Anonym (holländisch)
Brustbild eines Herrn, auf die Rückenlehne eines Stuhls gestützt,
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Anonym (holländisch)

Brustbild eines Herrn, auf die Rückenlehne eines Stuhls gestützt,

Anonym (holländisch)

Brustbild eines Herrn, auf die Rückenlehne eines Stuhls gestützt

In der Hamburger Sammlung Schmidt galt diese, durch eine Bordüre aus gestanztem Goldpapier aufwändig gerahmte Zeichnung noch als Werk des Anton van Dyck und wurde als solches auch 1780 von Johann Gottlieb Prestel (1739–1808) im Gegensinn faksimiliert.(Anm.1) Harzen hielt die Autorschaft des in Hamburg geborenen Bildnismalers Juriaen Jacobsz. (1624–1685) für wahrscheinlicher; zu dem zeichnerischen Werk dieses Künstlers fehlt jedoch der stilistische Bezug.(Anm.2) In der Kunsthalle lag das Blatt zuletzt unter den anonymen Niederländern. Ein Zusammenhang mit Gabriël Metsu (1629–1667), wie auch von Pauli in der Museumskartei vorgeschlagen, wird im RKD vorausgesetzt, während Bauch das Blatt, einer Notiz in der Museumskartei zufolge, mit Jacob Backer in Verbindung brachte; dies wiederum wurde abgelehnt von Lugt.(Anm.3)
In der Literatur bislang unbeachtet geblieben ist der Bezug zu einer im Gegensinn übereinstimmenden, ebenfalls aus der Sammlung Schmidt stammenden Zeichnung gleichen Formats in Brünn.(Anm.4) Eindeutig handelt es sich bei unserem Blatt um einen von dieser Zeichnung abgenommenen Abklatsch, womit das blasse Erscheinungsbild und der diffuse Strich erklärt wären. Offensichtlich diente der Hamburger „contre-epreuve“ als Ausgangspunkt für den gegenseitig ausgerichteten Prestel-Stich, was dessen mit der Originalzeichnung seitengleiche Ausrichtung ermöglichte. Die vertikalen und horizontalen Knickfalten deuten auf Versand per Brief.(Anm.5)
Auch die Zeichnung in Brünn wurde unter Vorbehalt Backer zugeschrieben,(Anm.6) doch ist dies auszuschließen angesichts der dort diagonal von links nach rechts verlaufenden Schraffen: Ihr Urheber war zweifelsohne Linkshänder.(Anm.7) Von im Motiv verwandten Figurenstudien des 17. Jahrhunderts unterscheiden sich darüber hinaus die ausschnitthafte Präsentation des Dargestellten und seine räumliche Einbindung durch die Hintergrundschraffur.(Anm.8) Beides lässt, ebenso wie die schematische Wiedergabe der Locken, auf eine gemalte Vorlage schließen.(Anm.9) Dieses durch die Zeichnung in Brünn dokumentierte, bislang nicht identifizierte Bild wäre in der Tat im Umkreis Metsus anzusiedeln.(Anm.10)

