Kapitel der Ausstellung

Die Ausstellung widmet sich den aktuellen und virulenten Themen unserer Zeit: Fragen nach Ver­ständigung und Kommunikation, Abschottung und Abgrenzung, Machtausübung und Protest, Utopie und Struktur. Auch nimmt sie (virtuelle) Welten und Wirklichkeiten anhand von Architektur­ent­würfen in den Blick, thematisiert das Spannungsfeld von Form und Auflösung, und zeigt Potentiale der Vernetzung in Stoff und Sprache.

Wie der Ausstellungstitel andeutet, werden viele Neuzugänge in der Sammlung – Neuankäufe ebenso wie Schenkungen – erstmalig vorgestellt (something new), bedeutende Werke der Sam­mlung seit den 1960er-Jahren im Dialog mit junger Gegenwartskunst neu beleuchtet (some­thing old), sowie begehrte Kunstwerke in die Schau integriert (something desired). So entsteht eine spannungsvolle Zusammenstellung, in der sich die vielstimmige Kunst der Gegenwart in themati­schen Gruppen zusammenfindet und überraschende Begegnungen ermöglicht.

Lost in translation

Kommunikation erscheint auf den ersten Blick als ebenso lebensnotwendig wie einfach. Doch viele Ver­suche der Verständigung bergen das Potenzial, missverstanden oder fehlgeleitet zu werden. Dies kann sowohl öffentlich-plakative LED-Nachrichten (Jenny Holzer) als auch die scheinbar beiläufigen Stick­arbei­ten mit sexistischem Inhalt (Annette Messager) oder auch die Verbindung zwischen Mensch und Tier betreffen. In einer großformatigen Videoarbeit (Annika Kahrs) trifft das riesige Streichinstrument Okto­bass auf Giraffen in Hagenbecks Tierpark. Doch dem menschlichen Gehör sind die tiefen Töne von musi­kalischem und tierischem Ausdruck nicht in ihrer Gänze zugänglich. Von Kommunikationsproblemen zwi­schen Menschen verschiedener Sprachen und Kontinente berichtet ein europäischer Tourist in Mexiko (Simon Fujiwara). Seine an Europa adressierten Briefe diktierte er mexikanischen Straßen-Schreibkräften auf Englisch. Die Verständigungsprobleme beginnen jedoch schon bei der Anrede: »Dear Europe« wird zu einem missverständlichen »Dir Jurop«.

Strukturen der Macht

Macht, ihre Strukturen, Ausprägungen, Gefahren und Grenzen werden auf unterschiedlichste Weise ver­handelt. Zentrale Orte der Machtausübung (Thomas Demand) oder auch ökonomische Macht­struk­turen (Simon Denny) offenbaren ihre gesellschaftspolitische Dimension. Mittels eines überdimensio­nier­ten Metallzaunes (Cady Noland), wird ein Bild von Zugehörigkeit und Ausgrenzung vermittelt. Soziale Struk­turen und gesellschaftspolitische Machtverhältnisse, die unser aller Leben beeinflussen, werden offen­gelegt.

Zielscheibe Kind

Kinder sind in unserer Gesellschaft besonders häufig unausgewogenen Machtverhältnissen ausgeliefert. Der Mädchenfigur Clara ist wortwörtlich eine Zielscheibe umgehängt (Pia Stadtbäumer). Das ganze Ausmaß an Gewalt, der Kinder ausgesetzt sein können, wird in einem berührenden Soundpiece deutlich, das in einem leeren Raum erklingt (Almut Linde). Ein neunjähriges Mädchen, das an der deutsch-tschechischen Grenze zur Prostitution gezwungen wurde, singt Kinderlieder, die von einer heilen Welt und dem Wunsch nach einem anderen Leben erzählen. Von familiärem Missbrauch erzählt ein Video (Paul McCarthy & Mike Kelley) und ramponierte Kuscheltiere wecken ambivalente Gefühle von Liebe und Not (Annette Messager).

