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Max Beckmann

Menschenorchester

Eigentlich ist es ja sinnlos, die Menschen, diesen Haufen von Egoismus (zu dem man selbst gehört), zu lieben. Je tue es aber trotz­dem. Ich liebe sie mit aller ihrer Kleinlichkeit und Banalität. Mit ihrem Stumpfsinn und billiger Genügsamkeit und ihrem ach so seltenen Heldentum. Und trotzdem ist mir jeder Mensch täglich immer wieder ein Ereignis, als wenn er eben vom Orion heruntergefallen wäre. Wo kann ich dieses Gefühl stärker befriedigen als in der Stadt? ... Bauern und Landschaft ist sicher auch etwas sehr Schönes und gelegentlich eine schöne Erholung. Aber das große Menschenorchester ist doch die Stadt.
Max Beckmann, Schöpferische Konfession, Berlin 1920

Daß für den Maler Beckmann die Landschaft nicht nur »gelegentlich eine schöne Erholung« war, zeigt die Ausstellung Landschaft als Fremde, die bis zum 8. November in der Galerie der Gegenwart zu sehen ist. Parallel dazu haben wir aus den Beständen der Sammlung Hegewisch graphische Blät­ter ausgewählt, die den Menschendarsteller Beckmann zeigen. Gerade in seiner Graphik offenbart sich Beckmanns bereits 1912 geäußerte Absicht, »aus unserer Zeit heraus mit, all ihren Unklarheiten und Zerrissenheiten Typen zu bilden«. Der Künstler beobachtet seine Zeitgenossen, notiert scharf und aufgewühlt, wie sie bieder und gemein, verzweifelt und vergeblich den Kampf ums Dasein führen, und er hört dabei nicht auf, nach einem Sinn der menschlichen  Existenz zu fragen.

Die ungewöhnlich großformatigen  Lithographien der Mappe Die Holle ( 1919) stehen in ihrer Er­scheinung und in ihrem Anspruch der Malerei Beckmanns sehr nahe. Die Blätter sind unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs entstanden. Beckmann schildert die Nachkriegszeit als beunruhi­gende Abfolge von Gewalt, Verbrechen, Armut. Wie andere Folgen auch leitet er die Mappe mit einem Selbstbildnis ein. Mit aufgerissenen Augen, in gleißendem Licht stehend, präsentiert sich der Künstler als einen, der den Abstieg in die Hölle gewagt und das Unfaßbare gesehen hat. Ohne Unterbrechung hat sich der Krieg vom Schützengraben in die Stadt verlagert, wo der Künstler au f dem Nachhauseweg (Blatt 2) einem Kriegskrüppel begegnet. Im Licht der Laterne blitzt das zer­schossene Gesicht eines mit Prothesen zusammengeflickten Veteranen au f. In seiner starren Pupille begegnet der Künstler sich selbst und dem Inferno der Großstadt, in dem jeder dem anderen zur Hölle geworden ist.

Nach der Werkgruppe der Zeichnungen  und Graphik Picassos und der phantastischen Graphik aus fünf Jahrhunderten (»Verhext«) ist dies die dritte Ausstellung, die allein aus den Beständen der Sammlung von Klaus und Erika Hegewisch ausgerichtet wird.