Antonio del Pollaiuolo, Umkreis
Kämpfende Kentauren,
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Antonio del Pollaiuolo, Umkreis

Kämpfende Kentauren,

Antonio del Pollaiuolo, Umkreis

Kämpfende Kentauren

Die Zeichnung der kämpfenden Kentauren wurde stets mit Antonio Pollaiuolo in Zusammenhang gebracht. Während Harzen noch an eine Eigenhändigkeit des Florentiners glaubte, wurde das Blatt von späteren Forschern vor allem als Kopie nach einem verlorenen Werk Pollaiuolos angesehen. Dabei schwankte die Einschätzung zwischen „sehr schöner Zeichnung“ (Van Marle) bis hin zu „roher Darstellung“ (Ulmann). Letztere Bewertung ist sicher zutreffender, vermag doch das Hamburger Blatt nicht an die feine Linienführung der für den Künstler gesicherten Blätter heranzureichen. Wenn auch die ästhetische Qualität der Zeichnung begrenzt ist, so dokumentiert sie doch – wie Van Marle feststellte – sehr gut die künstlerischen Bestrebungen Pollaiuolos, der besonders an der Wiedergabe nackter Körper und der Auseinandersetzung mit dem Altertum und der „Wiederbelebung“ der Antike interessiert gewesen ist.
Ein genauer motivischer Vergleich zeigt denn auch, dass allgemeine Einflüsse Pollaiuolos auszumachen sind. Dieser hatte den Kampf nackter Männer mit seinem berühmten Kupferstich „Battaglia di Nudi“ beispielhaft entwickelt.(Anm.1) Aus diesem kanonischen Vorbild hat sich der anonyme Zeichner vor allem für die Haltung des Oberkörpers des unteren Kentauren Anregungen geholt. Eine ähnlich dynamische Rückenfigur eines kämpfenden Kentauren wie auf dem Hamburger Blatt findet sich dagegen auf einer Kopie nach Pollaiuolo in den Uffizien.(Anm.2) Die größte Übereinstimmung in der kompositionellen Gesamtanlage zeigt ein der Pollaiuolo-Werkstatt zugewiesener Kupferstich.(Anm.3) Dort schlagen in ähnlicher Weise zwei Kentauren mit Stäben aufeinander ein, wobei auch hier der scheinbar unterlegene untere Kentaur formal stärker übernommen wird. Gleichwohl sind gravierende Unterschiede nicht zu übersehen: So sind die Kentauren in Hamburg keineswegs mit Löwenfell gezeichnet; und anders als auf dem Kupferstich sind bei der Hamburger Komposition keine Zuschauer eingebunden. Durch die fast bildfüllende Darstellung erzielt die Hamburger Kampfszene eine deutlich packendere Wirkung.
Fragt man nach den Quellen einer derartigen Darstellung, so dürften am ehesten antike Sarkophagreliefs mit Kentaurenkämpfen als Vorbild gedient haben. Gunter Schweikhart dachte an den Einfluss eines Sarkophags, der sich noch im 19. Jahrhundert im Palazzo Peruzzi in Florenz befand, nun aber verschollen ist. Größere Teile seiner Gestaltung sind durch den Codex Wolfegg fol. 42v–43 sowie durch eine Zeichnung in Florenz überliefert.(Anm.4) Bober und Schweikhart nahmen an, dass das Hamburger Blatt von der linken Gruppe der Sarkophagvorderseite angeregt worden sei.(Anm.5) Dort befinden sich zwar zwei kämpfende Kentauren, auch gibt es einige Übereinstimmungen im Detail (z. B. steigt der rechte Kentaur auf); doch sind die Unterschiede in den Haltungen der Glieder, bei den Waffen usw. allzu groß, als dass eine direkte Beeinflussung denkbar wäre.
Neben antiken Vorbildern könnten auch zeitgenössische Bildlösungen anregend gewirkt haben. Allerdings sind die bei Lisner aufgeführten Beispiele ebenfalls relativ weit von der Hamburger Komposition entfernt.(Anm.6)
Demnach kann nur vermutet werden, dass der anonyme Zeichner direkt nach einer bislang nicht bekannten antiken Vorlage gezeichnet hat. Indem er diese monumentalisiert, bringt er einen wesentlichen eigenen Gestaltungszug in die Szene hinein. Eine Beeinflussung durch Pollaiuolo ist durchaus wahrscheinlich, wenn auch die bislang durchgehend behauptete große Nähe zu dem Florentiner Künstler anhand der überlieferten Kunstwerke nicht zwingend abgeleitet werden kann.