Annemarie Stefes

1 Jean Theophil Prestel: Dessins ... du Cabinet de Monsieur Gérard Joachim Schmidt à Hambourg gravés ... par Jean Théophile Prestel, Nürnberg 1770, Nr. 8 als „Dessin d’Antoine van Dyck“, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 33608; vgl. Joseph Kiermeier-Debre, Fritz Franz Vogel (Hrsg.): Kunst kommt von Prestel. Das Künstlerehepaar Johann Gottlieb und Maria Katharina Presel. Die Sammlung Dr. Walter Prestel, Schwelm, Köln, 2008, Nr. 1508. Eine gezeichnete Kopie des Prestel-Stiches wurde 1917 als Werk des Joshua Reynolds versteigert, Aukt.-Kat. Wien, König 1917, Nr. 284.
2 Sicher Jacobsz zuschreibbare Zeichnungen sind derzeit kaum bekannt, und die ihm unter Vorbehalt zugewiesene „Studie eines Stieres“ zeigt keine stilistischen Gemeinsamkeiten mit unserem Blatt: Hamburger Kunsthalle, Inv.-Nr. 1915-569, Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, 2 Bde., Köln u.a. 2007, Nr. 419. Vermutlich dachte Harzen an verwandte Gemälde, z. B. das 1649 datierte „Herrenbildnis“ der Hamburger Kunsthalle, das sicher in Amsterdam unter dem Einfluss des Bartholomeus van der Helst entstanden ist, Inv.-Nr. HK 160, Thomas Ketelsen: Die niederländischen Gemälde 1500-1800, hrsg. von Uwe M. Schneede, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle, Bd. 2, Hamburg 2001, Nr. 160.
3 Notiz in der Museumskartei: „sicher von Backer“; Lugt in einer Notiz in der Photokartei des RKD.
4 Brünn, Moravska Galerie, Inv.-Nr. B 2554 (schwarze und weiße Kreide auf getöntem Papier, 245 x 323 mm), Jiří Kroupa: Nizozemská kresba 16.-18. století ze sbírek Moravské Galerie v Brnĕ, Brno 1988, Nr. 48.
5 Zu der Praxis, Zeichnungen per Brief zu versenden vgl. An Zwollo: Een 'Cornelis Saftleven' per brief, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 83, 1987, S. 402-406. Eine Vorstellung von den im 17. Jahrhundert üblichen Briefformaten gibt das ebd. Abb. 3 wiedergegebene „Briefgestell“ des Wallerant Vaillant in Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. 1232.
6 Vgl. Jiří Kroupa: Nizozemská kresba 16.-18. století ze sbírek Moravské Galerie v Brnĕ, Brno 1988, Nr. 48.
7 Vgl. Zeichnungen Backers in New York, Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 47.127.5 (Rogers Fund 1947), Peter van den Brink: Uitmuntend Schilder in het Groot. De Schilder en Tekenaar Jacob Adriaensz. Backer, in: Jacob Backer (1608/9 - 1651), Ausst.-Kat. Amsterdam/Aachen 2008, S. 27-84, Abb. 85, oder Cambridge, Fitzwilliam Museum, Inv.-Nr. 2970, ebd. Abb. 90; vgl. auch Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 9038, ebd. Nr. 41.
8 Vgl. zwei unter Vorbehalt Metsu zugeschriebene Zeichnungen in Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. P*18 und Inv.-Nr. R 35, Michiel C. Plomp: Jan Pietersz. Zomer's inscriptions on drawings, in: Delineavit et Sculpsit 17, 1997, S. 13-27, Nr. 256 und 257; vgl. auch das Blatt im Amsterdams Historisch Museum, Inv.-Nr. TA 18103, Ben Broos, Marijn Schapelhouman: Nederlandse Tekenaars geboren tussen 1600 en 1660, Oude tekeningen in het bezit van het Amsterdams Historisch Museum, waaronder de collectie Fodor, Bd. 4, Amsterdam/Zwolle 1993, Nr. 83; Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 17585, David A. de Witt: Jan van Noordt. Painter of History and Portraits in Amsterdam, Montreal & Kingston, London, Ithaca 2007, Nr. DR9.
9 Als mutmaßliche Kopie wird die Zeichung in Brünn auch bei Jiří Kroupa: Nizozemská kresba 16.-18. století ze sbírek Moravské Galerie v Brnĕ, Brno 1988 behandelt. – Eher sollte bei der Vorlage an eine Genredarstellung als an ein Porträt gedacht werden; gleicher Ansicht war auch Rudi Ekkart (mündliche Mitteilung vom 13. 5. 2009 auf Grundlage einer Digitalphotographie).
10 Ein direkter Gemäldebezug besteht nicht nach mündlicher Mitteilung von Adriaan Waiboer am 5. 2. 2009 (auf Grundlage einer Digitalphotographie).

Details zu diesem Werk

Beschriftung

unten Mitte L. 1168; verso unten links Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); rechts daneben bezeichnet: "N 14. / im Cabinett / Gerh: Joach: Schmidt / à Hamburg" (Feder in Schwarz); r.: "A.o 1780 / J. T. Prestel in Nürnberg / hievon Copia genommen" (Feder in Schwarz, von anderer Hand)

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
ca. 27 mm (h) (etwas unregelmäßig)

Provenienz

Gerhard Joachim Schmidt (1742-1801), Hamburg (L. 1168); David Christopher Mettlerkamp (1774-1850), Hamburg (nicht bei Lugt); auf dessen Nachlaßauktion 1857 ("A. van Dyk. Brustbild eines Mannes mit breitem Hut, die Linke am Degengefäss. Kreide, gehöht, auf grauem Papier. - Etwas verwischt. H. & Br. 10 Z. Diese Zeichnung ist von Prestel gestochen; No. 8 (Schmidt)") erworben von Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 17 als "Anton van Dyck": "Halbfigur eines Mannes mit breitrandigem Hute, auf einem Stuhle sitzend. Kreide auf grau Papier, gehöht. 8.9/9.1. Samml. G. J. Schmidt. Nebst dem {von J. F. Prestel} Facsimile in Kreidemanier ausgeführt Dessin d`Antoine van Dyck J. F. Prestel fc 1780. Die sehr wackere Zeichnung ist wahrscheinlich von Juriaen Jacobs Hand."; NH Ad: 02: 01, S. 249); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.671, Nr.1286

Verzeichniss der vom Herrn Oberstlieutenant D. C. Mettlerkamp nachgelassenen vorzüglichen Sammlung von Original-Handzeichnungen, 30. 9.1857 ff., Christian Meyer, Hamburg 1857, S.26, Nr.378

Verzeichniss der wohlbekannten, sehr beträchtlichen Sammlung Original-Hand-Zeichnungen der vorzüglichsten Meister aller Schulen von dem ohnlängst verstorbenen Herrn Gerhard Joachim Schmidt gesammelt und hinterlassen; deren öffentlicher Verkauf (....), 16. 11. 1818 ff., Johannes Noodt, Hamburg 1818, S.68, Nr.1229 oder 1238

Jean Theophil Prestel: Dessins ... du Cabinet de Monsieur Gérard Joachim Schmidt à Hambourg gravés ... par Jean Théophile Prestel, Nürnberg 1770, Nr.8