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Johann Christian Reinhart
Der sÀchsische Prinzenraub in Altenburg, 1785
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Johann Christian Reinhart

Der sÀchsische Prinzenraub in Altenburg, 1785

Johann Christian Reinhart

Der sÀchsische Prinzenraub in Altenburg, 1785

Aus den frĂŒhen Jahren des seit 1789 in Rom wirkenden deutschen Landschaftsmalers des Klassizismus, Johann Christian Reinhart war an GemĂ€lden bislang trotz zahlreicher dokumentarischer Nachweise nur eine einzige, in Böhmen entstandene Ölstudie aus dem Jahr 1785 bekannt. (Anm. 1) Mit dem vorliegenden, auf Papier gemalten und eigenhĂ€ndig „C. Reinhart 1785 (Anm. 2) signierten Ölbild haben wir nun endlich ein weiteres Zeugnis der Malerei Reinharts vor Augen. (Anm. 3) Dargestellt ist das Schloss Nossen bei Dresden in Sachsen bei Mondschein. Die Komposition beruht eindeutig auf einer vor Ort von Reinhart skizzierten Zeichnung aus dem Jahr 1784.
Die vom Mond beschienene Architektur zeigt bei nĂ€herem Hinsehen unterhalb zweier hell erleuchteter Fenster des Schlosses einige kleine Figuren. Es scheint, dass Diebe mit einer langen Holzleiter zum Fenster einsteigen wollen. Diese Deutung der Staffage findet ihre Entsprechung in einer von dem frĂŒhen Biographen Andreas Andresen ĂŒberlieferten Notiz zu einem frĂŒhen GemĂ€lde Reinharts mit dem Titel „Schloss Nossen bei Dresden in Mondschein, Diebe steigen zum Fenster hinein, eine der ersten Arbeiten in Oel“. Als Besitzer wird der „Assessor Keysner in Hildburghausen“ genannt. (Anm. 4)
Im Werkverzeichnis von Inge Feuchtmayr taucht dieses Bild 1975 unter den verschollenen Werken der Dresdner Jahre 1783/84 auf: „Schloß Nossen bei Dresden im Mondenschein / Diebe steigen zum Fenster hinein. Eine der ersten Arbeiten in Öl; ehemals bei Assessor Keysner in Hildburghausen.“ (Anm. 5) Betrachtet man die nĂ€chtliche RĂ€uberszene genauer, so kann man ebenso gut zu der Erkenntnis gelangen, dass keine Diebe hineinsteigen, sondern in dem Sack, den einer der MĂ€nner am Boden auf dem RĂŒcken trĂ€gt jemand aus dem Schloss getragen bzw. entfĂŒhrt wird. Und in der Tat ist bei Inge Feuchtmayr ein zweites, ebenfalls verschollenes GemĂ€lde des KĂŒnstlers erwĂ€hnt, das des RĂ€tsels Lösung herbeifĂŒhrt: „Der Prinzenraub / ÖlgemĂ€lde in Meininger Privatbesitz (
). Das Bild soll sich noch in Meiningen befinden; es ist mir nicht bekannt, ob es signiert oder Reinhart nur zugeschrieben ist; möglicherweise stammt es aus Reinharts Meininger Zeit. (Anm. 6) Feuchtmayr nennt als Quelle fĂŒr den „Prinzenraub“ einen Meininger Ausstellungskatalog von 1904. Dieser bringt endgĂŒltigen Aufschluss. Im Werkverzeichnis von 1975 wurden zwei verschiedene GemĂ€lde angenommen, es handelt sich jedoch nur um eines, nĂ€mlich das hier vorliegende Bild. Im Ausstellungskatalog „Meininger PastellgemĂ€lde“ findet sich unter der Besitzernummer 62 bzw. der Katalognummer 10 der Hinweis auf ein damals prĂ€sentiertes GemĂ€lde Reinharts mit dem Titel „Prinzenraub“ und der Besitzerangabe „Frau Sabine Keyssner, Hofbuchdruckereibesitzers-Witwe, Meiningen“. (Anm. 7)
