Lambert Zutman (auch: Suavius) (III)
Die heilige Familie in einer Ruine, 1537
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Lambert Zutman (auch: Suavius) (III)

Die heilige Familie in einer Ruine, 1537

Lambert Zutman (auch: Suavius) (III)

Die heilige Familie in einer Ruine, 1537

Lambert Suavius ist in erster Linie als Stecher bekannt. Zwar werden auch Zeichnungen und Gemälde mit seinem Namen assoziiert, doch dies größtenteils auf Basis stilkritischer Beobachtungen.(Anm.1) Insofern ist unser Blatt eine Ausnahmeerscheinung, weil es höchstwahrscheinlich vom Künstler selbst signiert und datiert wurde, im Farbton übereinstimmend mit der gezeichneten Darstellung. Diese Tatsache wurde bislang nicht gebührend gewürdigt aufgrund der stets „1587“ interpretierten Jahreszahl, die damit eine Entstehung noch zu Lebzeiten des 1574 oder 1575 verstorbenen Künstlers ausschließen würde. Eine erneute Untersuchung korrigierte diese Lesart: Bei der vorletzten Ziffer handelt es sich nicht um eine „8“ – in den Niederlanden gewöhnlich in Form eines schräg gestellten, kurvigen „S“ wiedergegeben –, sondern um eine aus zwei übereinandergestellten Häkchen gebildete „3“.(Anm.2) Demnach entstand die Zeichnung im Jahre 1537 – ein Befund, den das um 1540 gebräuchliche Wasserzeichen grundsätzlich bestätigt – und wäre damit als Frühwerk des Suavius qualifiziert.
Suavius arbeitete zeitweise als Reproduktionsstecher für seinen Schwager Lambert Lombard.(Anm.3) Der kräftige Federstrich und die kontrastreiche Lavierung unserer Zeichnung könnten durchaus auf Anregungen Lombards zurück gehen.(Anm.4) Gleichzeitig greift die Wiedergabe der Stoffe mit den wie gemeißelt wirkenden Faltenwürfen voraus auf Suavius’ Radierungen aus den 1540er Jahren,(Anm.5) und die kontrastreich ausgeleuchtete Hintergrundarchitektur lässt an seine 1560 gestochene Folge von 28 Gebäudephantasien denken (H. 90–117). Grundsätzlich geht die bildbeherrschende Wirkung des antikisierenden Landschaftshintergrundes gut mit Suavius’ späterer Tätigkeit als Architekt konform.(Anm.6)
Mit kompositorisch verwandten Gemälden der Zeit verbindet die elegische Stimmung der Darstellung, ebenso wie die kräftige Modellierung von Haaren und Gewandfalten.(Anm.7) Der Papagei, ein in diesem thematischen Kontext eher ungewöhnliches Motiv, wurde von Dacos als Hinweis auf die unbefleckte Empfängnis interpretiert.(Anm.8)
Das große Format und die großzügige, stellenweise von der Vorzeichnung abweichende9 Handhabung von Feder und Pinsel könnten auf eine Funktion als Gemäldeentwurf hinweisen. Ein entsprechendes Bild ist bislang jedoch nicht bekannt.

