Kapitel der Ausstellung 

 

Gefahrvolles Wasser – Loreley und ihre ‚fatalen‘ Schwestern

In der Epoche der Romantik ist das Element Wasser hĂ€ufig mit der Vorstellung gefĂ€hrlicher Weiblichkeit verknĂŒpft. Insbesondere die Figur der Loreley wird dabei ebenso intensiv wie facettenreich rezipiert. 1801 legt Clemens Brentano mit seiner Ballade Zu Bacharach am Rheine
 den Grundstein zu ihrem Mythos. Erstmals verbindet er darin eine weibliche Gestalt mit dem gleichnamigen, fĂŒr sein Echo berĂŒhmten Schieferfelsen am Rhein. Mit Heinrich Heines 1824 erschienenem Gedicht Die Lore-Ley setzt die enorme Breitenwirkung der Legende ein, die das ganze Jahrhundert ĂŒber anhĂ€lt. WĂ€hrend Brentano und Heine die Loreley noch nicht als Femme fatale stilisieren, wird sie in der bildkĂŒnstlerischen Rezeption des 19. Jahrhunderts auf ihre sirenenhaften und dĂ€monischen Eigenschaften reduziert. Bemerkenswert ist das Echo, welches die Loreley in der zeitgenössischen Kunst findet. Gloria Zein ĂŒbertrĂ€gt in ihrer Videoarbeit das Schöne muss sterben! den Mythos in die stĂ€dtische Gegenwart, ironisiert diesen und reflektiert kritisch ĂŒber die Wirkmacht von Schönheit. Aloys Rump schließlich fĂŒhrt den Mythos um den Rheinfelsen auf seine materielle Grundlage zurĂŒck und entlarvt so die Legende der Loreley als pure Fiktion und Projektion.

Ästhetisierung, DĂ€monisierung, Sexualisierung: Die Femme fatale im Viktorianischen Zeitalter

Im 19. Jahrhundert wird das Bild der Femme fatale maßgeblich von den PrĂ€raffaeliten geprĂ€gt. Die englische KĂŒnstlergruppe um Dante Gabriel Rossetti und Edward Burne-Jones grĂŒndet sich 1848 und etabliert ein spezifisches Schönheitsideal. Unter RĂŒckgriff auf antike Mythologie und englische Literatur setzen sie vor allem Frauenfiguren ins Bild, denen ‚fatale‘ Eigenschaften zugeschrieben werden: Lilith, Medea, Circe oder Helena. Der Kontrast ihrer mythologischen DĂ€monisierung mit der sinnlich-Ă€therischen Inszenierung ist kĂŒnstlerisch bewusst kalkuliert. Gleichermaßen als Ideal- und Angstbild prĂ€sent, werden gerade die Frauendarstellungen der spĂ€teren prĂ€raffaelitisch beeinflussten KĂŒnstler*innen immer stĂ€rker erotisiert. John William Waterhouses GemĂ€lde der Circe verknĂŒpft deren Macht explizit mit VerfĂŒhrungskraft. John Colliers hochgradig sexualisierte Interpretation der Lilith schließlich zeigt diese vor allem als Objekt mĂ€nnlicher Begierden. Dieses viktorianische weiße Ideal von Weiblichkeit und Schönheit sowie seine museale (Re-)PrĂ€sentation reflektiert Sonia Boyce in ihrer Videoinstallation Six Acts, die 2018 aus einer kritischen Intervention in der Manchester Art Gallery entstanden ist.

RĂ€tselbilder – Die Femme fatale im Symbolismus

Fantastische Szenarien, traumhafte Welten sowie seelische AbgrĂŒnde bestimmen die Bildwelten des Symbolismus, der sich ab den 1880er-Jahren europaweit etabliert. Das Bild der Femme fatale ist auch hier allgegenwĂ€rtig, jedoch wirken die entrĂŒckten Frauengestalten nun oftmals verrĂ€tselt und sind in ihrer Bedeutung schwer zu fassen. Die Sphinx als Inbegriff des Klischees ‚weiblicher RĂ€tselhaftigkeit‘ bildet ein prominentes Motiv symbolistischer Kunst. Dabei wird die Vorstellung des bedrohlichen Mischwesens aus Frau und Raubtier maßgeblich durch Gustave Moreaus frĂŒhes Hauptwerk Ödipus und die Sphinx geprĂ€gt. Ebenso ist seine orientalisierte und erotisierte Interpretation der Salome als ornamentale Kunstfigur fĂŒr die weitere Entwicklung dieser Femme fatale-Figur zentral. Die als Vision inszenierte Komposition mit dem schwebenden Haupt Johannes des TĂ€ufers findet sich ganz Ă€hnlich bei den Erscheinungen von Odilon Redon. Dessen Figuren lösen sich jedoch noch stĂ€rker vom GegenstĂ€ndlichen und Konkret-Körperlichen. Auch andere symbolistische Positionen, insbesondere in Belgien und den Niederlanden, eröffnen solch traumartige Szenarien. In Fernand Khnopffs subtilen Zeichnungen taucht die Femme fatale als mysteriöses, mehrdeutiges Projektionsbild auf, das stereotype Weiblichkeit ebenso wie AndrogynitĂ€t auslotet.