Dass das vorliegende GemĂ€lde in der Meininger Ausstellung von 1904 zu sehen war, beweist ein rĂŒckseitiger Klebezettel, auf dem der Name Reinhart, der Titel „SĂ€chsischer Prinzenraub“ mit der entsprechenden Katalognummer 10 sowie der Besitzervermerk „S. Keyßner“ zu lesen sind. (Anm. 8)
Um 1904 war das Bild demnach Eigentum der Witwe des Meininger Hofbuchdruckerei-besitzers Keyssner (d. i. Karl Keyssner). Der bei Andresen um 1866 genannte „Assessor Keyssner in Hildburghausen“ war wohl Friedrich Emil Traugott Keyssner – verwandt sicher mit dem Hofbuchdruckereibesitzer Ernst Christoph Keyssner in Hildburghausen, ein Freund Friedrich Sicklers; Ernst Christoph Keyssner wurde am 8. Oktober 1829 zum zweiten Assessor in Hildburghausen ernannt. (Anm. 9) Wie das Bild als Geschenk oder im Erbgang innerhalb der Familie Keyssner ein halbes Jahrhundert spĂ€ter an Sabine Keyssner gelangte, ist ohne genealogische Forschungen in Hildburghausen und Meinigen nicht zu rekonstruieren.
Der sĂ€chsische oder – nach dem eigentlichen Ort des Geschehens – auch Altenburger Prinzenraub ist ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte Sachsens und ThĂŒringens, genauer gesagt des SĂ€chsischen Bruderkriegs, bei dem der Ritter Kunz von Kauffungen in der Nacht vom 7. zum 8. Juli 1455 die erst 14- und 15-jĂ€hrigen Prinzen Ernst und Albrecht, die Söhne des KurfĂŒrsten Friedrichs des SanftmĂŒtigen, aus dem Altenburger Schloss entfĂŒhrte. Kunz von Kauffungen wollte so gegenĂŒber dem KurfĂŒrsten – auf dessen Bitten er in den Krieg gezogen war, gefangengenommen wurde und nur gegen selbst aufgebrachtes Lösegeld wieder in Freiheit gelangte – seinen EntschĂ€digungsforderungen fĂŒr verlorene LĂ€ndereien Ausdruck verleihen. Zuvor hatte ein Gerichtsurteil zugunsten des KurfĂŒrsten entschieden. Kunz von Kauffungen entfĂŒhrte die Prinzen, wurde aber nach einigen turbulenten Verwirrungen gestellt und nur fĂŒnf Tage nach der Tat zum Tode verurteilt. (Anm.10) Im spĂ€ten 18. Jahrhundert wurde der legendĂ€re Prinzenraub etwa 1781 von Bernhard Rode illustriert, was ein gewisses Interesse in der Zeit an diesem Ereignis dokumentiert, das auch Reinhart mit der Wahl seiner Staffage bediente. (Anm.11)
Reinharts Ölmalerei beweist mit diesem FrĂŒhwerk erstaunlich hohe technische Fertigkeiten, wie sie die böhmische Studie aus demselben Jahr bereits erahnen ließ. Die Komposition dieser Mondscheinlandschaft, deren als Staffage beigegebenes historisches Ereignis der KĂŒnstler erstaunlicherweise kurzerhand einfach von Altenburg nach Nossen verlegte, steht noch unter dem Eindruck der Malerei seines Dresdner Lehrers Johann Christian Klengel, dem Reinhart zweifellos in diesen frĂŒhen Lehrjahren viel verdankte. (Anm.12) Doch geht Reinharts Komposition in ihrer Kombination der wunderbar erfassten Mondscheinlandschaft mit der angedeuteten historischen Szene weit ĂŒber Klengels noch spĂ€tbarocke Landschaften hinaus.

