Antonio Maria Zanetti
Hl. Thomas (nach Parmigianino), um 1720/40(?)
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Antonio Maria Zanetti

Hl. Thomas (nach Parmigianino), um 1720/40(?)

Antonio Maria Zanetti

Hl. Thomas (nach Parmigianino), um 1720/40(?)

Die Gruppe von fünf vergleichbaren Zeichnungen (Inv.-Nrn. 21551– 21555) wurde zunächst unter den anonymen Italienern des 16. Jahrhunderts geführt. Harzen selbst hatte Einflüsse von Francesco Torbido, genannt il Moro, erkennen wollen. Erst im Jahr 2000 konnten die Blätter dank Dieter Grafs Zuordnung genauer zugeordnet werden.(Anm.1) Er erkannte in ihnen Vorzeichnungen für Antonio Zanettis Chiaroscuro-Holzschnitte nach Entwürfen Parmigianinos. Vor diesem Hintergrund ist die ursprüngliche Einordnung in das 16. Jahrhundert nachvollziehbar.
Der venezianische Sammler und „Künstler-Dilettant“ Antonio Maria Zanetti hatte 1720 in London eine umfangreiche Serie von Zeichnungen Parmigianinos erworben.(Anm.2) Sie stammte aus der legendären Sammlung des Lord Arundel. Zahlreiche von diesen Blättern wurden in der Folgezeit von Zanetti in graphischen Wiedergaben verbreitet. Er schuf dabei keine Faksimiles im strengen Wortsinn, d. h. keine exakten Nachahmungen. Vielmehr wählte er für seine Wiedergabe das Medium des Chiaroscuro-Holzschnitts und damit eine Technik, die in Italien vor allem im 16. Jahrhundert beliebt gewesen war. Sein Ziel war es offensichtlich, diese seitdem weitgehend in Vergessenheit geratene Technik unter Verwendung hervorragender Vorlagen neu zu beleben. Motivation für dieses ungewöhnliche Vorgehen war nicht zuletzt der Wunsch einiger Freunde, die sich darüber beklagten, dass die von ihnen geschätzte Kunstform nicht mehr gepflegt würde.(Anm.3)
1731 konnte Zanetti eine erste Ausgabe seiner Bemühungen veröffentlichen. Diese Edition mit 40 Graphiken ist allerdings in keinem kompletten Exemplar mehr nachweisbar.(Anm.4) Auf der Grundlage dieser ersten Auflage erschien 1739 und 1743 eine zweite Ausgabe in zwei Bänden. Sie enthielt bereits 100 Graphiken, wobei nun auch Umsetzungen anderer Künstler wie Faldoni, Orsolini, Zucchi und sogar von Giovanni Battista Tiepolo enthalten waren. 1749 erschien dann – wiederum in zwei Bänden – die am bekanntesten gewordene dritte Ausgabe.
Innerhalb dieser Ausgaben bilden die Darstellungen der Apostel eine besondere Gruppe.(Anm.5) Sie lassen sich in zwei Folgen nachweisen, von denen die frühere nur fünf Blätter umfasst. Von diesen sind zwei mit 1721 datiert, womit sie zu den frühesten Chiaroscuro-Holzschnitten Zanettis überhaupt zählen. Die zweite Gruppe umfasst elf Apostel sowie Johannes den Täufer. Innerhalb dieser Gruppe sind jeweils drei der Farbholzschnitte mit der Jahreszahl 1739 bzw. 1740 versehen. Damit zählt die Serie zu den spätesten Holzschnittarbeiten Zanettis.
Interessanterweise haben sich offensichtlich nur sehr wenige Originalzeichnungen Parmigianinos für diese Graphiken erhalten. Keine von ihnen entspricht jedoch exakt den späteren Umsetzungen.(Anm.6) Dafür gibt es einige Zeichnungen Zanettis, die die Kompositionen des großen Vorbildes überliefern. Hierzu zählen z. B. die Vorstudien zu den Aposteln Philippus und Matthäus in der Albertina.(Anm.7)
Neben diesen an Parmigianino erinnernden Zeichnungen gibt es die fünf Hamburger Blätter, die sich vom optischen Erscheinungsbild komplett davon unterscheiden. Allesamt sind in grauer Feder auf grau getöntem Papier ausgeführt. Sie weisen Übertragungsspuren in sehr unterschiedlicher Art auf. So reicht das Spektrum von einfachen Durchdrückspuren bis hin zu Durchpunktung bzw. Durchritzung der Blätter. Im Gegensatz etwa zu den Zeichnungen Zanettis in Wien sind die Hamburger Blätter rein als Umrisszeichnungen gegeben. Sie dienten offensichtlich lediglich dazu, die Form zu liefern. Da sich offensichtlich keine weiteren derartigen Beispiele für die Herstellung der Zanetti-Drucke erhalten haben, kommt diesen auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiven Zeichnungen größere Bedeutung zu. Von den fünf Hamburger Blättern gehören zwei der frühen und drei der späteren Serie an. Auch wenn die Chiaroscuro zu den Aposteln zu unterschiedlichen Zeiten (um 1720 und 1739) entstanden, so heißt dies nicht zwingend, dass die Vorzeichnungen auch zeitlich so weit voneinander entfernt entstanden sein müssen. Denn bis auf das Blatt mit Johannes dem Evangelisten haben die Zeichnungen ein durchaus ähnliches Erscheinungsbild. Es ist daher denkbar, dass Zanetti einen größeren Teil der erst später gedruckten Blätter bereits kurz nach Erwerbung des Parmigianino-Konvoluts umgezeichnet hat.
Dies gilt auch für die vorliegende Zeichnung mit der Darstellung des Hl. Thomas. Sie kann aufgrund der fast identischen Größe und der seitenverkehrten Motivgleichheit sowie aufgrund von Durchdruckspuren als direkte Vorlage für Zanettis zur zweiten Apostelserie zählenden um 1740 entstandenen Chiaroscuro-Holzschnitt dieses Heiligen gelten.(Anm.8)

