Jacob Matham
Minerva und die Musen, um 1607-1610
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Jacob Matham

Minerva und die Musen, um 1607-1610

Jacob Matham

Minerva und die Musen, um 1607-1610

Das Motiv entstammt der klassischen Mythologie: Auf dem Parnass musizieren die neun Musen; im Hintergrund nähert sich Minerva der Quelle, die der davonfliegende Pegasus mit den Hufen in den Fels geschlagen hatte.(Anm.1)
Das für Matham zunächst ungewöhnliche Erscheinungsbild ist in erster Linie auf die spätere Aufarbeitung des Blattes zurückzuführen: Die durch die Griffelung etwas abgeriebenen Konturen wurden mit Rötel bzw. brauner Feder nachgezogen, die Plastizität der Körper mit grauer Tusche und Deckweiß herausgearbeitet. Um der Darstellung mehr Tiefe zu verleihen, wurden die Figuren im Vordergrund mit einem gelblichen Farbton laviert. Bei genauer Betrachtung des ursprünglichen Entwurfes in Kreide und Feder finden sich jedoch zahlreiche Eigenheiten der zeichnerischen Handschrift Mathams. Dies betrifft Figurentypen wie den Putto mit den kräftigen Gesichtszügen oder anatomische Merkmale wie die langen, drahtig schlanken Finger und die Füße mit dem auffällig langen Mittelzeh. Ebenfalls charakteristisch für Matham ist das durch zart vibrierende Linien strukturierte Gelände mit dem buschig zusammengefassten Baumschlag.(Anm.2) Darüber hinaus lässt sich auch hier Mathams Vorliebe für Pentimenti beobachten, etwa am Beispiel der sitzenden Muse ganz links, deren ursprüngliches Instrument – eine Laute, deren Hals und Resonanzkörper noch als dünne Linien zu erkennen sind – durch eine Harfe ersetzt wurde:(Anm.3) Offensichtlich erschien dem Künstler die Darstellung zweier Lautenspielerinnen nicht variantenreich genug. Dabei nahm er Verlegenheitslösungen in Kauf wie die nun graziös, aber unmotiviert erhobene und einen scherenartigen Gegenstand haltende rechte Hand der Harfenspielerin.
Nicht unbedingt typisch für Matham sind die Köpfe der Frauen mit den besonders in Frontalansicht auffallend spitzen und schmalen Nasen. Dies gilt auch für die sorgfältig hochgesteckten Haare und die etwas teigig wirkenden Stoffe.(Anm.4) In diesen Eigenschaften erinnert die Zeichnung an einen um 1607 datierten Stich des Künstlers nach Paulus Moreelse (1571–1638), der sich auch in Format und Komposition mit der Hamburger Zeichnung vergleichen lässt.(Anm.5) Dieser Bezug lässt sich nach Vorschlag Léna Widerkehrs vielleicht dadurch erklären, dass sich der wandlungsfähige Matham hier bewusst in den Stil Moreelses einzufühlen versuchte.(Anm.6) Auch für das mit dem Griffel überarbeitete und rückseitig mit Rötel präparierte Hamburger Blatt ist eine Funktion als Stichentwurf denkbar, ohne dass ihm ein entsprechender Druck bislang zugeordnet werden konnte.

1 Hesiod, Theogonie, 1–13 und 60–80; Ovid, Metamorphosen V, 250–268.
2 Für das anregende Gespräch vor dem Original am 3. 12. 2008 danke ich Léna Widerkehr. Für den Putto vgl. H. 192; für Finger und Zehen vgl. die Entwürfe zu H. 309 und H. 307, New York, The Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. 1974.64 bzw. Privatbesitz, Léna Widerkehr: Jacob Matham, hrsg. von Huigen Leeflang, The new Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, 3 Bde., Ouderkerk aan den Ijssel 2007-08, Bd. 1, Nr. D4 und D3; auf dem letztgenannten Blatt finden sich im linken Hintergrund ähnlich wellig bewegte Strukturlinien wie zu Füßen der Geigespielerin. Für die weiche Kreidezeichnung im Hintergrund vgl. die „Studie von zwei Kandelabern“, London, Sir John Soane’s Museum, Conway Library, Cinnery Album, fol. 31, Nr. 38, ebd. Nr. D15 a. Auch die Finger der alten Kupplerin auf dem um 1623 entstandenen „Verliebten Paar“, Privatbesitz, Léna Widerkehr: Jacob Matham, hrsg. von Huigen Leeflang, The new Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, 3 Bde., Ouderkerk aan den Ijssel 2007-08, Bd. 1, Nr. D12 sind ähnlich überlängt wie bei der Muse mit dem Tambourin.
3 Hinweis von Léna Widerkehr, 3. 12. 2008.
4 Dies wird deutlich im Vergleich mit Matham-Zeichnungen wie der 1602 datierten Darstellung von „Venus und Mars“, ehemals Dresden, Kunsthandel F. Meyer, Léna Widerkehr: Jacob Matham, hrsg. von Huigen Leeflang, The new Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, 3 Bde., Ouderkerk aan den Ijssel 2007-08, Bd. 1, Nr. D6, der „Beweinung Christi“, 1607, Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 3266, ebd. Nr. D2; oder der „Amphitrite“, 1608, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv.-Nr. AE 727, ebd. Nr. D8.
5 „Diana und Actäon“, H. 185, um 1607 (379 x 541 mm).
6 Siehe Anm. 3. Dabei wurde Moreelses Manier ganz eigenständig umgesetzt: Beispielsweise verzichtete Matham auf Eigenheiten wie die für Moreelse typischen strahlenartig geschweiften Haare.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts wohl Spuren einer (ausgelöschten?) Signatur: "Matham Fec" (Graphit)

Auf dem Verso in der Mitte: Neuer Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. deest); unten links: Stempel der Sammlung Rhodin (L. 2179); rechts davon aufgeklebt: "C. H. [?] Schuchhardt's ... [Rest verdeckt]"; unten in der Mitte aufgeklebter Ausschnitt aus einem alten Auktionskatalog: "J. Matham. Landschaft mit den musicirenden Musen und Minerva ... [Rest verdeckt]"

Wasserzeichen / Kettenlinien

nicht feststellbar
kaum erkennbar (v)

Provenienz

Laut Verso-Notiz Johann Christian Schuchhardt (1799–1870), Weimar; Carl Fredrik Christian Rhodin (1821–1886), Altona bei Hamburg (L. 2179); Washington von der Hellen (1834–1900), Hamburg, Nr. 126; Gustav von der Hellen (1879–1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle

Bibliographie

Annemarie Stefes, Leonore van Sloten, Leonoor van Oosterzee: Tekenen in Rembrandts tijd. Meesterwerken uit de Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Museum Het Rembrandthuis, Amsterdam 2012, S.123, Nr.63, Abb.S. 23

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog I Van Aken-Murant, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.363-364, Nr.627