Das Blatt wurde ursprünglich Agostino Carracci zugeschrieben, wahrscheinlich in der Annahme, dass es mit dessen sogenannter Schule der Zeichnung („Scuola perfetta per imparare a Disegnare tutto il corpo Humana Cavata dallo studio, e disegni Carracci“) zusammenhängt.(Anm.1) Mit diesem erstmals 1626 in Rom erschienenen Mappenwerk sollte den Schülern der von den Carracci begründeten Accademia degli Incamminati und darüber hinaus allen Kunstinteressierten mittels einer Folge von Musterblättern mit anatomischen Studien eine Anleitung zum genauen Studium und damit zu einem besseren Verständnis der Natur gegeben werden.
Das Hamburger Blatt erinnert mit seiner relativ lebendigen Anordnung verschiedener Körperteile zwar prinzipiell an die von Carracci gewählte Bildform (Anm.2), jedoch entspricht kein einziges Detail exakt einer der Vorlagen. Ungewöhnlich ist auch, dass auf dem Hamburger Blatt Hände und Füße kombiniert sind, was in Carraccis Lehrbuch nicht vorkommt.
Somit ist allenfalls ein allgemeiner Einfluss von Carraccis „Schule der Zeichnung“ auszumachen. Darüber hinaus lässt sich der Zeichenstil des Blattes nicht mit Agostino Carracci verbinden.
Unabhängig davon sind derartige Anordnungen von Körperteilen als Vorlagen zum Studium vom 16. bis zum 18. Jahrhundert keine Seltenheit. Herausragende Beispiele wie Bloemaerts „Teecken-Boeck“, um 1650, erlangten erheblichen Einfluss. Denkbar ist also, dass es sich bei der Hamburger Zeichnung um ein Musterblatt handelt, das entweder die Kopie einer noch nicht nachweisbaren Vorlage darstellt, oder das selbst als Vorlage dienen sollte.

David Klemm

1 Die „Schule der Zeichnung“ entstand nach Entwürfen von Agostino Carracci und wurde weitgehend von Luca Ciamberlano und Francesco Brizio ausgeführt. Vgl. The Illustrated Bartsch 39 (18), 1 (159)-ff.
2 The Illustrated Bartsch 39 (18), 55 (166); ebd. 58 (166).