Daniele da Volterra, eigentlich Daniele Ricciarelli
Die Kreuzesprobe der Hl. Helena, um 1545
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Daniele da Volterra, eigentlich Daniele Ricciarelli

Die Kreuzesprobe der Hl. Helena, um 1545

Daniele da Volterra, eigentlich Daniele Ricciarelli

Die Kreuzesprobe der Hl. Helena, um 1545

Die Zeichnung gelangte als Stiftung Georg Ernst Harzens mit einer Zuschreibung an Jacopo Ligozzi in die Sammlung. Diese Attribution mag angesichts der bisweilen bei Ligozzi zu findenden Kombination von feiner Federzeichnung und kraftvoller Lavierung auf bläulichem Papier erklärbar sein. 1967 wurde das Blatt dann von Bernice Davidson Daniele da Volterra zugeschrieben. Sie stellte erstmals den Bezug zur Orsini-Kapelle in der römischen Kirche SS. Trinità dei Monti her, in der Volterra in der zweiten Hälfte der 1540er Jahre im Auftrag von Elena Orsini tätig gewesen ist.(Anm.1) Die von Vasari in der Vita des Daniele beschriebene (Anm.2), viel bewunderte Kapelle wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts weitgehend zerstört. Einzig erhalten ist das Altarbild, das sich heute in der Bonfili-Kapelle in SS. Trinità dei Monti befindet. Dank der Forschungen von Bernice Davidson, Michael Hirst und Jana Graul (Anm.3) konnte die formale Gestaltung der Kapelle teilweise rekonstruiert werden. In diesem Zusammenhang kommt dem Hamburger Blatt eine Schlüsselrolle zu.
Der Vertrag zwischen Daniele und den Verantwortlichen der Kirche wurde am 1. Dezember 1541 geschlossen, sodass ein terminus post quem für die Studien des Künstlers an dem Auftrag gegeben ist. Da aber das ikonographische Programm aufgrund eines Auftraggeberwechsels offensichtlich nicht vor 1545 festgelegt war, dürften die wichtigsten mit dem Projekt in Verbindung stehenden Entwürfe erst um diese Zeit herum entstanden sein.
Anfänglich sollte die Kapelle dem Hl. Franz von Paola geweiht werden und entsprechend legte der Vertrag von 1541 Szenen aus dem Leben des Heiligen Franz und des Hieronymus als Bildthemen fest. Erst mit Elena Orsinis Übernahme der Auftraggeberschaft wurde das Thema des Heiligen Kreuzes bestimmt, womit Elena Orsini nicht zuletzt ihrer Namenspatronin besondere Verehrung erwies. Zur Ausstattung gehörten ein Hochaltarfresko mit einer Kreuzabnahme sowie Wand- und Deckenfresken. Nach Davidson diente die Hamburger Zeichnung als Gesamtentwurf für das rechte Wandfresko.
Dargestellt ist, wie das Kreuz Christi unter den drei von der Hl. Helena wieder aufgefundenen Kreuzen dadurch erkannt wird, dass ein Toter durch deren Berührung wieder lebendig wird. Die Wiedergabe entspricht weitgehend Vasaris Beschreibung, so sind das Aufspringen des Toten und das Erstaunen der Zuschauer anschaulich dargestellt.
Das Ereignis war in der christlichen Kunst bereits vor Daniele ein häufiges Bildthema. Offensichtlich ist die Szene aber niemals in einer derart vielschichtigen und komplexen Komposition entworfen worden. Bernice Davidson wies darauf hin, dass Michelangelos Mitte der 1540er Jahre entstandenes Wandbild „Kreuzigung Petri“ in der Cappella Paolina im Vatikan für diese Bildlösung einflussreich gewesen sein dürfte. Dies betrifft vor allem die Anlage der Hauptszene in der Diagonale, die Position des Kreuzes und die Haltung des links von Petrus stehenden, von rückwärts gesehenen Kriegers. Es ist bekannt, dass Michelangelo seinem Freund Daniele bereitwillig Kompositionsideen zur Verfügung stellte. So ist denkbar, dass Volterra um 1545, als Michelangelo mit der Ausführung der Kreuzigung begonnen haben dürfte, Einblick in dessen Planungen erhielt. Markante Elemente der Komposition sind das von Vasari hervorgehobene Skelett, das direkt neben dem Sarkophag postiert wurde sowie die Raumtiefe suggerierende Anordnung, wie z. B. der Soldat im Vordergrund, der zwischen die geöffneten Beine des am Boden liegenden Mannes tritt.
Die außergewöhnlich dramatische, geradezu spektakuläre Inszenierung des Wunders geht womöglich auf einen persönlichen Wunsch der Auftraggeberin zurück. Elena Orsini vertrat entschieden die Gedanken der Gegenreformation und wollte dem Publikum offensichtlich die Kraft des rechten Glaubens vor Augen führen.(Anm.5)