Annemarie Stefes

1 Vgl. Zeichnungen wie der ähnlich großformatige Fensterentwurf in Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 14524 (563 x 221 mm), Otto Benesch: Die Zeichnungen der Niederländischen Schulen des XV. und XVI. Jahrhunderts, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. 2, Wien 1928, Nr. 114; vgl. auch die ihm kürzlich zugeschriebene „Kreuzabnahme“, Aukt.-Kat. Amsterdam, Sotheby’s, 14. 11. 2006, Nr. 27. Ein um 1548 angesetzter Stichentwurf in Oxford, Ashmolean Museum, Inv.-Nr. WA 1863.203, Parker 1938, Nr. 74, ist deutlich akkurater gearbeiteten. Zu den Suavius zugeschriebenen Blättern zählen auch die „Sybillen“ in Düsseldorf, museum kunst palast, Sammlung der Kunstakademie (NRW), Inv.-Nr. FP 4750, Eckhard Schaar: Niederländische Handzeichnungen 1500-1800 aus dem Kunstmuseum Düsseldorf, Ausst.-Kat. Düsseldorf, Städtische Kunsthalle, Düsseldorf 1968, Nr. 162. Vgl. Gemälde wie die „Bestrafung Amors“ in Mentana, Sammlung Federico Zeri, Anne-Claire de Liedekerke, Dominique Allart, Hans Devisscher: Fiamminghi a Roma 1508-1608. Artistes de Pays-Bas et de la Principaute de Liege a Rome a la Renaissance, Ausst.-Kat. Brüssel, Palais des Beaux-Arts, Rom, Palazzo delle Esposizioni, Gent 1995, Nr. 207, vergleichbar in der Wiedergabe der Hände mit den auffallend schlanken, an den Spitzen gebogenen Fingern.
2 Ausschlaggebend für die alte Lesart war der etwas zu stark gekrümmte mittlere Strich, doch entspricht der Federduktus dem einer „3“, wie in der Vergrößerung sichtbar wurde.
3 Um 1540 heiratete Lombard die Schwester des Suavius, vgl. Dacos, in: Anne-Claire de Liedekerke, Dominique Allart, Hans Devisscher: Fiamminghi a Roma 1508-1608. Artistes de Pays-Bas et de la Principaute de Liege a Rome a la Renaissance, Ausst.-Kat. Brüssel, Palais des Beaux-Arts, Rom, Palazzo delle Esposizioni, Gent 1995, S. 354. Im Jahre 1539 ist Suavius erstmals in einem Dokument erwähnt anlässlich eines Hauskaufes in Lüttich und einer erworbenen Diamantspitze, die ihm vermutlich als Stecherwerkzeug diente.
4 Vgl. mit einer Zeichnung in Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv.-Nr. VI B 4, Godelieve Denhaene: Lambert Lombard, Antwerpen 1990, Abb. 211.
5 Vgl. H. 2 von 1544; H. 4 von 1548; vgl. auch H. 89. Maria und Kind begegnen ähnlich auf der Suavius zugeschriebenen Radierung H. 124.
6 1561 entwarf er einen Teil des Antwerpener „Stadhuis“, 1562 ein Portal für das Rathaus von Köln.
7 Vgl. eine Lambert Sustris zugeschriebene „Heilige Familie mit Papagei“ in New Yorker Kunsthandel, Nicole Dacos: Roma Quanta Fuit ou l'invention du paysage de ruines, Paris, Brüssel 2004, Abb. 67; auf dieses Gemälde machte mich Edward H. Wouk, Harvard University, aufmerksam (Mitteilung per E-Mail, 17. 6. 2008). Vgl. auch die vor 1550 angesetzte „Beweinung Christi“ des Arrigo Clocher in Ferrara, Pinacoteca Nazionale, Dacos 2004, Abb. 27 und Suavius’ gestochene Darstellung eines römischen Generals, H. 89. Die über dem Knie der Maria auffallend eckig verlaufenden Gewandfalten begegnen ähnlich auf einem traditionell Suavius zugeschriebenen Gemälde in Lüttich, Musée d’Art Religieux et d’Art Mosan, Inv.-Nr. A 36, Godelieve Denhaene (Hrsg.): Lambert Lombard, Peintre de la Renaissance, Liège 1505/06-1566, Essais interdisciplinaires et catalogue de l’Exposition, Brüssel 2006, Nr. 138 (als Lambert Lombard).
8 Nicole Dacos: Roma Quanta Fuit ou l'invention du paysage de ruines, Paris, Brüssel 2004, S. 115 zu dem unter Anm. 5 erwähnten Gemälde in New York.
9 Abweichungen von der Vorzeichnung in Kreide bzw. Kohle sind z. B. im Gesicht der Madonna oder an den Füßen des Papageis zu beobachten.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts signiert und datiert.: "Suavio Fc 1537" (Feder in Schwarzbraun)

Unten Mitte L. 2094; verso unten links aufgeklebt L. 628, durchgestrichen mit Feder in Braun, u. r. L. 1328

Wasserzeichen / Kettenlinien

Hand mit Dreipass, vgl. Piccard 509 (Posten 1540, 1541)
18-20 mm (v)

Provenienz

Peter Lely (1618-1680), London (L. 2094); Richard Cosway (1740-1821), London (L. 628); Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad: 01: 01, fol. 13: "Sirani 1587 qu fol. Heil. Fam. Feder Tusche. Lamb Lombart? Lely Cosway"; NH Ad: 02: 01, S. 220); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.535-536, Nr.1014