Reinier Zeeman, (?) Simon de Vlieger, Umkreis
Abbruch am Nieuwezijds Voorburgwal in Amsterdam, 1643
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Reinier Zeeman, (?) Simon de Vlieger, Umkreis

Abbruch am Nieuwezijds Voorburgwal in Amsterdam, 1643

Reinier Zeeman, (?) Simon de Vlieger, Umkreis

Abbruch am Nieuwezijds Voorburgwal in Amsterdam, 1643

Diese Zeichnung wurde mit unterschiedlichen Künstlern in Verbindung gebracht: Schon Harzen war sich nicht sicher, ob er sie Hermann Saftleven oder Jan van der Heyden zuschreiben sollte, eine nicht aufgeschlüsselte Notiz in der Museumskartei (Anm.1) verweist auf „Beerstraten“, und Stijn Alsteens setzte das Blatt kürzlich in den Umkreis Anthonie Waterloos bzw. Simon de Vliegers.(Anm.2) In der Kunsthalle lag es bis zuletzt unter dem Namen Zeemans und wurde als solches auch von Bakker/Van Berge-Gerbaud/Schmitz 1998 publiziert.
Zeeman radierte mehrere Folgen von Amsterdam-Ansichten (H. 13–20, H. 21–28). Seine erhaltenen topographischen Zeichnungen sind jedoch in der Regel mit Pinsel gearbeitet und besitzen damit keine direkten stilistischen Berührungspunkte zu dem Hamburger Blatt. Wenn diese ausführlichen Darstellungen allerdings auf vor Ort aufgenommenen Kreideskizzen basieren – im Œuvre des Künstlers bislang nicht bekannt – wäre das Hamburger Blatt einer derartigen Werkgruppe zuzuordnen.(Anm.3)
Dargestellt ist der Blick über den „Nieuwezijds Voorburgwal“, aufgenommen vom Standpunkt der heutigen „Paleisstraat“. Links hinter einem großen verschatteten Gebäude erkennt man die „Nieuwe Kerk“, rechts hinter dem St. Elisabeth-Krankenhaus mit seinem charakteristischen spitzen Türmchen den eckigen Turm des alten Rathauses. Dieselbe Ansicht ist auch dargestellt auf einer Zeichnung im Stadtarchiv Amsterdam, bei der es sich wohl um eine anonyme Kopie nach Willem Schellinks handelt.(Anm,4) Bei übereinstimmenden Details wie der Pumpe im linken Vordergrund oder dem Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite präsentieren sich dort die abgerissenen Gebäude noch im intakten Zustand als eine dreigieblige, dem Betrachter zugewandte Häuserfront.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen beiden Zeichnungen ist der auf unserem Blatt ausgeblendete Kanal, der eigentlich, wie auf der Zeichnung in Amsterdam, im unmittelbaren Vordergrund zu sehen sein müsste. Die seinen Platz einnehmende Schattenzone wäre grundsätzlich untypisch für den Marinemaler Zeeman, der auf seinen radierten Amsterdam-Ansichten den Kanälen und Schiffen einen prominenten Platz einräumte, wenn sie nicht als sogenannte „Blindzone“ zu interpretieren wäre, Folge des auf den Mittelgrund fokussierenden Blick des „on the spot“ zeichnenden Künstlers.(Anm.5)
Das Hamburger Blatt entstand vermutlich in den Sommermonaten des Jahres 1643.(Anm.6) Die von alter Hand hinzugefügte Jahreszahl deckt sich mit dem Ablauf der Abbrucharbeiten: Bereits 1639 wurden die Pläne zum Abriss des alten Rathauses verabschiedet. Am 28. Januar 1643 beschlossen die Stadtväter, die privaten Wohngebäude zwischen Gasthuissteeg, Nieuwezijds Voorburgwal und Nieuwe Kerk 1643 zu erwerben, und am 1. Mai desselben Jahres begannen die Abbrucharbeiten, deren erste Ergebnisse auf unserem Blatt zu sehen sind.(Anm.7)
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Absicht des Künstlers: Handelt es sich um eine reportageartige Erinnerungszeichnung, ähnlich der gesto-chenen Darstellung des Rathausbrandes von 1652 (H. 9), oder erklärt sich das Interesse an den abgerissenen Gebäuden aus einem allgemein verbreiteten Interesse an dem Abseitigen, Unspektakulären und Verfallenen?(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 Karteinotiz im Archiv des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle („Am. H.“).
2 Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle. Der Bezug auf Beerstraten basierte wohl auf thematisch verwandten Zeichnungen, z. B. dem „Alten Rathaus nach dem Brand von 1652“, Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. Q 46, Michiel C. Plomp: Jan Pietersz. Zomer's inscriptions on drawings, in: Delineavit et Sculpsit 17, 1997, S. 13-27, Nr. 24; vgl. auch Amsterdam, Koninklijk Oudheidkundoig Genootschap.
3 Vgl. De Scheemaker in Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Bd. 56, S. XX.
4 Atlas Splitgerber, Inv.-Nr. Spl 257-M (Feder in Schwarz und Braun, Pinsel in Schwarz über Vorzeichnung in Graphit oder Bleistift, 262 x 398 mm), Het achtste wereldwonder. De bouw van het stadhuis, nu het Paleis op de Dam, Ausst.-Kat. Amsterdam 1982, Abb. 10. Die Zeichnung trägt auf dem Doublierpapier verso eine auf Berckheyde verweisende Beischrift; 1998 wurde sie als Kopie nach Beerstraten publiziert. Erst kürzlich entdeckte man bei genauerer Untersuchung die originale Beischrift auf der Rückseite des Blattes: „dit is de gasthuijs Sluijs ende oude paerde stal, W.S.“ (freundlicher Hinweis von Erik Schmitz per E-Mail vom 1. 7. 2008).
5 Offensichtlich befand sich der Standpunkt des Künstlers im ersten Stock eines Hauses auf der gegenüberliegenden Kanalseite, vgl. Boudewijn Bakker, Mària van Berge-Gerbaud, Erik Schmitz, Jan Peeters: Landscapes of Rembrandt. His favourite walks, Ausst.-Kat. Amsterdam, Gemeentearchief, Paris, Institut Néerlandais, Bussum 1998, S. 167. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde der Kanal zugeschüttet.
6 Erik Schmitz, Mail vom 1. 7. 2008; vgl. auch Boudewijn Bakker, Mària van Berge-Gerbaud, Erik Schmitz, Jan Peeters: Landscapes of Rembrandt. His favourite walks, Ausst.-Kat. Amsterdam, Gemeentearchief, Paris, Institut Néerlandais, Bussum 1998, S. 167.
7 Het achtste wereldwonder. De bouw van het stadhuis, nu het Paleis op de Dam, Ausst.-Kat. Amsterdam 1982, S. 18, 23 und 32; Boudewijn Bakker, Mària van Berge-Gerbaud, Erik Schmitz, Jan Peeters: Landscapes of Rembrandt. His favourite walks, Ausst.-Kat. Amsterdam, Gemeentearchief, Paris, Institut Néerlandais, Bussum 1998, S. 167.
8 Ähnliche künstlerische Schwerpunkte findet man auf Stadtansichten von Roelant Roghman, Paulus Potter, Herman Saftleven, Anthonie Waterloo und Simon de Vlieger, vgl. Wouter Th. Kloek, J. W. Niemeijer: De kasteeltekeningen van Roelant Roghman., Bd. 2, Alphen aan den Rijn 1990, S. 85 und Stijn Alsteens auf dem Hamburger Symposium, siehe Anm. 2. Vgl. Inv.-Nr. 1963-339, 1914-232, 1963-338 (Saftleven), Inv.-Nr. 22679 (Waterloo) und Inv..-Nr. 22826 (De Vlieger); vgl. auch De Vliegers „Burgruine“ in Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv.-Nr. AE 850, Nr. 43.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts bezeichnet: "het oude statthuis van / achteren 1643" (Feder in Braun, 17. Jh); verso bezeichnet Mitte, parallel zur vertikalen Knickfalte: "No. 17-681." (Feder in Braun, 17./18. Jh.); daneben von anderer Hand: "Couvt. rien" (Feder in Schwarz, 17./18. Jh.); unten rechts L. 1328