Für die Bewertung des Hamburger Blattes ist vor allem eine bislang kaum beachtete Zeichnung in der Lever Art Gallery, Port Sunlight, von Interesse.(Anm.6) Sie zeigt einen Teilentwurf des Kreuzwunders in nahezu identischer Technik. Gut vergleichbar ist auch die Art der Figurenbehandlung, so z. B. die Darstellung der langen, dünnen Finger. Übereinstimmend ist auf den ersten Blick auch die Kompositionsidee: Zu erkennen sind z. B. die andächtige Helena, die herandrängenden aufgeregten Frauen und ein sitzender Mann. Manche Details der seitenverkehrten Szene sind gut vergleichbar, z. B. die Säulen im Hintergrund, andere sind variiert. Als weitgehender Unterschied sei auf den Soldaten mit dem Kreuz verwiesen, dessen Haltung völlig anders ist als die des Soldaten auf dem Blatt der Kunsthalle.
Denkbar ist, dass die Zeichnung von Port Sunlight eine Variante zu Hamburg darstellte, die vom Künstler nicht weiter verfolgt worden ist. Hierfür spricht vor allem, dass sich mehrere sehr detailliert ausgeführte Kreidestudien erhalten haben, die eindeutig mit dem Hamburger Blatt, in keinem Fall aber mit dem in Port Sunlight verbunden werden können.(Anm.7)
Ebenso gut könnte die Zeichnung in Port Sunlight aber auch für ein ganz anderes Projekt entstanden sein. Bernice Davidson wies darauf hin, dass Daniele in den frühen 1550er Jahren in Rom eine zweite Fassung der Kreuzeslegende geschaffen hat.(Anm.8) Diese Ausmalung in S. Agostino ist gänzlich verloren. Bei Vasari und in den Guiden finden sich nur sehr knappe Angaben, die keine genauere Rekonstruktion erlauben. Für die Zuordnung des Blattes von Port Sunlight zu dem Wandbild in S. Agostino spricht, dass sich in München eine weitere Version dieser Szene erhalten hat.(Anm.9) Aufgrund von Detailunterschieden ist auszuschließen, dass es sich um eine Kopie nach der Zeichnung in Port Sunlight handelt. Demnach ist am wahrscheinlichsten, dass die Münchener Zeichnung den als Wandbild ausgeführten Entwurf von Port Sunlight dokumentiert.
Es bleibt die Frage, inwieweit sich die nicht signierten Zeichnungen aus Hamburg und Port Sunlight mit dem übrigen zeichnerischen Œuvre Daniele da Volterras verbinden lassen. Es ist bemerkenswert, dass es nur sehr wenige in Format und technischer Ausführung vergleichbare Zeichnungen gibt.(Anm.10) Von besonderer Bedeutung ist ein großformatiger Entwurf für die Kreuzabnahme in SS. Trinità dei Monti.(Anm.11) Dieses Blatt ist in der bisherigen Forschung keineswegs unumstritten gewesen. Zuletzt wurde es 2003 in Anschluss an Davidson von Vittoria Romani Daniele zugeschrieben. Romani hält es für wahrscheinlich, dass das in Paris bewahrte Blatt eine Art Modello für die Auftraggeberin darstellte. Hierfür spricht nicht zuletzt die große Sorgfalt, mit der der Künstler die Komposition ausführte. Dennoch handelt es sich nicht um den endgültigen Entwurf, da in der ausgeführten Fassung eine Reihe von Änderungen vorgenommen worden sind.(Anm.12)
In der Forschung werden die Blätter in Hamburg und Paris eng zusammen gesehen, u. a. weil sie beide technisch ähnlich ausgeführte Gesamtentwürfe für Teile der Orsini-Kapelle darstellen. Ein genauer Vergleich der Zeichentechnik ergibt aber, dass z. B. die Hände auf dem Hamburger Blatt durchgehend sehr lang und dünn gezeichnet sind, während sie auf der Kreuzabnahme bis auf eine Ausnahme natürlicher proportioniert sind. Hinzu kommt, dass das Hamburger Blatt gegenüber der absolut ausgewogenen und fast abgeklärten Darstellung der Kreuzabnahme wesentlich unruhiger und dynamischer wirkt. Viele Details – z. B. die Figuren im Hintergrund – sind flüchtiger ausgeführt. Die hier beschriebenen Unterschiede könnten damit erklärt werden, dass die Zeichnung der Kreuzabnahme ein fortgeschritteneres Stadium des Entwurfsprozesses dokumentiert und dass sie dadurch ausgereifter wirkt. Denkbar ist daher, dass es noch eine weitere, leicht veränderte und sorgfältiger gezeichnete Fassung des Gesamtentwurfs für die rechte Kapellenwand gegeben hat. Ausgehend von dieser Komposition wurden dann Detailstudien angefertigt, von denen sich mindestens drei in Paris (Anm.13) und Windsor (Anm.14) nachweisen lassen.
Den erwähnten Zeichnungen in Hamburg, Port Sunlight und Paris lassen sich in technischer Hinsicht zwei dem Daniele zugeschriebene Entwürfe in Oxford und in französischem Privatbesitz zuordnen.(Anm.15) Damit ist eine schmale Gruppe von Zeichnungen nachweisbar, die Daniele als Entwerfer komplexer Kompositionen ausweist.

