Thematische Einblicke in die Ausstellung

SERIEN. Von Warhol bis Wool

Was fasziniert Künstler*innen an Serien und vielmehr noch an der seriellen Wiederholung im Druck? Mit seiner berühmten Serie »Campbell’s Soup« (1968) hat Andy Warhol (1928–1987) die serielle Wiederholung von Bildern im Siebdruckverfahren zu seinem Markenzeichen gemacht. Mitte der 1960er-Jahre war die Druckgraphik durch Pop Art und Fluxus zu einer der wichtigsten künstlerischen Medien geworden. Neue graphische Techniken wie Siebdruck und Offset erlaubten mit aggressiven Farben und schlagkräftigen Motiven nicht nur hohe Auflagen, sondern auch einen bis dahin unbekannten Zugriff auf die Bildmotive populärer Print- und Werbemedien. Bereits 1968 erwarb die Hamburger Kunsthalle Warhols berühmte Serie »Marilyn« (1967), die mit ihrer grellen Farbvariation zu den bedeutendsten der amerikanischen Pop Art zählt. Im gleichen Jahr kam Josef Albers (1888-1976) »Hommage au Carré« (1965) hinzu, ebenfalls ein Meilenstein serieller Kunst. Mit diesen Werken wurde ein Fundament für den herausragenden Sammlungsbereich zeitgenössischer druckgraphischer Serien im Kupferstichkabinett gelegt. Seitdem wurde die Sammlung systematisch erweitert, von Schlüsselwerken der Minimal und Conceptual Art von Donald Judd (1928-1994) oder John Cage (1912-1992) über experimentelle Serien von Dieter Roth (1930-1998) und Sigmar Polke (1941-2010) bis zu neuesten Erwerbungen von Nina Canell (*1979), Helen Cammock (*1970), Thomas Schütte (*1954) oder Christopher Wool (*1955).

Die Ausstellung zeigt erstmals einen Überblick dieser umfassenden Sammlung druckgraphischer Serien. Die Auswahl präsentiert jedoch nicht nur Hauptwerke von der Pop Art bis heute, sondern wirft auch einen Blick auf die Geschichte ihrer Entstehung und die Kooperationen mit Drucker*innen und Verleger*innen, die zu immer neuen und überraschenden, oft revolutionären Entwicklungen in der Graphik führen. Im Fokus steht der serielle Prozess, der vom stufenweisen Produktionsvorgang des Druckens bis zur Struktur der Serie als einer Abfolge von Motiven und Formen reicht. Dabei umfasst der Titel »Serien« alle Formen graphischer Folgen, seien es streng konzeptuelle serielle Verfahren, chronologische Reihen, offene Werkgruppen oder geschlossene Zyklen in Erzählform. Sie alle spiegeln die gemeinsame Inspiration, Experimentierfreude und Lust am Druck in Serie.

ANDY WARHOL: SIEBDRUCK IN SERIEN

Ab 1962 nutzte Andy Warhol (1928 – 1987) für seine seriellen Arbeiten vor allem den vorwiegend in der kommerziellen Werbung verwendeten Siebdruck. Mit den Prinzipien der Reihung, Wiederholung und Variation zitierte er nicht nur die Methoden der seriellen Produktion von Konsumgütern, sondern wies auch auf ihre ständige Verfügbarkeit und Vermarktung in der Werbung und den Massenmedien hin.

