Anonym (holländisch) Eglon Hendrik van der Neer, ehemals zugeschrieben
Musizierende Gesellschaft, um 1680 - 1690
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Anonym (holländisch) Eglon Hendrik van der Neer, ehemals zugeschrieben

Musizierende Gesellschaft, um 1680 - 1690

Anonym (holländisch) Eglon Hendrik van der Neer, ehemals zugeschrieben

Musizierende Gesellschaft, um 1680 - 1690

Dieser Darstellung war bereits bei ihrem Erwerb durch Harzen ein seitengleich übereinstimmendes Schabkunstblatt beigeben.(Anm.1) In der Museumskartei wurde die Zeichnung als Kopie nach dem Druck beschrieben, den kompositorischen Abweichungen zum Trotz und offensichtlich in Unkenntnis der Übertragungsspuren mit dem Griffel. Diese Eigenschaften kennzeichnen das Blatt vielmehr als Stecherentwurf, wobei die seitengleiche Ausrichtung ein Übertragungspapier zwischen Entwurf und Druck voraussetzt.
Das Schabkunstblatt vereinfacht die detailreichere Komposition der Zeichnung und verzichtet auf den stehenden Herren, wenngleich dessen Konturen mit dem Griffel nachgezogen wurden. Nicht übernommen sind auch der Hocker neben der Lautenspielerin und Details wie das rund gedrechselte Stuhlbein. Anstelle des vor dem sitzenden Jüngling aufgestellten Notenblattes und der floralen Strukturen ganz rechts stehen auf dem Schabkunstblatt Teller, Pfeife und Flasche auf dem Tisch. Die Konturen dieser Gegenstände sind auf der Zeichnung nur in der Griffelung zu erkennen und gehen vielleicht zurück auf Vorschläge des Stechers, als schlichtere Alternativen zu den differenzierten, aber mit Mitteln der Schabkunst schwer wiederzugebenden Elementen der Ausgangskomposition.
Schon Harzen erwähnte das Schabkunstblatt als Werk des John Smith (1652–1742), und diese Zuschreibung ist bis heute gültig.(Anm.2) Daraus wäre auch für das Hamburger Blatt ein grundsätzlicher Bezug zum englischen Kulturkreis abzuleiten, den die rückseitigen Bemerkungen in englischer Sprache grundsätzlich bestätigen.(Anm.3) Die eigentliche Bildidee indes ist mit einiger Sicherheit der holländischen Schule zuzuordnen.(Anm.4) In der Kunsthalle galt unser Blatt zuletzt als Werk des Eglon van der Neer (1634–1703), doch ist dies mit Sicherheit auszuschließen. Zum einen scheint Van der Neer nicht mit Reproduktionsstechern zusammengearbeitet zu haben, zum anderen konnte ihm Eddy Schavemaker, der ein Œuvreverzeichnis Van der Neers vorbereitet, bislang keine Zeichnung zweifelsfrei zuweisen.(Anm.5)
Eher ist der Urheber des Hamburger Blattes im Umkreis der in London tätigen Niederländer zu suchen. Die teils sperrige, teils eigenartig krause Linienführung kenn-zeichnet einen nur durchschnittlich begabten Zeichner, dessen wesentliche Aufgabe offenbar in der Übertragung einer gemalten Vorlage in ein graphisches Medium bestand. Einen im Zuge des Schabkunstverfahrens aufkommenden Bedarf an derartigen „Spezialisten“ belegt das Beispiel des aus Antwerpen stammenden Balthasar van Lemens (1637–1704), der sich seit 1660 in London aufhielt und auf die Produktion von Entwurfszeichnungen für Maler und Kupferstecher verlegt hatte.(Anm.6) Man kann davon ausgehen, dass in Smith’s Umkreis viele heute unbekannte „Reproduktionszeichner“ tätig waren.(Anm.7)
Wenn eine Bestimmung der Autorschaft nach derzeitigem Wissenstand nicht möglich erscheint, so kann das Blatt doch in die frühen 1680er Jahre datiert werden. Das zugehörige Schabkunstblatt ist angesichts seiner vergleichsweise schlichten Ausführung dem Frühwerk Smiths zuzuordnen.(Anm.8) Auf eine Entstehung in den 1680er Jahren weist ferner die Kostümierung der Dargestellten, und die „à la hurluberlu“ frisierte Dame folgt einer Mode, wie sie um 1677 aus Frankreich übernommen wurde und für etwa eine Dekade „en vogue“ blieb.(Anm.9)