David Klemm

1 Zur Geschichte der Kapellenausstattung vgl. Bernice Davidson: Daniele da Volterra and the Orsini Chapel – II, in: The Burlington Magazine 109, 1967, Nr. 775, S. 552-561; Michael Hirst: Daniele de Volterra and the Orsini Chapel – I. The chronology and the altar-piece, in: The Burlington Magazine 109, 1967, Nr. 774, S. 498-509, Carolyn Valone: Elena Orsini, Daniele da Volterra and the Orsini Chapel, in: Artibus et historiae 12, 1990, Nr. 22, S. 79-87, Jana Graul: Mettendo ogni sforzo e diligenza per fare un ‚opera rara’ sulla decorazione perduta della Cappella Orsini, in: La deposizione di Daniele da Volterra, hrsg. v. Colette Di Matteo (im Druck). Jana Graul, Florenz, sei für die Diskussion der Zeichnung gedankt.
2 Giorgio Vasari: Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, Text hrsg. v. Rosanna Bettarini, Kommentar v. Paola Barocchi, Florenz, 1966–1987, V, S. 540–541.
3 Jana Graul: Mettendo ogni sforzo e diligenza per fare un ‚opera rara’ sulla decorazione perduta della Cappella Orsini, in: La deposizione di Daniele da Volterra, hrsg. v. Colette Di Matteo (im Druck).
4 Zum Beispiel Florenz, S. Croce; Cappella del Crocifisso; Volterra, San Francesco; Arezzo, San Francesco; Rom, S. Croce in Gerusalemme. Vgl. Carolyn Valone: Elena Orsini, Daniele da Volterra and the Orsini Chapel, in: Artibus et historiae 12, 1990, Nr. 22, S. 79-87, S. 83.
5 Carolyn Valone: Elena Orsini, Daniele da Volterra and the Orsini Chapel, in: Artibus et historiae 12, 1990, Nr. 22, S. 79-87, S. 83.
6 Inv.-Nr. LL 3007 WHL 3493; Feder und Lavierung über Kreide, 249 x 191 mm; vgl. Lady Lever Art Gallery, Port Sunlight. Catalogue of foreign paintings, drawings, miniatures, tapestries, post-classical sculpture and prints, bearb. v. Edward Morris, Mark Evans, Liverpool 1983, S. 34.
7 Vgl. z. B. die Zeichnung des „Kreuzträgers“ im Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 1522; diese ist wiederum seitenverkehrt zur Zeichnung in Port Sunlight und damit nicht genau entsprechend.
8 Vgl. Bernice Davidson: Daniele da Volterra and the Orsini Chapel – II, in: The Burlington Magazine 109, 1967, Nr. 775, S. 552-561, S. 561, Anm. 12 u. 13. Frdl. Hinweis von Jana Graul, 5. 5. 2008.
9 München, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 6544.
10 Zur Problematik dieser Zeichnungsgruppe vgl. Michael Hirst: Daniele de Volterra and the Orsini Chapel – I. The chronology and the altar-piece, in: The Burlington Magazine 109, 1967, Nr. 774, S. 498-509, S. 506.
11 Romani in: Daniele da Volterra. Amico di Michelangelo, hrsg. v. Vittoria Romani, Ausst.-Kat. Florenz, Casa Buonarroti, Florenz 2003, S. 70–71.
12 Dies betrifft vor allem zahlreiche veränderte Kopf- und Armhaltungen.
13 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 1526, Inv.-Nr. 1523.
14 Windsor, Royal Library, Inv.-Nr. 1254; vgl. Arthur E. Popham, Johannes Wilde: The Italian Drawings of the XV and XVI Centuries in the Collection of His Majesty the King at Windsor Castle, London 1949, S. 215, Nr. 262.
15 Oxford, Ashmolean Museum, Inv.-Nr. 211 A; vgl. Hugh MacAndrew: Ashmolean Museum Oxford. Catalogue of the Collection of Drawings, Bd. III: Italian Schools: Supplement, Oxford 1980, S. 27– 31, Nr. 211 A; Paris, Privatbesitz; vgl. Hugh MacAndrew: Ashmolean Museum Oxford. Catalogue of the Collection of Drawings, Bd. III: Italian Schools: Supplement, Oxford 1980, S. 28, mit Abb, S. 29