Die Technik des Siebdrucks ist nicht nur ein höchst effizientes photomechanisches Verfahren, das eine intensive Farbigkeit mit starker Leuchtkraft selbst bei großen Formaten und in nahezu unbegrenzten Auflagen erzeugt, sondern sie sorgt auch – wie bei den »Marilyn«-Drucken – für einen fast plastischen, satten Farbauftrag, der die Grenzen zwischen Malerei und Druckgraphik verwischt. Die nur scheinbare Unvollkommenheit des Druckprozesses durch Verwischungen in Verbindung mit unterschiedlichen Farbaufträgen wird vielfach zum bestimmenden Moment des Bildes. Dabei spielte die »Handschrift« des Künstlers keine Rolle mehr. So wurden die Werke teilweise von Warhols Assistenten wie Gerard Malanga (*1943) ausgeführt und dann auf der Rückseite mit einem Stempel signiert. Indem er seine Drucke unter dem eigenen Label Factory Additions produzierte und verlegte, brachte Warhol seine Vorstellung von Kunst als kommerzieller Massenware auf den Punkt. Der Name des Labels bezieht sich auf sein legendäres Studio The Factory, womit bereits auf den industriellen Produktionsprozess angespielt wurde, und ist zugleich eine Wortschöpfung aus »Additions« (Ergänzungen) und »Editions« (Editionen).

SERIENSTRATEGIEN IN IHRER VIELFALT

Wodurch genau wird eine Serie charakterisiert? Grundsätzlich ist die Serie ein Ordnungsmuster ohne vorgegebene Hierarchie und besteht aus Wiederholungen und Variationen. Im druckgraphischen Medium kommt dem seriellen Prinzip zusätzlich eine besondere Rolle durch den Vervielfältigungsprozess im Druck zu.

Neben der Pop Art waren es vor allem die Minimal und Conceptual Art, die serielle Wiederholungen als Strategie nutzten. 1967 erklärte der US-amerikanische Künstler Mel Bochner (*1940): »Serielle Ordnung ist eine Methode, kein Stil«. Das wesentliche Merkmal serieller Arbeiten war für ihn eine systematische Arbeitsmethode ohne subjektiven Eingriff der Künstler*innen. Beispiele hierfür sind die Progressionen (stufenweise Steigerung) von Dan Flavins (1933 – 1996) Leuchtstoffröhren oder Sol LeWitts (1928 – 2007) Permutationen (Durchspielen aller vorgegebenen Kombinationsmöglichkeiten). Daneben zeigen wir in den anliegenden Räumen jedoch eine ganze Bandbreite weiterer Serienstrategien: Andy Warhols (1928 – 1987) additive (hinzufügende) Reihungen, Donald Judds (1928 – 1994) und Brice Mardens (*1938) Spiel aus Umkehrung und Teilung oder Josef Albers (1888 – 1976) und Roy Lichtensteins (1923 – 1997) Farbvariationen. Ebenso relevant sind die Variationen von Themen wie bei Jim Dine (*1935) und Richard Lindner (1901 –1978), Ronald Kitajs (1932 – 2007) collageartige Serie oder die erzählerische Variante von David Hockney (*1937).

Mit den technischen Mitteln der Druckgraphik können vielfältige Ansätze zur Seriengestaltung und prozessualen Entfaltung einer Idee umgesetzt werden. Gerade das macht die Faszination von Künstler*innen für den Seriendruck aus.

IM DIALOG: DRUCKER*INNEN UND KÜNSTLER*INNEN

Voraussetzung für den Aufschwung und Erfolg der Graphik und damit auch der druckgraphischen Serien in den 1960er Jahren war die Gründung vieler Editionen und Druckwerkstätten, die in enger Kooperation mit Künstler*innen innovative Konzepte entwickelten. Print-Workshops und Verlage, die ihre eigenen Editionen publizierten – wie die Crown Point Press oder Gemini G.E.L. in den USA, die Petersburg Press in London oder BORCH Editions in Kopenhagen –, wurden zu den Wegbereitern neuartiger graphischer Projekte. In Deutschland waren es die Editionen Heiner Friedrich und René Block und seit 1990 Helga Maria Klosterfelde in Hamburg, die konzeptuelle Druckwerke herausgaben.