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
31-33 mm (h)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:06, fol. 152 als "Herman Saftleven": "Innere Ansicht von Amsterdam mit der Brandstätte des alten Stadthauses. Bez. Het oude stathuis van achteren 1643. 14.8.7.9."; NH Ad: 02: 01, S. 253 als "J.v.d.Heyden"); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Annemarie Stefes, Leonore van Sloten, Leonoor van Oosterzee: Tekenen in Rembrandts tijd. Meesterwerken uit de Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Museum Het Rembrandthuis, Amsterdam 2012, S.123, Nr.70, Abb.S. 103

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.646-647, Nr.1238

Jeroen de Scheemaker: Reinier Zeeman. Part I, hrsg. von D. de Hoop Scheffer, Hollstein's Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, Bd. 56, Rotterdam 2001, S.41, bei Nr. 9

Rembrandt und sein Jahrhundert, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1994, Nr.85, Abb.S. 85

W. Th. Kloek, J. W. Niemeijer: De kasteeltekeningen van Roelant Roghman., Bd. 2, Alphen aan den Rijn 1990, S.85, Abb.137

Rembrandt's Landscapes. Drawings and Prints, Ausst.-Kat. National Gallery of Art, Washington 1990, S.177, Abb.2

Het achtste wereldwonder. De bouw van het stadhuis, nu het Paleis op de Dam, Ausst.-Kat. Amsterdam 1982, Abb.12

Opkomst en bloei van het Noordnederlandse stadsgezicht in de 17de eeuw, Ausst.-Kat. Amsterdams Historisch Museum 1977, S.164-165, Nr.73 mit Abb.

Boudewijn Bakker, Mària van Berge-Gerbaud, Erik Schmitz, Jan Peeters: Landscapes of Rembrandt. His favourite walks, Ausst.-Kat. Amsterdam, Gemeentearchief, Paris, Institut Néerlandais, Bussum 1998, S.167, Abb.S. 169, 8