David Klemm

1 The Illustrated Bartsch 25 (13), 2 (202); Arthur M. Hind: Early Italian Engraving. A critical catalogue with complete reproduction of al the prints described 1, Teil 1, London 1938 , D. 1.1.
2 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 279 E; Laurie Fusco: Antonio Pollaiuolo’s Use of the Antique, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 42, 1979, S. 257-263, S. 260 u. Taf. 54, Abb. g.
3 Arthur M. Hind: Early Italian Engraving. A critical catalogue with complete reproduction of al the prints described 1, Teil 1, London 1938 , I, S. 196, D.1.6.
4 Vgl. Gunter Schweikhart: Der Codex Wolfegg. Zeichnungen nach der Antike von Amico Aspertini, Studies of the Warburg Institute, Bd. 38, London 1986, S. 101 u. Abb. 26; A. F. Gori, Erudizione varia, Codex Marucellianus A 276, fol. 111; Florenz, Biblioteca Marucelliana; vgl. Gunter Schweikhart: Der Codex Wolfegg. Zeichnungen nach der Antike von Amico Aspertini, Studies of the Warburg Institute, Bd. 38, London 1986, S. 101 u. Abb. 120.
5 Phyllis Pray Bober: Drawings after the Antique by Amico Aspertini. Sketchbooks in the British Museum, Studies of the Warburg Institute 21, London 1957, S. 55; Gunter Schweikhart: Der Codex Wolfegg. Zeichnungen nach der Antike von Amico Aspertini, Studies of the Warburg Institute, Bd. 38, London 1986, S. 101.
6 Vgl. die Beispiele bei Margrit Lisner: Form und Sinngehalt von Michelangelos Kentaurenschlacht mit Notizen zu Bertoldo di Giovanni, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 24, 1980, H. 3, S. 299-344.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Oben links eine durchgestrichene Beischrift: "Pinturricchio" (Technik?); auf dem Verso unten links von der Mitte: zwei Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244), NH Ad : 02 : 01. S. 219 (als Antonio Pollaiuolo); NH Ad : 01 : 03, fol. 103 (als Antonio Pollaiuolo): "Zwey kämpfende Centauren, welche Streitkolben führen, Feder und Tusche auf gelb gefärbtem Papier, gehöht. Sehr drastisch [?] behandelt. 15.3. 10.5 / Schadhaft"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Hurttig, Marcus Andrew: Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2011, S.S. 88, Nr.19, Abb.S. 87

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.296-297, Nr.437

Bernard Berenson: I disegni dei pittori fiorentini. Vom Autoren durchgesehene und erweiterte Ausgabe unter Mitarbeit von Nicky Mariano und Luisa Vertova Nicolson, Bd. 2, Mailand 1961, Nr.1944

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.12, Nr.31

V. T. [nicht aufgelöst]: Amburgo: Mostra di disegni italiani dal XV al XVIII secolo, in: Emporium. Rivista mensile illustrata d'arte e di cultura 76, 1957, Nr. 126, S. 228-229, S.229

Sergio Ortolani, Il Pollaiulo, Mailand 1948, S.215, Nr.121, Abb.Taf. 121

Bernard Berenson: The Drawings of the Florentine Painters. Amplified Edition, Bd. 2, Chicago 1938, S.270, Nr.1944

Raimond van Marle, The Development of the Italian Schools of Painting, Bd. XI: The Renaissance painters of Florence in the 15th Century, The Second Generation, Den Haag 1929, S.440

Bernard Berenson: The Drawings of the Florentine Painters Classified, Criticised and Studied as Documents in the History and Appreciation of the Tuscan Art, with a copious Catalogue Raisonné, Bd. 2, London 1903, S.136, Nr.1944

Wilhelm Koopmann: Einige weniger bekannte Handzeichnungen Raffaels, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstammlungen 12, 1891, S. 40-49, S.41