Körper im Fokus. MĂŒnchener Interpretationen der Femme fatale

Im Gegensatz zu den verrĂ€tselten Traumwelten des französischen und belgischen Symbolismus werden in den Femme fatale-Darstellungen der MĂŒnchner Schule Frauenkörper expliziter zur Schau gestellt. Carl Strathmanns großformatige Umsetzungen von Gustave Flauberts historisch-fiktivem Roman SalammbĂŽ, der in Frankreich vielfach bearbeitet wurde, zeigen die titelgebende Frauenfigur und versetzen sie in ein zeittypisches ornamentales Jugendstil-Setting. Franz von Stuck und Franz von Lenbach richten ihren Blick auf konkrete Körperlichkeiten. Trotz der mythologischen und biblischen Verortung ihrer Bilder zielen sie in erster Linie auf die Darstellung von Nacktheit ab. So zeigt Stuck die Sphinx in seiner Interpretation nicht mehr als Mischwesen, sondern als rein menschliche, nackte Frauenfigur. Lediglich in der Haltung erinnert der auf seine körperliche Wirkung reduzierte Akt noch an eine Sphinx. Derartige Formen der Sexualisierung im Femme fatale-Bild gehen oft auch mit der Konstruktion einer vermeintlichen ‚Andersartigkeit‘ der Dargestellten einher. Mittels orientalisierender Elemente und antisemitischer Zuschreibungen wie dem Stereotyp der »schönen JĂŒdin« werden die Frauen – insbesondere Judith oder Salome – dabei zugleich als begehrenswert inszeniert und als ‚anders‘ abgewertet.

Kehrbilder – Die Femme fatale ins Groteske gewendet

Als hĂ€tte sich das Bild der verfĂŒhrerischen Femme fatale allmĂ€hlich ĂŒberlebt, finden sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Positionen, in denen durch Überzeichnung und Karikatur dessen groteske, bizarre und absurde Seiten herausgestellt werden. Diese Kehrbilder des Femme fatale-Bilds verdeutlichen zwar seine Konstruiertheit, bedienen aber zugleich ihrerseits Klischees dĂ€monischer Weiblichkeit. Arnold Böcklin ironisiert mit seinen Sirenen ein kĂŒnstlerisch hĂ€ufig bearbeitetes Motiv und verkehrt die oft in den Vordergrund gestellte VerfĂŒhrungskraft dieser Mischwesen in ihr Gegenteil. Gustave-Adolphe Mossas Die gesĂ€ttigte Sirene ist wiederum in erster Linie durch ihre BlutrĂŒnstigkeit charakterisiert. Carl Strathmanns beinahe humoresk ĂŒberzeichnetes Medusenhaupt hingegen soll uns nicht mehr vor der Blickmacht Medusas erschrecken lassen. Die Mythen liefern fĂŒr diese Interpretationen zwar noch den Stoff, verlieren jedoch immer mehr ihre verbindliche Vorbildwirkung und lassen sich mitunter nur noch im grotesken Gewand in die Gegenwart ĂŒbertragen. StilprĂ€gend sind Aubrey Beardsleys Illustrationen nach Oscar Wildes Drama Salome (1893). Auch diese zeigen teils drastisch-makabre Motive, verlieren aber in ihrer linienbetonten, flĂ€chig-ornamentalen Ästhetik etwas von ihrem Schrecken.

Femme fatale, Heilige und Vampirin – Überhöhung und Abwertung der Frau bei Edvard Munch

Unter den Femme fatale-Bildern um 1900 stehen Edvard Munchs mehrdeutige, positiv wie negativ besetzte Frauenfiguren fĂŒr sich. Existenzielle Fragen und Zustandsformen wie Leben und Tod oder die Liebe und ihre Kehrseiten bilden das Zentrum seines Werks. Frauen sind in Munchs Bildwelten in unterschiedlichen Rollen und Stereotypen allgegenwĂ€rtig und zugleich untrennbar mit der Lebens- und LiebesrealitĂ€t des KĂŒnstlers verwoben. Deren VerklĂ€rung schlĂ€gt dabei oftmals in ihr gegenteiliges Extrem um. Das GemĂ€lde Madonna zeigt die ganze WidersprĂŒchlichkeit seines Frauenbildes, indem der KĂŒnstler die Dargestellte als laszive Femme fatale und Heilige gleichermaßen fasst. Ein Leitmotiv Munchs ist auch das VerhĂ€ltnis der Geschlechter zu- und ihr Ringen miteinander. Bezeichnend hierfĂŒr ist sein GemĂ€lde Vampir im Wald, das uns im Unklaren lĂ€sst, ob die Frau als Liebende oder Blutsaugerin auftritt. DĂ€monisierungen von Weiblichkeit und weiblicher SexualitĂ€t, die die mĂ€nnliche Existenz bedrohen, finden sich durchgĂ€ngig in Munchs Werk. Sie sind ebenso Ausdruck seiner Ängste wie seiner Selbststilisierung als Opfer – und entlarven seine Vorstellung der Femme fatale einmal mehr als frauenfeindliches Projektionsbild.