David Klemm

1 Kartonnotiz.
2 Zum Folgenden vgl. vor allem Parmigianino tradotto. La fortuna di Francesco Mazzola nelle stampe di riproduzione fra il Cinquecento e l’Ottocento, hrsg. v. Massimo Mussini, Grazia Maria De Rubeis, Ausst.-Kat. Parma, Biblioteca Palatina, Mailand 2003; zu Zanettis Chiaroscuro-Verfahren vgl. auch: Chiaroscuro. Italienische Farbholzschnitte der Renaissance und des Barock, bearb. v. Dieter Graf, Hermann Mildenberger, Im Blickfeld der Goethezeit IV, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Weimar 2001, S. 190–191.
3 Chiaroscuro. Italienische Farbholzschnitte der Renaissance und des Barock, bearb. v. Dieter Graf, Hermann Mildenberger, Im Blickfeld der Goethezeit IV, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Weimar 2001, S. 191.
4 Generell hat Zanetti offensichtlich in kleinen Auflagen gedruckt. Diesen Rückschluss erlauben die wenigen erhaltenen Exemplare der aus diesen Bänden herausgelösten Graphiken in den internationalen Sammlungen. Vgl. Chiaroscuro. Italienische Farbholzschnitte der Renaissance und des Barock, bearb. v. Dieter Graf, Hermann Mildenberger, Im Blickfeld der Goethezeit IV, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Weimar 2001, S. 191.
5 Vgl. zum Folgenden Chiaroscuro. Italienische Farbholzschnitte der Renaissance und des Barock, bearb. v. Dieter Graf, Hermann Mildenberger, Im Blickfeld der Goethezeit IV, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Weimar 2001, S. 174.
6 Eine Zeichnung Parmigianinos im British Museum ähnelt stark der späteren Umsetzung durch Zanetti, ist aber nicht exakt entsprechend. Vgl. die Angaben zu Inv.-Nr. 21555.
7 Wien, Albertina, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. 2658–2659; vgl. Veronika Birke, Janine Kertész: Die italienischen Zeichnungen der Albertina. Generalverzeichnis, Bd. III (Inv. 2401-14325), Veröffentlichungen der Albertina Bd. 35, Wien, Köln, Weimar 1995, S. 1458. Diese sind mit der Feder gezeichnet und laviert und weisen Übertragungsspuren auf.
8 The Illustrated Bartsch 48 (12), 50 (181).

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 224-225 (als anonym mit Hinweis auf del Moro); NH Ad : 01 : 03, fol. 109 (als del Moro): ""... in leichten Federcontouren auf grau laviertem Pap...."; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.363-364, Nr.557