
Kapitel der Ausstellung
ErzÀhlungen
Von jeher wurde das Relief fĂŒr die Darstellung historischer Ereignisse oder fĂŒr politische und religiöse Botschaften genutzt. WĂ€hrend das Auge die RĂ€umlichkeit des Reliefs abtastet und sich dessen verschiedene Ebenen erschlieĂt, ergeben sich auch immer neue Sichtweisen auf das Dargestellte. Wie die dreiteilige Gedenktafel von Bertel Thorvaldsen zeigt, konnten gleichmĂ€Ăig flache Reliefs eine Geschichte in epischer Breite erzĂ€hlen. Reliefs mit unterschiedlichen Höhen, die einen Vorder-, Mittel- und Hintergrund bildeten, verwiesen oft auf verschiedene Zeit- oder RealitĂ€tsebenen: Vergangenheit und Gegenwart, Wirklichkeit und Erinnerung. KĂŒnstler wie Jules Dalou verliehen ihren Motiven Dynamik, indem sie sie aus der Tiefe der FlĂ€che hervortreten lieĂen. Ernst Barlach und Hermann Blumenthal hingegen nutzten fĂŒr ihre ruhigen, kontemplativen Inhalte die Form des »versenkten Reliefs« und arbeiteten ihre Linien oder Figuren tief in die GrundflĂ€che ein. Ganz spielerisch wiederum erzĂ€hlt Hans Arp in seinem gemalten und geklebten Reliefbild: Vier SchnĂŒre bilden darin zwei Köpfe, vereint im GesprĂ€ch.
Malerisch / Plastisch
In der Renaissance und im Barock gab es einen Wettstreit zwischen Malerei und Bildhauerei darĂŒber, welche der beiden KĂŒnste bedeutsamer und nĂ€her an der Wirklichkeit sei. Zunehmend wuchs aber das Interesse, solche Gattungsgrenzen zu ĂŒberwinden, und so arbeiteten im 19. Jahrhundert Maler*innen oft auch plastisch und Bildhauer*innen malten. Als Medium von jeher zwischen Malerei und Skulptur angesiedelt, wurde das Relief nun zu einem beliebten Spielfeld fĂŒr Experimente. Es entstanden Werke, in denen die Figuren oder GegenstĂ€nde kaum noch von ihrer GrundflĂ€che zu trennen waren. Die Ebenen verschmolzen optisch miteinander, und das Motiv schien sich zu bewegen, zu verwandeln. Man orientierte sich nun vor allem am Impressionismus und dessen Interesse am Moment, an den Erscheinungen im Wechsel von Licht und Schatten. Die rasche, lockere PinselfĂŒhrung impressionistischer Maler*innen ĂŒbertrug sich in das plastische Modellieren. Und wie auf der Leinwand verstand man auch im Relief und in der Vollplastik das Unfertige, UnvollstĂ€ndige als geeigneten Ausdruck fĂŒr eine dynamische, moderne Zeit.
Relief in Farbe
Schon in der Antike wurden Skulpturen und Reliefs bemalt, damit sie natĂŒrlicher oder plastischer wirkten. Als solche Objekte im 19. Jahrhundert von ArchĂ€ologen wiederentdeckt wurden, begannen auch die KĂŒnstler*innen der Zeit, ihre Reliefs polychrom, also mehrfarbig, zu gestalten: Manche fĂ€rbten den Werkstoff vor der Arbeit ein, manche bemalten das fertige Objekt. Wieder andere wĂ€hlten Materialien mit besonderer Farbigkeit, um sie einzeln oder in Kombination zu nutzen. Bildhauer wie Adolf von Hildebrand, Albert Marque oder Alexander Archipenko orientierten sich hĂ€ufig an der Eigenfarbe des Materials â Maler wie Paul Gauguin und Ernst Ludwig Kirchner versahen ihre Reliefs eher mit krĂ€ftigen, kontrastreichen Farben. Eine Sonderrolle nahm der französische KĂŒnstler Henri Cros ein: Inspiriert von alten Techniken vereinte er in seinen Werken farbiges Glas und Wachs mit der Ălmalerei. WĂ€hrend Crosâ Ornamente meist noch weibliche Figuren schmĂŒckten, feierte Auguste Herbin Jahrzehnte spĂ€ter die Vielfalt von Form und Farbe in gĂ€nzlich abstrakten Holzreliefs.