Impressionistische Exkurse – Inszenierungen zwischen BĂŒhne und Akt

Sogar die impressionistische Kunst, die vornehmlich auf die unmittelbare Wiedergabe des Gesehenen abzielt, widmet sich der Vorstellung Femme fatale – jedoch ganz unterschiedlich inszeniert: Lovis Corinths bĂŒhnenhafte Darstellung zeigt eine dramatisch geschminkte Salome mit entblĂ¶ĂŸten BrĂŒsten, die sich ĂŒber das Haupt Johannes des TĂ€ufers beugt. Der abgrĂŒndige Moment ihrer Macht wird hier vor allem ĂŒber die Sexualisierung ihres Körpers ins Bild gesetzt. Max Liebermanns Interpretationen des biblischen Themas Simson und Delila zeigen hingegen weitaus weniger erotisierte Frauengestalten. Die fĂŒr ihn untypische Gegenstandswahl verdeutlicht, dass er sich der Beliebtheit des Femme fatale-Motivs bewusst war. Seine nĂŒchternen Darstellungen ohne historisierendes Beiwerk und die auf ihre StĂ€rke hin verdichteten, herb anmutenden Frauengestalten verorten seine GemĂ€lde jedoch entschiedener in der damaligen Gegenwart als diejenigen Corinths. Auch der französische Bildhauer Auguste Rodin greift auf eine Femme fatale-Figur zurĂŒck – offensichtlich aber als Rechtfertigung fĂŒr einen expliziten Akt. Seine nach Flauberts Roman SalammbĂŽ betitelte Zeichnung reduziert die Frauengestalt ausschließlich auf ihr Geschlecht: Der Bezug auf die fiktive Romanfigur verkommt so zum bloßen Vorwand.

Becoming Femme fatale: Zwischen Projektion und Selbstinszenierung

Um 1900 wird das Bild der Femme fatale zunehmend auch auf reale Personen projiziert. Gerade in StĂ€dten wie Paris, Wien oder Berlin entsteht ein Kult um Schauspieler*innen, TĂ€nzer*innen und KĂŒnstler*innen. Femmes fatales werden nun auch im Theater, Kino oder VarietĂ© verortet. Dabei kommen mĂ€nnliche Projektionen ebenso zum Tragen wie aktive Selbstinszenierungen. Bestimmte Medien begĂŒnstigen die Verbreitung entsprechender Bilder: Alfons Muchas Plakate mit Sarah Bernhardt tragen maßgeblich dazu bei, dass ihre Person in der öffentlichen Wahrnehmung mit ihren Rollen verschmilzt – aber auch die Schauspielerin selbst feilt an ihrem exzentrischen Ruf. Genauso steigert das fotografische Medium die PopularitĂ€t vieler Personen. So illustrieren Madame d‘Oras Fotografien die skandalumwitterte Show TĂ€nze des Lasters, des Grauens und der Ekstase von Anita Berber und Sebastian Droste. Auch die Komponistin Alma Mahler lĂ€sst sich im Atelier d‘Ora portrĂ€tieren. Deren Ruf als Femme fatale wird jedoch besonders durch Oskar Kokoschka geprĂ€gt, der sie in einer AffĂ€re obsessiv begehrt und zugleich als verhĂ€ngnisvoll stilisiert – eine DĂ€monisierung, die in der Zerstörung einer nach Mahler angefertigten Fetischpuppe ihren zweifelhaften Höhepunkt findet.

Die Neue Frau – Gegenbild zur Femme fatale?