Material und Prozess

Materialien sind im Laufe der Zeit steter Veränderung unterworfen. In Kontakt mit der Umgebung, mit Licht, Sauerstoff und anderen Elementen verändern sich Aussehen, Textur und Form. Dies machen sich Künstler*innen zunutze, indem sie chemisch-physikalische Prozesse und ihre Auswirkungen auf Materia­lien einkalkulieren und sogar zum Thema ihrer Kunst machen. Die ästhetischen Qualitäten von Verwand­lungen werden untersucht (Edith Dekyndt) oder die Interaktion von Materialien ins Blickfeld gerückt (Nina Canell). Die monumentale Bodenarbeit Measurements of Time, Seeing is Believing (Richard Serra) erzählt von der Erstarrung des einst flüssigen Bleis. Zeitlichkeit und Veränderungsprozesse werden erfahrbar.

Tanz der Wiederholung

Aus seriellen Arbeitsprozessen und -strukturen können einzigartige, individuelle Werke entstehen. Tobias Putrih macht sich die leichten Veränderungen zunutze, die entstehen, wenn originäre Ungenauigkeiten beim wiederholten Nachmalen eines Kreises immer weiter verstärkt werden. Aus diesen Formen entsteht letztlich eine große, organische Skulptur. Das Ergebnis ist ein Spiel mit dem Material, dessen Wieder­holung und der daraus entstehenden Wirkung. Die einzelnen Elemente aus Aluminium von Robert Morris‘ Untitled (16 units) sind variabel aufstellbar. Obwohl sie identisch anmuten und das Material selbst relativ starr ist, gewinnen sie durch die modulare Formgebung, die durchbrochene Struktur und das einfallende Licht eine gewisse Leichtigkeit und Lebendigkeit. Das Spiel mit Variationen und leichten Abwandlungen erweitert das Werk in den Raum hinein und über seine stofflichen Grenzen hinaus.

Die Bücher

Annette Kelm hat die Einbände von Büchern aus den Jahren 1913 – 1944 fotografiert, die unter den Nationalsozialisten auf der Liste »schädlichen und unerwünschten Schrifttums«  standen und der Bücherverbrennung anheimfielen. Die Fotografien dieser Ausgaben sind frontal aufgenommen und sachlich auf weißem Hintergrund präsentiert. Sie verweisen einerseits auf den liberalen, urbanen Zeitgeist, in dessen Umfeld sie entstanden. Andererseits sind sie durch die nüchterne Art ihrer Ablichtung und ihre serielle Anordnung zugleich ihrer Zeit enthoben. Die Bücher wirken aktuell und ungeheuer präsent.

Ausgrenzung und Übergriff

Annette Kelms‘ Fotografien verfemter Bücher stehen Jannis Kounellis‘ Rußspuren gegenüber. Beide Werke erzählen, wie auch die restlichen Arbeiten dieses Ausstellungsraumes, von Eingriffen, Übergriffen und gezielten Ausschlüssen. Die Bücherverbrennung, die in Annette Kelms Werk thematisiert wird, klingt bei Kounellis als schattenhafte Rußspuren an der Wand an. Werke wie Andreas Slominskis G black verhandeln Fragen des Ausschlusses, aber auch der selbstgewählten Isolation anhand eines industriegefertigten, schwarzen Garagentors. Weitergeführt werden Aspekte von Diskriminierung und tödlicher Ausgrenzung im nächsten Raum, in dem Cordula Ditz von einem Hamburger Widerständler gegen das NS-Regime, dem 17-jährigen Helmuth Hübener, und seiner Geschichte in einer multimedialen Installation erzählt.

Fleisch und Transformation

Die Verbindung von Körper und Geist beschäftigt den Menschen seit Jahrtausenden. Auch Künstler*innen haben sich über die Epochen hinweg mit diesem Thema auseinandergesetzt. Die Werke in diesem Ausstellungsraum machen exemplarisch die Vielfalt der künstlerischen Auseinandersetzung deutlich. Mit A Station of the Cross besitzt die Hamburger Kunsthalle die einzige vollständig erhaltene Rauminstallation des 1988 verstorbenen amerikanischen Künstlers Paul Thek. Thek verstand Kunst als eine Form der Liturgie. In wechselnder Besetzung treten die Fotografien von Jürgen Klauke beziehungsweise Günter Brus in Dialog zur religiös-sakralen Kunst von Paul Thek und fügen in ihrer Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper existentielle und selbstironische Aspekte hinzu.