Andreas Stolzenburg

1 Johann Christian Reinhart. Ein deutscher Landschaftsmaler in Rom, hrsg. v. Herbert W. Rott, Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, neue Pinakothek MĂŒnchen, hrsg. v. Herbert W. Rott und Andreas Stolzenburg, MĂŒnchen 2012, S. 365, Nr. 1, Abb. Frontispiz.
2 Herbert W. Rott, Das Kloster St. Johann unter dem Felsen in Böhmen, in: Ausst.-Kat. Hamburg/MĂŒnchen 2012, S. 36, Nr. 49, Abb. S. 160.
3 Kunst des 19. Jahrhunderts, Villa Grisebach Auktionen, Berlin, Auktion Nr. 229 v. 26. 11. 2014, Berlin 2014, o. S., Nr. 117, Abb.; auf dieser Auktion von der Hamburger Kunsthalle erworben. Das Bild war vorher fĂ€lschlich als Werk von Friedrich August Reinhardt (1831-1815) in einer Berliner Auktion verkauft worden; Dannenberg Auktionshaus, Berlin, 131. Kunst und AntiquitĂ€tenauktion v. 13./14. 9. 2013, Berlin 2013, Nr. 3126, Abb. (als „Burg im Mondschein (
), rĂŒckseitig auf Etikett zugeschrieben und betitelt `Burg Achenburg` [sic!; es steht auf dem Etikett (vgl. Abb. 5) eigentlich „Altenburg“]“)
4 Andreas Andresen: Die deutschen Maler-Radirer (Peintres-Graveurs) des neunzehnten Jahrhunderts, nach ihren Leben und Werken, Bd. 1, Leipzig 1866, S. 262-263; vgl. eine Zeichnungs Reinharts: Schloss Nossen, 1784, Feder in Schwarz ĂŒber schwarzer Kreide, 32,7 x 47 cm, Verbleib unbekannt, 2008 versteigert bei aus dem Graphiklager des Kunstantiquariats Stefan List, MĂŒnchen, bei Hartung & Hartung in MĂŒnchen.
5 Inge Feuchtmayr: Johann Christian Reinhart 1761-1847. Monographie und Werkverzeichnis, Materialien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Bd. 15, MĂŒnchen 1975, S. 327, G 37.
6 Feuchtmayr 1975, S. 328, G 50.
7 Meininger PastellgemĂ€lde, Neue BeitrĂ€ge zur Geschichte deutschen Altertums, hrsg. v. dem Hennebergischen altertumsforschenden Verein in Meiningen, 19. Lieferung, Meiningen 1904 (= Katalog der Meiniger GemĂ€lde-Ausstellung i. J. 1904 nebst Übersicht ĂŒber Meiningens Maler und plastische KĂŒnstler von E. Doebner und W. Simons), S. 36-37, Nr. 62 (10 Der Prinzenraub. Ölbild. Maler: Reinhardt [sic!]), S. 63 (Reinhardt [sic!], Johann Christian, (
), 10 Der Prinzenraub. Ölbild. (62)). Der Katalog wurde ĂŒbrigens in der Keyssner`schen Hofdruckerei (Karl Keyssner) in Meiningen gedruckt.
8 Ein weiterer Hinweis in Bleistift datiert das Bild falsch auf 1787, eine spÀtere Notiz in Kugelschreiber identifiziert das Schloss, sicher aufgrund der Verbindung zum Prinzenraub, falsch als Altenburg.
9 ErwĂ€hnt in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen-Meiningen, Erster Band, enthĂ€lt die Verordnungen vom 21. Januar 1829 bis 25. MĂ€rz 1831, Meiningen o. J., S. 194, Nr. 16. Bekanntmachung, die Besetzung der Gerichte erster Instanz und der VerwaltungsĂ€mter betr.“, Meiningen, 8. Oktober 1829.
10 Uwe Schirmer: Kunz von Kauffungen und der Prinzenraub zu Altenburg 1455. Strukturen und MentalitĂ€ten eines spĂ€tmittelalterlichen Konflikts, in: Zeitschrift fĂŒr Historische Forschung 23 (2005), Heft 3, S. 369-405.
11 Renate Jacobs: Das graphische Werk Bernhard Rodes (1725-1797), MĂŒnster 1989, S. 304, Nr. 136.
12 Vgl. zu Klengel Anke Fröhlich: „GlĂŒcklich gewĂ€hlte Natur
“. Der Dresdner Landschaftsmaler Johann Christian Klengel (1751-1824). Monographie und Werkverzeichnis der GemĂ€lde, Zeichnungen, Radierungen und Lithographien, Hildesheim, ZĂŒrich, New York 2005

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten links signiert und datiert: "C. Reinhart fec. 1785." (in die feuchte Farbe geritzt)

Provenienz

Sammlung Sabine Keyssner, Witwe des Hofdruckereibesitzers Karl Keyssner, Meiningen (1904); erworben von Grisebach Auktionen, Berlin, 2014 mit Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung

Bibliographie

Manfred Pix: Johann Christian Reinhart (1761-1847) Eine Dokumentation in Bild und Wort. Band I Vom Lehrling und AkademieschĂŒler zum freien Landschaftsmaler in Sachsen und Sachsen-Meinigen (1779-1789), Bd. 1, Neustadt an der Aisch 2018, S.270-271, Abb., Nr.W 220

Kunst und AntiquitÀtenauktion, Berlin, Dannenberg Auktionshaus, Auktion 131 v.13./14.9.2013, Berlin 2013, Nr.3126

Inge Feuchtmayr: Johann Christian Reinhart 1761-1847. Monographie und Werkverzeichnis, Material zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Bd. 15, MĂŒnchen 1975, S.327, 328, Nr.G 37, G 50

Meininger PastellgemĂ€lde, Neue BeitrĂ€ge zur Geschichte deutschen Altertums (= Katalog der Meiniger GemĂ€lde-Ausstellung i. J. 1904 nebst Übersicht ĂŒber Meiningens Maler und plastische KĂŒnstler von E. Doebner und W. Simons), hrsg. von dem Hennebergischen altertumsforschenden Verein in Meiningen, Meiningen 1904, S. 36-37, Nr.62

Kunst des 19. Jahrhunderts, Grisebach, Auktion 229 v. 26. 11. 2014, Berlin, , S.o.S., Nr.117, Abb. (Beitrag Andreas Stolzenburg)