Willem van Mieris
Bacchus und eine Nymphe (Erigone?), 1704
Zurück Bildinfos ➕ 🗖

Willem van Mieris

Bacchus und eine Nymphe (Erigone?), 1704

Willem van Mieris

Bacchus und eine Nymphe (Erigone?), 1704

Eindeutig ist dieses Blatt, wie die beiden Blätter von Mieris, als selbständiges Kunstwerk angelegt. Für die vollständig bezeichnete Komposition wählte der Künstler mit Pergament ein Trägermaterial, das dem feinen Kreidestrich eine eigene Tiefe und Leuchtkraft verleiht. Derartig bildmäßige Zeichnungen waren seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert begehrte Sammlerobjekte, und dies gilt in besonderem Maße für die auffallend großformatigen Hamburger Zeichnungen.(Anm.1)
Innerhalb dieser Werkkategorie wählte Van Mieris bevorzugt historische Themen, und unter diesen erfreute sich offensichtlich der mythologische Themenkreis mit seinen erotischen Untertönen besonderer Beliebtheit. Die vorliegende Zeichnung, von Harzen noch lapidar als „Bacchanal“ beschrieben, kann möglicherweise assoziiert werden mit der antiken Sage von Bacchus, der die Bauerstochter Erigone in Gestalt einer Traube täuschte und verführte.(Anm.2)
Häufig nahmen diese Pergamentzeichnungen auf bereits existierende Gemälde Bezug.(Anm.3) Im Falle des vorliegenden Blattes ist die Zeichnung allerdings vor dem entsprechenden Bild entstanden: Die nur geringfügig abweichende gemalte Fassung in Krakau stammt aus dem Jahre 1705.(Anm.4) Als Entwurf zu dem Hamburger Blatt ist eine deutlich kleiner dimensionierte Kreidezeichnung in Berlin zu bewerten.(Anm.5)

Annemarie Stefes

1 Van Mieris begann in den 1690er Jahren mit der Produktion derartiger „Feinzeichnungen“ auf Pergament. Am Anfang stand eine Gruppe von Deckfarbenzeichnungen in kleinerem Format, z. B. „Herkules und Nessus“, 1691, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. WvM 2 (132 x 147 mm), Eric Jan Sluijter, Marlies Enklaar, Paul Nieuwenhuisen: Leidse Fijnschilders. Van Gerrit Dou tot Frans van Mieris de Jonge 1630-1760, Ausst.-Kat. Stedelijk Museum De Lakenhal, Leiden 1988, Nr. 43, mit weiteren Beispielen. Vgl. auch Albert Jan Elen: "Ongemeen uitvoerig op Perkament met sapverven behandeld". De gekleurde tekeningen van Willem van Mieris uit de collectie van Jonas Witsen, in: Delineavit et Sculpsit 15, 1995, S. 1-22.
2 Thomas Ketelsen: Erigone. Ein phantasmatisches Szenario des Begehrens, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 37, 1998, S. 131-155 unter Rückgriff auf Hofstede de Groot; zu der Ikonographie dieses Mythos’ S. 138–144, zu der Interpretation des Hamburger Blattes und weiterer Van Mieris-Zeichnungen vgl. S. 145–147 und 154–155. Auf unserer Zeichnung wäre die Täuschung bereits aufgedeckt, der Liebesakt bereits vollzogen.
3 Zu diesem Ergebnis kam Emke Elen-Clifford Kocq van Breugel: Tekeningen van Willem van Mieris (1662-1774) in Relatie tot zijn Schilderijen, in: Leids Kunsthistorisch Jaerboek 4, 1985, S. 147-164, S. 157, 158 und 160, allerdings in Unkenntnis von Inv.-Nr. 22182 und 22181.
4 Krakau, Königliches Schloss Wawel, Inv.-Nr. 6262, Thomas Ketelsen: Erigone. Ein phantasmatisches Szenario des Begehrens, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 37, 1998, S. 131-155, Abb. 6. Vgl. die Zeichnung „Rinaldo und Armida“, 1703, Leiden, Prentenkabinet der Universiteit, Inv.-Nr. PK-P-AW 0212, die vermutlich als Anregung diente für ein Auftragsbild, vgl. Eric Jan Sluijter, Marlies Enklaar, Paul Nieuwenhuisen: Leidse Fijnschilders. Van Gerrit Dou tot Frans van Mieris de Jonge 1630-1760, Ausst.-Kat. Stedelijk Museum De Lakenhal, Leiden 1988, Nr. 45.
5 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 11775 (schwarze Kreide auf weißem Papier, 256 x 241 mm), Elfried Bock, Jakob Rosenberg: Die niederländischen Meister. Beschreibendes Verzeichnis sämtlicher Zeichnungen, Staatliche Museen zu Berlin. Die Zeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinett, 2 Bde., Berlin 1930, Bd. 1, S. 189.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten rechts von der Mitte signiert und datiert: "W. van Mieris. Fecit An.o 1704" (schwarze Kreide)

Auf dem Verso unten links bezeichnet: "14.0 18.8" (Bleistift, 19. Jh.?); unten rechts von der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
-

Provenienz

Wohl Peter Baron von Balk-Poleff (erste Hälfte 19. Jahrhundert); Georg Ernst Harzen (1790–1863), Hamburg (L. 1244); HK, KK, A, NH Ad: 02: 01, S. 258 (als „Willem Mieris“): „Ein Bacchanal. 1704 [in margine:] Balk P“; Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog I Van Aken-Murant, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.377, Nr.655

Thomas Ketelsen: Erigone. EIn phantasmatisches Szenario des Begehrens, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 37, 1998, S. 131-155, S.133, 137, 154-155, Abb.2