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Anonym, Mittelitalien (?), 2. HĂ€lfte 16. Jahrhundert
Schutzmantelmadonna,
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Anonym, Mittelitalien (?), 2. HĂ€lfte 16. Jahrhundert

Schutzmantelmadonna,

Anonym, Mittelitalien (?), 2. HĂ€lfte 16. Jahrhundert

Schutzmantelmadonna

Die Darstellung der Madonna, die Menschen unter ihrem Mantel schĂŒtzt, ist seit dem 13. Jahrhundert in der abendlĂ€ndischen Kunst verbreitet.(Anm.1) Kaiser und Könige, aber auch Vertreter anderer sozialer Schichten waren die Auftraggeber derartiger Werke. Auf der vorliegenden Zeichnung handelt es sich eindeutig um die Darstellung einer geistlichen Bruderschaft. Harzen vermutete in der Gemeinschaft die FraternitĂ  della Misericordia in Florenz, doch lĂ€sst die wenig ausgeprĂ€gte Charakterisierung der Mitglieder keine genauere Bestimmung zu.
Die Darstellung von Bruderschaften unter dem Schutzmantel Mariens lĂ€sst sich im 16. Jahrhundert hĂ€ufiger auf Zeichnungen, so z. B. auf einem Blatt Gaudenzio Ferraris nachweisen.(Anm.2) Das Hamburger Motiv entspricht demnach einem gĂ€ngigen Typus, bei dem sich die Schutzsuchenden zu beiden Seiten Mariens unter dem von ihr selbst oder von Engeln hochgehaltenen Mantel versammeln. Eine sich in der technischen AusfĂŒhrung unterscheidende, aber formal sehr Ă€hnliche Lösung bietet eine Ventura Salimbeni zugeschriebene Zeichnung in Rennes.(Anm.3) Gut vergleichbar sind die statuarische Madonna, die knienden Menschen – dort befinden sich die MĂ€nner links, die Frauen rechts – sowie die beiden Engel, die einen Reif ĂŒber der Gottesmutter halten. Die Ähnlichkeit lĂ€sst den vorsichtigen Schluss zu, dass die Zeichnungen in Rennes und Hamburg auf ein gemeinsames Vorbild zurĂŒckgehen.
Auffallend bei der Hamburger Darstellung ist, dass einige der Mitglieder der Gemeinschaft ihre Gesichter offen zeigen, wĂ€hrend andere sie hinter einer nur mit Augenschlitzen versehenen Kappe verborgen halten.(Anm.4) Diese Tarnung wurde angewandt, um bei öffentlich praktizierten religiösen Handlungen nicht von den MitbĂŒrgern erkannt zu werden.
Die Zuschreibung der Zeichnung wurde auffallend kontrovers diskutiert, ohne dass bislang eine klĂ€rende Zuordnung gelungen wĂ€re. In der Sammlung Paignon-Dijonval wurde sie als Werk Giovanni Bellinis (um 1430–1516) (Anm.5), von Harzen dagegen als Arbeit Jacopo Ligozzis (1547–1627) angesehen. SpĂ€ter wurden laut Dokumentation des Kabinetts bzw. per anonymen Kartonnotizen so unterschiedliche KĂŒnstler wie Innocenzo Francuzzi, genannt da Imola (1490/94–1547/50) und Gregorio Pagani (1558–1605) zur Diskussion gestellt. Auf dem Hamburger Symposium im Oktober 2005 wurde letztlich ein Zeichner aus dem Vasari-Umkreis in ErwĂ€gung gezogen.(Anm.6)

David Klemm

1 Lexikon der Christlichen Ikonographie IV, 1972, Sp. 128–130.
2 Vgl. Sixteenth Century Italian Drawings from the Collection of Janos Scholz, bearb. v. Konrad Oberhuber, Dean Walker, Ausst.-Kat. Washington, National Gallery of Art, New York, The Pierpont Morgan Library, Washington 1973, S. 82, Nr. 69 und Abb. S. 84.
3 Disegno. Les dessins italiens du MusĂ©e de Rennes, Ausst.-Kat. Modena, Galleria e Museo Estense, Rennes, MusĂ©e des Beaux-Arts e d’ArchĂ©ologie, Rennes 1990, S. 221, Nr. 235 (243 x 188 mm). Die Hamburger Madonna ist menschlicher und weniger statuarisch aufgefasst.
4 Auf dem Blatt von Ferrari, siehe Anm. 2, tragen sÀmtliche Mitglieder der Bruderschaft ihre Kapuzen vor den Gesichtern.
5 Im Auktionskatalog der Sammlung, Paris 1810, S. 37, Nr. 671, heißt es: „La Vierge vĂȘtue d’un grand manteau, dont elle couvre des religieux de tous ordres; elle est couronnĂ©e par deux Anges: d. lavĂ© au bistre et rehaussi de blanc sur papier jannĂątre; h. q po. sur 8 po.“
6 AnlĂ€sslich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Umfassungslinie (Feder in Schwarz); auf dem Verso oben links bezeichnet: "o[?]" (Bleistift); im unteren Bereich nummeriert bzw. bezeichnet: "11" oder "M" oder "N" (Bleistift); ((Stempel der Kunsthalle fehlt noch))

Wasserzeichen / Kettenlinien

WZ: Lilie ohne durchgehendes Band im Kreis; nicht identifiziert.

Provenienz

Sammlung Paignon-Dijonval (1708-1792), Paris; Thomas Dimsdale (1758-1823), London (L. 2426); Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH. Ad: 01: 21, S. 705 (als Jacopo Ligozzi): "Madonna del Soccorso breitet ihren Mantel schĂŒtzend ĂŒber die um sie herum knieende Bruderschaft della Misericordia in Florenz. Feder auf braun. Pap. Gehöht. Br. 8.4 H. 9.3. Samml. Paignon-Disjonval, dort fĂŒr Giov. Bellini ausgegeben."; Legat Harzen 1863 an die "StĂ€dtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt ĂŒbereignet fĂŒr die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.402, Nr.611

M. BĂ©nard: Catalogue de M. Paignon Dijonval. État dĂ©taillĂ© et raisonnĂ© des dessins et d'estampes dont il est composĂ©; [...], RĂ©digĂ© par M. BĂ©nard, Peintre et Graveur. Par les soins et aux frais de M. Morel de VindĂ©, Correspondent de la premiĂšre Classe [...], Paris 1810, S.37, Nr.671