☰
Anonym (niederlÀndisch?, 16. Jh.)
PortrÀt eines Edelmannes in reichverziertem Rahmen,
ZurĂŒck Bildinfos ➕ ➖ ➕ 🗖 ❭

Anonym (niederlÀndisch?, 16. Jh.)

PortrÀt eines Edelmannes in reichverziertem Rahmen,

Anonym (niederlÀndisch?, 16. Jh.)

PortrÀt eines Edelmannes in reichverziertem Rahmen

Die Zeichnung zeigt einen jungen Edelmann in polnischer Tracht, durch das Wappen ausgewiesen als Mitglied einer adeligen Familie.(Anm.1) Er stĂŒtzt sich auf ein Buch, eine Anspielung auf seine Gelehrsamkeit oder Frömmigkeit. Sein in ein Oval eingestelltes PortrĂ€t ist umgeben von drei vollplastisch ausgearbeiteten Darstellungen der christlichen Tugenden Hoffnung, Liebe und Glaube. Das unten angebrachtete querovale Feld sollte sicher eine Inschrift aufnehmen. Es wird gerahmt von zwei halbnackten Genien mit brennenden Fackeln.
Die Konturen wurden mit dem Griffel nachgezogen, und auch die Komposition verweist eindeutig auf eine Funktion als Vorzeichnung fĂŒr einen Kupferstich. Ein entsprechender Druck konnte der Zeichnung bisher allerdings nicht zugeordnet werden.
Die am unteren Blattrand angebrachte Beschriftung benennt Francesco Vanni (1563–1610) als Urheber, doch lĂ€ĂŸt sich die Zeichnung nicht ĂŒberzeugend mit dessen gesicherten Studien verbinden. Nicholas Turner dachte an die Hand des ebenfalls in Siena tĂ€tigen Bernardino Capitelli (1589–1639).(Anm.2) Dagegen hielten Martin Royalton-Kisch, Hugo Chapman, Bert W. Meijer und Gert Jan van der Sman das Blatt eher fĂŒr das Werk eines niederlĂ€ndischen KĂŒnstlers und sahen AnklĂ€nge an Zeichnungen des Pieter de Jode (1570–1634).(Anm.3)
An dessen StichentwĂŒrfe erinnern in der Tat Elemente wie die flĂ€chige Lavierung und die durch feste Konturen klar umgegrenzten Formen.(Anm.4) Ungewöhnlich wĂ€ren jedoch die HĂ€nde mit den ĂŒberschlanken, biegsamen Fingern und die etwas unruhigere Strukturierung der GewĂ€nder.(Anm.5)
Die runden Augen mit den schweren Lidern erinnern an Zeichnungen des Frederik Sustris (1540–1599), wĂ€hrend die sperrig gefalteten GewĂ€nder wiederum Zeichnungen Hans von Aachens (1552–1616) nahe kommen.(Anm.6) Beide KĂŒnstler lieferten Vorlagen fĂŒr die Stiche der BrĂŒder Sadeler, und in diesem Umkreis wĂ€re die Hamburger Zeichnung am ehesten anzusiedeln. Eine Entstehung im spĂ€ten 16. Jahrhundert wird durch das Wasserzeichen bestĂ€tigt.
Unter den Stichen der Sadeler kommt eine Darstellung unserer Zeichnung in besonderer Weise nahe: die „Verherrlichung der Dreifaltigkeit“ (H. 261) von 1591 nach Entwurf des Antonio Maria Viani (1555/60–1620). Dies betrifft weniger die Komposition – ausgenommen dem in beiden FĂ€llen auffĂ€lligen Hang zur Symmetrie – als vielmehr die Wiedergabe der Figuren. Stilistische Übereinstimmungen finden sich in der Gestaltung von Gesichtern und Haaren, den runden Puttenköpfen und den wie gemeißelt wirkenden GewĂ€ndern und EngelsflĂŒgeln.
Der als Maler und Architekt tĂ€tige Viani lebte seit 1586 in MĂŒnchen, um an den dekorativen Bildprogrammen der Residenz und der Jesuitenkirche St. Michael mitzuwirken; er erhielt dort seine entscheidende PrĂ€gung durch niederlĂ€ndische KĂŒnstler wie Frederik Sustris und Pieter Candid. 1592 ging er nach Mantua, wo er vorwiegend als Architekt arbeitete.(Anm.7) Vielleicht ist Viani tĂ€tsĂ€chlich der Urheber unseres Blattes. Dann wĂ€re die alte Beischrift „F. Vanius“ als Fehlinterpretation seines Namens zu verstehen. Mit Vianis Hand ginge auch die außerordentlich prĂ€zise wiedergegebene Rahmenarchitektur konform, deren strenge Renaissanceformen an die profilierten Rundbögen der MĂŒnchner Michaelskirche erinnern.