GeprĂ€gt von den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs richten die KĂŒnstler*innen der Neuen Sachlichkeit ihren Blick auf das Hier und Jetzt. Ihre Werke spiegeln eine sich wandelnde Gesellschaft und ein neues GeschlechterverhĂ€ltnis wider: Frauen agieren nicht mehr nur in ihren hĂ€uslichen Rollen als Ehefrau und Mutter. Sie nehmen am politischen und sozialen Leben teil, tragen mĂ€nnlich gelesene Kleidung und arbeiten – als KĂŒnstlerinnen und BĂŒroangestellte ebenso wie als RevuetĂ€nzerinnen, Kellnerinnen und Sexarbeiterinnen. Mit Bubikopf, rot geschminkten Lippen, Hosenanzug, Hut und Zigarette reprĂ€sentieren sie ein neues Ideal: die Neue Frau. Ihr Bild ist in den Illustrationen der damaligen Frauen- und Satire-Zeitschriften allgegenwĂ€rtig. Insbesondere Jeanne Mammen, deren FrĂŒhwerk stark vom Symbolismus inspiriert ist, artikuliert in ihren Arbeiten ein neues weibliches Selbstbewusstsein sowie ein verĂ€ndertes VerstĂ€ndnis von SexualitĂ€t und Gender. Dass auch GeschlechtsidentitĂ€ten jenseits der BinaritĂ€t mĂ€nnlich / weiblich existieren, thematisiert Gerda Wegener in ihren PortrĂ€ts von Lili Elbe. Dem Motiv der Femme fatale wird nun ein zeitgemĂ€ĂŸes, emanzipatorisches Frauenideal entgegengesetzt, das ĂŒberkommene Genderrollen und Stereotype ablöst.

Dekonstruktion, Aneignung, NeuerzÀhlung: Die Femme fatale wird abgeschafft

SpĂ€testens mit der feministischen Kunst ab den 1960er-Jahren wird dem Femme fatale-Bild der Kampf angesagt. Die KĂŒnstlerinnen der feministischen Avantgarde arbeiten sich an ĂŒberkommenen Frauenbildern wie diesem ab – und schaffen vor allem eigene, neue ErzĂ€hlungen von Weiblichkeit, SexualitĂ€t und Körperlichkeit. Gerade SelbstportrĂ€ts oder -inszenierungen, insbesondere im Medium der Fotografie, gewinnen eine besondere Bedeutung fĂŒr selbstermĂ€chtigende Darstellungen des eigenen Körpers. Dabei nĂ€hern sich KĂŒnstlerinnen dem Femme fatale-Klischee auf verschiedene Weisen. Dekonstruktionen wie die von Ketty La Rocca tragen ebenso zur Auflösung des Bildes bei wie die ironisch-subversiven Aneignungen von Birgit JĂŒrgenssen. Zugleich setzen KĂŒnstlerinnen die mythologischen Figuren, die lange als Femmes fatales rezipiert wurden, neu ins Bild: subtil reinszeniert wie von Francesca Woodman, als machtvolle Göttinnen wie bei Mary Beth Edelson oder als Figuren jenseits binĂ€rer Geschlechtergrenzen wie bei Sylvia Sleigh. Machtvolle Darstellungen weiblicher Körperlichkeit wie die von Maria Lassnig oder Dorothy Iannone liefern schließlich positive Bilder, die die ErzĂ€hlung einer dĂ€monisch-fatalen weiblichen SexualitĂ€t weit hinter sich lassen.

Das vielfĂ€ltige Nachleben der Femme fatale: Aktuelle (Gegen-)EntwĂŒrfe

Heute gibt es kein eindeutiges Femme fatale-Bild mehr – und auch die Gegenbilder sind facettenreich. KĂŒnstler*innen verhandeln Spuren und Adaptionen des Bildes, reflektieren den male gaze in der Kunstgeschichte und widmen sich GenderidentitĂ€ten, weiblicher Körperlichkeit und SexualitĂ€t aus intersektionalen und queerfeministischen Perspektiven. Bei Jenevieve Aken ist die »Super femme fatale« eine positiv besetzte, freiheitliche (Identifikations-)Figur, die mit den ZwĂ€ngen einer patriarchalen Gesellschaft konfrontiert ist. Nan Goldins Fotografien zeigen, wie sich Vertreter*innen der Drag-Kultur Ikonen wie Marilyn Monroe oder Madonna aneignen, die lange als Femme fatale stilisiert wurden. Ebenso ĂŒberfĂŒhren ihre Videoarbeiten Salome und die Sirenen in neue Kontexte. Betty Tompkins‘ Serien schließlich betonen, dass weibliche SexualitĂ€t bis heute dĂ€monisiert wird. Ihre vielschichtigen Kombinationen von Sprache und Bild zeigen die KontinuitĂ€ten eines gewaltvoll-patriarchalen Kunstfelds bis hin zur #MeToo-Bewegung. Wichtige Kontrapunkte setzen KĂŒnstlerinnen wie Mickalene Thomas und Zandile Tshabalala, die weibliche Schönheit, Körperlichkeit und SexualitĂ€t in kritischer Auseinandersetzung mit einem weißen Kunst-Kanon thematisieren.