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso rechts von der Mitte nummeriert: "1" (Bleistift); unten links bezeichnet: "13-11" (Bleistift); unterhalb davon nummeriert: "a. 68." (Feder in Dunkelbraun); unterhalb davon bezeichnet: "12.10 11.2" (Bleistift); am unteren Rand bezeichnet: "J. Ligozzi" (Bleistift); unten in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Provenienz

Von Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) 1820 in Rom aus unbekannter Quelle erworben (NH Ad : 02 : 01, S. 215); NH Ad : 02 : 01, S. 215 (als Jacopo Ligozzi); NH Ad : 01 : 03, fol. 99 (als Jacopo Ligozzi): "Die Heilige Helene erprobt die Aechtheit des wahren Kreutzes, indem dessen Auflegung einen Mann von den Todten erwekt. Reiche treffliche Composition, sehr vollendet mit Feder und Bister auf bl. Pap. ausgeführt und gehöht. Hauptblatt 12.10. 11.2"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.159-161, Nr.195, Abb.Farbtafel S. 32

David Klemm: Von Leonardo bis Piranesi. Italienische Zeichnungen von 1450 bis 1800 aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner, David Klemm und Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Bremen 2008, S.76-77, Abb, S. 225, Nr.32

Vittoria Romani: Daniele da Volterra. Amico di Michelangelo, Ausst.-Kat. Florenz, Casa Buonarroti 2003, S.88-90, Nr.16, Abb.

Carolyn Valone: Elena Orsini, Daniele da Volterra and the Orsini Chapel, in: Artibus et historiae 12, 1990, Nr. 22, S. 79-87, S.83-86

Paul Barolsky: Daniele da Volterra. A Catalogue Raisonné, New York, London 1979, S.61

Paul Barolsky: A Sheet Figure Studies at Oberlin and Other Drawings by Daniele da Volterra, in: Allen Memorial Art Museum Bulletin 30, 1972, S. 22-36, S.23-24

Bernice Davidson: Daniele da Volterra and the Orsini Chapel. II, in: The Burlington Magazine 109, 1967, S. 552-561, S.557-558