Annemarie Stefes

1 Der aufgeschlagene pelzgefĂŒtterte Mantel und der mit einer Feder geschmĂŒckte Hut begegnen Ă€hnlich auf zeitgenössischen Darstellungen polnischer Edelleute, z. B. Aegidius Sadeler, „Bildnis des walachischen Woiwoden Michael des Tapferen“, 1601, Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Rudolfs II. Ausst.-Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, Essen, Villa HĂŒgel, 2 Bde., Freren 1988, Nr. 38; vgl. auch Stefano della Bellas Radierung Alexandre de Vesme, Phillis Dearborn Massar: Stefano della Bella, Catalogue RaisonnĂ©, New York 1971, Nr. 384. Das Familienwappen konnte bislang noch nicht bestimmt werden.
2 Brief vom 31. 10. 2005.
3 MĂŒndliche Mitteilungen an David Klemm (Mai 2008). Klemm hielt ebenfalls einen italienischen Entstehungskontext fĂŒr unwahrscheinlich.
4 Vgl. „Hl. Elisabeth“, London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1865,0114.832, oder „Bildnis der Teresa von Avila“, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1965-288, Marijn Schapelhouman: Nederlandse tekeningen omstreeks 1600, Catalogue of the Dutch and Flemish drawings in the Riksprentenkabinet, Rijksmuseum Amsterdam, Bd. 3, 's Gravenhage 1987, Nr. 38.
5 De Jode neigte in seinen PortrĂ€ts zu einer krĂ€ftigeren Gestaltung der HĂ€nde; es gibt aber auch Aus-nahmen wie die ihm zugeschriebene „Anbetung der Hirten“ in Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1888-A-1432, Marijn Schapelhouman: Nederlandse tekeningen omstreeks 1600, Catalogue of the Dutch and Flemish drawings in the Riksprentenkabinet, Rijksmuseum Amsterdam, Bd. 3, 's Gravenhage 1987, Nr. 41.
6 Vgl. die Sustris zugeschriebene „Götterversammlung“, MĂŒnchen, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1961:14, Ausst.-Kat. MĂŒnchen 2005, Nr. C3, oder „Arachne im Wettkampf mit Minerva“, Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 7943, ebd. Nr. C5; fĂŒr Hans von Aachen vgl. die „BĂŒĂŸende Magdalena“ in gleicher Sammlung, Inv.-Nr. 3304, ebd. Nr. E13.
7 Amedeo Belluzzi: Viani, Antonio Maria, in: Turner 1996, Bd. 32, S. 403-405, S. 403.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten in der Mitte bezeichnet: "F. Vanius Fe. Sienensis" (Feder in Braun)

Verso unten links: Stempel der Kunsthalle (L. 1233); in der Mitte: "3" (Bleistift)

Wasserzeichen / Kettenlinien

Adler, vom Typ vergleichbar mit Briquet Nr. 125 (Luxemburg 1587)
ca. 30 mm (h)

Provenienz

Ludwig Hermann Philippi (1848-1908), Hamburg (L. 1335); Legat Philippi an die Hamburger Kunsthalle 1908

Bibliographie

Stefes, Annemarie: NiederlĂ€ndische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.651, Nr.1245