Andrea del Sarto, eigentlich Andrea d’Agnolo di Francesco
Studie eines Haarschopfes, um 1522
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Andrea del Sarto, eigentlich Andrea d’Agnolo di Francesco

Studie eines Haarschopfes, um 1522

Andrea del Sarto, eigentlich Andrea d’Agnolo di Francesco

Studie eines Haarschopfes, um 1522

Die Zeichnung wurde bereits von Harzen Andrea del Sarto zugeschrieben. Erstmals publiziert wurde sie von Fraenckel 1935; Berenson nahm sie erst 1961 in sein Verzeichnis der „Florentine Drawings“ auf. 1965 wies John Shearman darauf hin, dass del Sartos Zeichnung durch spätere Zutaten – vgl. die schwachen Andeutungen von Schulter und Hals und die Schraffuren am Haaransatz – falsch interpretiert worden ist. Der Kopf schaut nämlich nicht vom Betrachter weg, wie die jetzige Montierung suggeriert, sondern nach vorn und nach unten. Hinzu kommt, dass das ursprünglich rechteckige Blatt – seine seitlichen und unteren Begrenzungen sind noch zu erkennen – wohl spätestens bei der von Mariette veranlassten Rahmung in eine ovale Form gebracht und zudem gedreht wurde.
Ausgehend von diesen Beobachtungen konnte Shearman den Haarschopf als Vorzeichnung für Sartos 1522–25 entstandene Himmelfahrt Mariens, die sogenannte Panciatichi Assunta, bestimmen.(Anm.1) Es handelt sich um den von einer Wolke zu Füßen der emporschwebenden Madonna nach links unten herabschauenden Putto. Zwar entspricht die Studie nicht – wie Shearman feststellte (Anm.2) – ganz exakt dem ausgeführten Gemälde, doch sind die Übereinstimmungen weitgehend, sodass das Blatt als Vorzeichnung anzusprechen ist.
Die Studie ist ein hervorragendes Beispiel für Sartos Zeichenkunst und aufgrund des ungewöhnlichen Motivs bemerkenswert. In Rom befindet sich eine vergleichbare Haarstudie, die allerdings – wie Enrichetta Beltrame Quattrocchi zurecht anmerkte – die Qualität des Hamburger Blattes nicht erreicht.(Anm.3) Diese Studie diente zur Vorbereitung der Thomas-Figur in der sogenannten Passerini Assunta.(Anm.4)
Die alte Inschrift „turpilio“ steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Zeichnung.

David Klemm

1 Florenz, Palazzo Pitti, Inv.-Nr. 191; das Gemälde wurde von Bartolomeo Panciatichi d. Ä. für die Dominikanerkirche in Lyon in Auftrag gegeben, es gelangte dann aber aus der Werkstatt in eine kleine Kapelle in der Villa Baroncelli (Teil der Villa von Poggio Imperiale). Vgl. zur Geschichte Shearman 1965, II, S. 253–254.
2 Ebd., S. 359.
3 Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, Gabinetto Nazionale delle Stampe, Inv.-Nr. FC 124156; vgl. Ausst.-Kat. Rom 1979, S. 55–56.
4 Florenz, Palazzo Pitti, Inv.-Nr. 225.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Am rechten Blattrand in der Mitte bezeichnet: "turpilio"[?] (Feder in Braun, um ca. 150 Grad nach links gedreht)

Unten in der Mitte Stempel der Sammlung Mariette (L. 1852); auf der Montierung nummeriert: "24" (Bleistift); auf dem Verso auf der Montierung Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

WZ ( Kaschierung / Untersatzkarton ) WZ (auf Kaschierung): Nicht erkennbar.

Provenienz

Pierre-Jean Mariette (1694-1774), Paris (L. 1852); Ernst Georg Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 220 (als Andrea del Sarto); NH Ad : 01 : 03, fol. 114 (als Andrea del Sarto): "Vortreffliche Röthelstudie des schön gelockten Haarschopfs eines Kindes. Lebensgroß. Bez. mio filio. Oval 10.3. 12.0. Samml Mariette"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Julia Saviello: Verlockungen. Haare in der Kunst der frühen Neuzeit, zephir 7, hrsg. v. Fabio Barry, Joseph Imorde und Tristan Weddigen, Emsdetten, Berlin 2017, S.83, Abb.19

J. Saviello, Verlockungen: Haare in der Kunst der Frühen Neuzeit, Emsdetten: Edition Imrode 2017 - 291, S.83, Abb.S. 83 (Abb. 19)

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.72, Nr.12

David Klemm: Von Leonardo bis Piranesi. Italienische Zeichnungen von 1450 bis 1800 aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner, David Klemm und Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Bremen 2008, S.60-61, Abb, S. 223, Nr.24

Eckhard Schaar, David Klemm: Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1997, S.107, Nr.56, Abb.40

Enrichetta Beltrame Quattrocchi: Disegni Toscani e Umbri del Primo. Rinascimento dalle collezioni del Gabinetto Nazionale delle Stampe, Ausst.-Kat. Rom 1979, S.55-56

John Shearman: Andrea del Sarto, Bd. 1, Oxford 1965, Abb.Taf. 107 d

John Shearman: Andrea del Sarto, Bd. 2, Oxford 1965, S.359

Sydney J. Freedberg: Andrea del Sarto, Bd. 2, Cambridge/Mass. 1963, Abb.Nr. 127

Sydney J. Freedberg: Andrea del Sarto, Bd. 1, Cambridge/Mass. 1963, S.116

Bernard Berenson: I disegni dei pittori fiorentini. Vom Autoren durchgesehene und erweiterte Ausgabe unter Mitarbeit von Nicky Mariano und Luisa Vertova Nicolson, Bd. 2, Mailand 1961, Nr.129 B

V. T. [nicht aufgelöst]: Amburgo: Mostra di disegni italiani dal XV al XVIII secolo, in: Emporium. Rivista mensile illustrata d'arte e di cultura 76, 1957, Nr. 126, S. 228-229, S.229

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.17, Nr.60

Ingeborg Fraenckel: Andrea del Sarto. Gemälde und Zeichnungen. Zur Kunstgeschichte des Auslandes. Heft 136, Straßburg 1935, S.178, Nr.Tafel XXII, 2

Wilhelm Koopmann: Einige weniger bekannte Handzeichnungen Raffaels, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstammlungen 12, 1891, S. 40-49, S.40