Kat. Washington D.C., National Gallery of Art, New York, Pierpont Morgan Library, New Haven 1986, Nr. 108 bzw. S. 278, Abb. 3.
8 „Diana und Callisto“, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 10476, Zimmer 1988, Nr. A 59. Ebenfalls verwandt ist eine Zeichnung Johann Rottenhammers in Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Z 216, Corpus Gernsheim 59623.
9 Vgl. Vasaris „Prudentia“, Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 7777, James Byam Shaw: The Italian Drawings of the Frits Lugt Collection. Plates, 3 Bde., Paris 1983, Bd. 1, Nr. 30; Parmigianinos „Aktfiguren“, Otterloo, Kröller-Müller Museum, Inv.-Nr. Kl. 2, oder Calvaerts „Auferstehung Christi“, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1887-A-1408, Karel G. Boon: Netherlandish Drawings of the Fifteenth and Sixteenth Centuries, Catalogue of the Dutch and Flemish Drawings in the Rijksmuseum, 2Bde. Den Haag 1978, Nr. 118, wohl in den frühen 1570er Jahren in Rom entstanden; vgl. auch dessen „Anbetung der Hirten“, New York, The Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. 1987.9, Felice Stampfle: Netherlandish Drawings of the Fifteenth and Sixteenth Centuries and Flemish Drawings of Seventeenth and Eighteenth Centuries in the Pierpont Morgan Library, Princeton 1991, Nr. 48.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Verso in der Mitte links L: 1328; und Mitte bezeichnet: "Sadelaer" (Bleistift)

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
ca. 28 mm (h)

Provenienz

Wohl Auktion Henrik van Limborch, Den Haag 17.9.1759 ("Mercurius en Venus, door B. Spranger, met rood aarde", mit Nr. 102 f 12); Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:06, fol. 151: "Bartholomaeus Sprangers Mercur {auf} trägt die Psyche zum Olymp empor. Röthel auf roth grundiertem Papier. Gehöht. 5.4.6.8"); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.528-529, Nr.1001

Thomas DaCosta Kaufmann: A "modern" sculptor in Prague. Adriaen de Vries and the Paragone of the Arts, in: Festschrift für Konrad Oberhuber, hrsg. von Achim Gnann, Heinz Widauer, Mailand 2000, S. 283-292, S.289, Abb.10

Thea Vignau-Wilberg: Pictor Doctus: Drawing and the Theory of Art around 1600, in: Rudolf II and Prague. The Court and the City, Ausst.-Kat. Prag 1997, S. 179-188, S.185-186, 188, Anm. 45

Invenit et Sculpsit. Zeichnungen und Graphik des niederländischen Manierismus, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1992, Nr.7

Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat. Staatliche Graphische Sammlung, München 1989, S.83-84, Anm. 6

Thomas DaCosta Kaufmann: The School of Prague, Chicago u. a. 1988, S.250 bei Nr. 20.3

Lars Olof Larsson: Bemerkungen zur Bildhauerkunst am Rudolfinischen Hofe, in: Umeni 18, 1970, S. 172-184, S.174, Abb.5

Lars Olof Larsson: Adrian de Vries 1545-1626, Wien u. München 1967, Abb.12

Hundert Meisterzeichnungen aus der Hamburger Kunsthalle 1500-1800, Bd. 5, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1967, S.36, Nr.56, Abb.55

Catalogus van een aanzienlyke partye ... Schilderyen; als mede van Tekeningen en een groote vergadering van Printkonst ... nagelaten door wylen den Konstschilder Henrik van Limborch ..., 17. 9. und folgende Tage, Den Haag 1759, S.34, Nr.103

Konrad Oberhuber: Die stilistische Entwicklung im Werk Barth. Sprangers, Wien, Univ., Diss. 1958, S. 250, 78ff., Nr.27, G 18