Vor allem die Wahl der Drucker*innen und deren Spezialisierung spielt eine wesentliche Rolle, um mit Techniken und Materialien zu experimentieren und Grenzen auszuloten. So wäre die Pop Art in England ohne das bereits 1957 von Rose und Chris Prater gegründete Kelpra Studio in London, wo Künstler*innen wie Eduardo Paolozzi (1924 – 2005) den Siebdruck für sich entdeckten und Ronald B. Kitaj (1932 – 2007) mit Materialen experimentierte, nicht vorstellbar. Während John Cage (1912 – 1992) eigens gesammelte Steine mit zur Crown Point Press brachte und diese in seine komplexe »Ryoanji«-Serie integrierte, arbeitete Sol LeWitt (1928 – 2007) oft mit demselben Drucker zusammen, um die Präzision seiner Linien und Farben immer weiter zu optimieren.

NEUE TENDENZEN

Neben den etablierten Editionen hat sich in den letzten Jahren eine Printszene mit experimentierfreudigen Werkstätten entwickelt. So haben Sarah Dudley (*1971) und Ulrich Kühle (*1975), beide am renommierten Tamarind Institute (New Mexiko) ausgebildet, 2010 in Berlin mit Keystone Editions eine Plattform für Lithoeditionen gegründet. Mit den Printmakern (Drucker*in von Kunstgraphik) Björn Wiede (*1981) und Stefan Guzy (*1980) in der Handsiebdruckerei in Berlin entstehen keine industriellen Siebdrucke, sondern neue experimentelle Druckeditionen.

Zu den neueren Techniken gehören photomechanische und digitale Verfahren wie der Laser- oder Inkjetprint. Interessant sind jedoch vor allem die Verbindungen von traditionellen Drucktechniken mit digitalen Entwicklungen. So können Vorlagen beispielsweise am Computer entstehen, um sie dann in eine Drucktechnik zu überführen. Zusätzlich sind Experimenten mit unterschiedlichsten Druckmaterialien und -trägern wie Isomatten oder Eidechsenhautpapier keine Grenzen gesetzt. Gleichzeitig widmen sich Künstler*innen jedoch immer wieder der Radierung, dem Holzschnitt oder der Lithographie und interpretieren diese alten Techniken neu.

In enger Zusammenarbeit mit den Druckwerkstätten setzt sich die allgemeine Faszination an der Serie und den Serienstrategien im Druck weiterhin fort: Bei Thomas Schütte (*1954) und Ulla von Brandenburg (*1974) verbinden sich thematische und farbliche Variationen, Dasha Shishkin (*1977) setzt auf die Verknüpfung von methodischen Vorgaben und erzählerischen Szenen und Stefan Marx’ (*1979) Serienverständnis ergibt sich direkt aus dem Druckprozess.

SERIENTÄTER GRIFFELKUNST

Seit 1925 verlegt die Griffelkunst-Vereinigung Hamburg Editionen originaler Graphik. Von Beginn an erfolgte die Kunstvermittlung über die druckgraphischen Serien. Dabei geht es zunächst nicht primär um eine formal oder inhaltlich geschlossene Serie, sondern um die möglichst repräsentative Vorstellung ausgesuchter Künstler*innen mittels einer Auswahl ihrer graphischer Werke. Das Nebeneinander von Werken etablierter und junger Künstler*innen sowie die Kooperation mit Drucker*innen stehen dabei im Mittelpunkt. Lithographien, Radierungen, Holzschnitte, aber auch Photographien oder Inkjet-Prints werden seither in den Auswahlprogrammen angeboten, an denen 4.500 Mitglieder bundesweit teilnehmen.

Die von einer Jury ausgewählten Künstler*innen werden in Druckwerkstätten eingeladen, wo sie direkt auf den Lithostein, in die Kupferplatte oder in die Holzplatte arbeiten und für sie neue Techniken ausprobieren können. Ziel der griffelkunst ist es, die traditionellen künstlerischen Drucktechniken lebendig zu erhalten und eine Sensibilität für die Unterschiedlichkeit der Materialitäten druckgraphischer Erzeugnisse zu schaffen beziehungsweise zu bewahren. In einem langen und vielschichtigen Arbeitsprozess, von der Idee, über das Ausloten der richtigen Drucktechnik bis hin zum Vergleichen von Probedrucken, Andrucken oder Farbvarianten, entsteht schließlich die finale Druckversion der Serie.