Blick und Bewegung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verĂ€nderten wissenschaftliche und technische Entwicklungen die Gesellschaft und das Leben in Europa grundlegend. Industrialisierung, Massenmedien und neue Verkehrsmittel prĂ€gten vor allem die StĂ€dte. Die Kunst reagierte auf den Wandel, insbesondere auf Albert Einsteins spezielle RelativitĂ€tstheorie von 1905: Sie erklĂ€rte, dass der Raum immer abhĂ€ngig von der Zeit sei, einer »vierten Dimension« neben Höhe, Breite und Tiefe. Fasziniert von diesem Konzept entwickelten KĂŒnstler*innen Werke, die unterschiedliche Ansichten von GegenstĂ€nden in sich vereinten und damit einen Eindruck von Bewegung im Raum erzeugten. Kubistische KĂŒnstler wie Pablo Picasso wollten verschiedene Blickwinkel gleichzeitig darstellen: in der FlĂ€che der Leinwand, in der Skulptur sowie in der Zwischenform des Reliefs. Wie Picasso nutzten etwa Alexander Archipenko und Otto Gutfreund die besonderen Möglichkeiten des Reliefs, die FlĂ€che mit dem Raum zu verbinden, um die moderne »SimultaneitĂ€t« (Gleichzeitigkeit) abzubilden. Inspiriert wurden sie dabei auch von anderen KĂŒnsten, vor allem von der Musik: Vergleichbar dem Ton und Klang sollten sich Formen und Farben im Raum ausdehnen und in der Wahrnehmung wieder zusammenfinden.
EntwĂŒrfe von Welt
Um 1900 war Europa im Umbruch. Wissenschaft und Technik hatten einerseits Fortschritt, andererseits viel Elend gebracht. AufstĂ€nde, Massenproteste und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 erschĂŒtterten die Gesellschaft ĂŒber LĂ€ndergrenzen hinweg. Auch die Kunst erlebte eine Revolution: Man löste sich von der Tradition, folgte eigenen Visionen und wollte die Zukunft gestalten. Um der Welt eine neue Ordnung zu verleihen, orientierten sich KĂŒnstler*innen in ihren Werken hĂ€ufig an Geometrie und FunktionalitĂ€t. In Russland entstand der Konstruktivismus, in ZĂŒrich die Dada-Bewegung, in den Niederlanden grĂŒndete sich die Gruppe De Stijl, in Deutschland das Staatliche Bauhaus. Die KĂŒnstler*innen strebten nun eine Gestaltung an, die sich auf alle Bereiche des modernen Lebens anwenden lieĂ. Als eine Gattung zwischen Malerei, Bildhauerei und Architektur spielte das Relief eine zentrale Rolle. Ob es aus kĂŒnstlerischem Material geformt oder eine Collage aus alltĂ€glichen GegenstĂ€nden war: Noch im kleinsten Format schien es ein Entwurf fĂŒr das groĂe Ganze.
Der öffentliche Raum
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag Europa in TrĂŒmmern, StĂ€dte und GebĂ€ude mussten wiederaufgebaut, öffentliche PlĂ€tze neu gestaltet werden. Zahlreiche KĂŒnstler*innen wurden mit architekturbezogenen Projekten beauftragt. In Deutschland mit seinen unterschiedlichen Besatzungszonen sollte die Kunst im öffentlichen Raum neue Ideen und Werte an eine Bevölkerung vermitteln, die noch von der Ideologie des Nationalsozialismus geprĂ€gt war. WĂ€hrend dies in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR vor allem im Stil des »Sozialistischen Realismus« geschah, orientierte man sich im restlichen Deutschland an der abstrakten Kunst der Vorkriegszeit, die als international verstĂ€ndliche »Weltsprache« galt. Dies wurde nicht zuletzt vom in London ansĂ€ssigen British Council aktiv gefördert. Zentraler Inhalt der neuen Werke sollte immer der Mensch und seine Rolle innerhalb der Gesellschaft sein. Britische KĂŒnstler*innen wie Henry Moore, Barbara Hepworth, Ben Nicholson und William Turnbull hatten sich schon in den 1920er-Jahren der Abstraktion angenĂ€hert und gestalteten nun Reliefs fĂŒr Fassaden, die erzieherisch und inspirierend wirken sollten. Durch die »documenta« in Kassel und weitere Ausstellungen zeitgenössischer Kunst wurden ihre Werke auch hierzulande bekannt und von zahlreichen deutschen Kunstschaffenden wahrgenommen.
Raum und Umraum
Klassische Reliefs sind in sich geschlossene Kunstwerke, auch wenn sie fĂŒr bestimmte Orte geschaffen sind und den sie umgebenden Raum mitgestalten. In den hier gezeigten Werken aus den 1930er- bis 1960er-Jahren wird der Raum selbst zum Teil des Kunstwerkes â als Volumen, Masse oder Leere. Durch Schnitte oder Stiche in die FlĂ€che der bemalten Leinwand erzeugte Lucio Fontana reliefartige Raumkonzepte, wĂ€hrend Lee Bontecou die Leinwand mit Stahl und Draht zu weit ausgreifenden Objekten formte. Mit ĂŒbereinandergelegten Schichten, mit FreiflĂ€chen und DurchbrĂŒchen erkundeten Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp das Relief als Wand- und Raumobjekt. Die BrĂŒder Antoine Pevsner und Naum Gabo umfingen den Raum mit Schlaufen aus Metall oder durchsichtigen NylonfĂ€den, derweil Otto Herbert Hajek freistehende Raumknoten aus organischen Formen bildete. Es schien keinen Unterschied zu machen, ob der Ausgangspunkt der Arbeit das flache GemĂ€lde oder die dreidimensionale Skulptur war: Das neu entstandene Objekt war eine reliefartige Mischform, eine Schnittmenge aus Raum und FlĂ€che mit ungeahnten neuen Dimensionen.