Annemarie Stefes

1 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 22785 a (147 x 107 mm).
2 Harzen, gebundenes Inventar, zuvor beschrieb er es als „in der Manier des [Bernard] Lens“; vgl. Wessely 1887, Nr. 429 („Die Lautenspielerin. Die junge Dame sitzt neben dem mit einem Teppich bedeckten Tische und spielt die Laute; hinter dem Tische sitzt der junge Mann und scheint ihrem Spiel mit Wohlgefallen zuzuhören. Ohne Bezeichnung.“), bestätigt von James A. Ganz gemäß des „online-Kataloges“ des British Museums, bei Inv.-Nr. 1876,1111.63.
3 Offensichtlich wurde die Zeichnung später als Notizblatt verwendet.
4 Auszuschließen ist die von Harzen vorgeschlagene Autorschaft Caspar Netschers: Thematisch verwandte Netscher-Zeichnungen sind flüssiger und entschiedener gearbeitet; ein Kontakt nach England ist nicht bekannt. Vgl. „Gesangsstunde“, 1664, Paris, Petit Palais, Sammlung Dutuit, Frits Lugt: Les Dessins des Écoles du Nord de la Collection Dutuit, Paris 1927, Nr. 53, Marjorie Elizabeth Wiesemann: Caspar Netscher and Late Seventeenth Century Dutch Paintings, Doornspijk 2002, Abb. 59. Ähnliche Motive begegnen auch bei Jan Verkolje, z. B. „Bordellszene“, 1962, Den Haag, Kunsthandel Saam Nystad; vgl. auch das „Musizierende Paar“ aus dem Umkreis Verschurings, Aukt.-Kat. Amsterdam, Sotheby’s, 6. 11. 2001, Nr. 126. Ein gewisser stilistischer Bezug besteht zu den wenigen Jacob Ochtervelt (1634–1682) zugeschriebenen Zeichnungen, z. B. der „Musizierenden Gesell-schaft“, Oslo, Nasjonalgalleriet, Inv.-Nr. B. 15737, Corpus Gernsheim 78 523; für diesen Hinweis vom 24. 10. 2008 danke ich Gerdien Wuestman.
5 Mitteilung per E-Mail vom 26. 10. 2008. Bei den Van der Neer unter Vorbehalt zugeordneten Blättern handelt es sich in erster Linie wohl um „ricordi“ seiner eigenen Kompositionen oder Kopien nach Gemäldedetails anderer Künstler.
6 So schon Henry Reveley: Notices illustrative of the Drawings and Sketches of some of the most Distinguished Masters in all the Principal Schools of Design, London 1820, S. 142–143; vgl. auch Claus Zoege von Manteuffel: Lemens, Balthasar van, in: Thieme/Becker 1907-50, Bd. 23, S. 24.
7 In der Regel zogen die Mezzotinto-Stecher gemalte Vorlagen vor, doch war gerade in den Anfangsjahren eine Orientierung an gezeichneten Vorlagen nicht ungewöhnlich, worauf Gerdien Wuestman per E-Mail 24. 10. 2008 verwies; vgl. auch Anthony Griffiths: Early Mezzotint Publishing in England - I. John Smith, 1652-1743, in: Print Quarterly 6, 1989, S. 242-257, S. 254.
8 Zudem fehlen auf dem Druck Inschriften und Verlegeradressen; Smiths erste datierte Drucke im Mezzotintoverfahren stammen aus dem Jahre 1683, vgl. Anthony Griffiths: Early Mezzotint Publishing in England - I. John Smith, 1652-1743, in: Print Quarterly 6, 1989, S. 242-257, S. 251.
9 Eddy Schavemaker, Mitteilung per E-Mail, 26. 10. 2008. Für ähnliche Trachten vgl. Caspar Netschers „Bildnis eines Herrn“, 1680, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 850 b, Marjorie Elizabeth Wiesemann: Caspar Netscher and Late Seventeenth Century Dutch Paintings, Doornspijk 2002, Nr. 189, und „Bildnis einer Dame“, 1683, London, National Gallery, Inv.-Nr. NG 4790, ebd. Nr. 217.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Verso oben links Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); in der oberen Hälfte kopfstehend: "371. this figure must be made big ... [beschn.] / y least / 359. 347 343 this bird [?] mu ... [beschn.] / 389.391...38 this figure must b ... [beschn.] / mouth net / 464.473 this left must be bigg ... [beschn.]" (Feder in Braun, 17. oder 18. Jh.)

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
25 mm (h)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 40 als "Casper Netscher": "Eine junge Dame zupft die Laute, sitzend an einem Tische, über den gelehnt ein junger Cavalier ihren Tönen aufmerksam lauscht, ein älterer giebt seinen Beifall [...] zu erkennen. Saubere Bleistift Zeichnung ein Geschenk des Meisters, auf der Rückseite Notizen, Bilder betreffend in alter englischer Schrift. FF 4.5.5.0 Die Zeichnung hat zu einem geschabten Blatte in der selben Größe gedient in der Manier des Lens, worin die Figur des alten Herrn weggelassen ist."; NH Ad: 02: 01, S. 260: "Nebst geschabtem Blatte v. Smith"); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.674-675, Nr.1291