Faden und Fährten

Künstler*innen wie Sara Sizer, Hannah Rath und Fernando de Brito nutzen in ihren Werken verschiedene Formen der Linie. Das kann das Gewebe von Textilien sein, aber auch die geschwungen-malerischen Linien von Schrift, die Spuren rhythmischer Anschläge oder die Schatten, die Arbeiten wie Hannah Raths zarte Netzarbeiten an die Wand werfen. Die Werke sind textilen Liniensystemen vergleichbar und stehen stellvertretend für menschliche Kommunikation, Vernetzungen und Verknüpfungen in unserer (globalen) Welt. Die Künstler*innen loten auf diese Weise Fragen der Wahrnehmung von Materialität, Linie und Sprache aus und hinterfragen deren Stofflichkeit und Zuschreibungen. Ihre Strukturen, Bewegungen im Raum und Grenzen werden für die Betrachter*innen sicht- und physisch erfahrbar.

(Virtuelle) Landschaften

Kaum etwas scheint so selbstverständlich wie die Landschaften, in denen wir uns bewegen. Und doch ist unsere Wahrnehmung letztlich ebenso von unseren Erwartungen und Erfahrungen geprägt wie von unseren scheinbar objektiven Sinneseindrücken. Simon Modersohn und Bernd Koberling setzen sich mit diesem Phänomen auseinander. Sie verfremden ihre Motive mithilfe malerischer Mittel wie Farbauftrag, Bildausschnitt und Farbigkeit und formen so aus im Grunde unspektakulären Landschaftsdarstellungen rätselhafte und beunruhigende Szenen. Tilman Walther arbeitet in seiner Filmcollage mit Bildern ländlicher und vorstädtischer Räume, wie sie in diversen Computerspielen der 2010er-Jahre auftauchen. Auch hier wird deutlich, dass die Wirklichkeit des Filmes eine produzierte Montage ist, die vom Selbstverständnis und den Erfahrungen ihrer Gestalter*innen beeinflusst wurde.

Psychogramm der Dinge

Alltägliche Gegenstände sind uns zum Teil so vertraut, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Maler*innen wie Almut Heise und Simon Modersohn rücken das Übersehene jedoch bewusst in den Mittelpunkt. So zeigt Heise scheinbar vertraute Interieurszenen, die durch ihre intensive Farbigkeit und die Abwesenheit alles Lebendigen den Blick auf kleinste Details lenken und diesen eine irritierende Qualität verleihen. Modersohn erreicht ähnliches, indem er einzelne Gegenstände monumentalisiert und ins Zentrum seiner Kompositionen stellt. Eines seiner Gemälde mit dem Titel Kleines Theater zeigt das Innere eines Backofens – eine verkohlte Pizza – und wird gleichsam zu einem Psychogramm unseres Alltags. Auf diese Weise wird deutlich, wie aussagekräftig die Objekte und Architekturen, mit denen wir uns umgeben, in Bezug auf unser Innenleben, unsere Befindlichkeit und Mentalität wirklich sind.

Innen- und Außenwelt

Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung ist eine seiner wesentlichsten Beziehungen und bestimmt maßgeblich unser Leben. Ebenso wie wir von unserer Umwelt geprägt werden, beeinflussen und gestalten wir wiederum unsere Lebenswelten. Dies wird in gebauten Modellen von Thomas Schütte, Jan Köchermann und Stephen Craig deutlich, die architektonische Formen reflektieren und neu denken. Weitere  Arbeiten thematisieren auf unterschiedliche Weise unser geschaffenes Umfeld und dessen Einfluss. Künstler wie Axel Loytved und Raymond Hains, die sich teils gefundener Alltagsobjekte als Grundlage ihrer Kunst bedienen, beschäftigen sich mit der Schnelllebigkeit des Alltags und den Potenzialen in den „Abfällen“ unserer konsumorientierten Welt.