Pietro Testa, Il Lucchesino (Kopist?)
Kinderbacchanal,
Zurück Bildinfos ➕ 🗖

Pietro Testa, Il Lucchesino (Kopist?)

Kinderbacchanal,

Pietro Testa, Il Lucchesino (Kopist?)

Kinderbacchanal

Pietro Testa hat sich intensiv mit dem Thema der Bacchanalien beschäftigt. Die vorliegende Zeichnung verdeutlicht dabei besonders seine Auseinandersetzung mit Poussins „Kinderbacchanal mit zwei Panshermen“.(Anm.1) Gut vergleichbar sind der auf einem Ziegenbock reitende Putto, die wild herumtollende Kinderschar sowie die hinter diesen Gruppen postierten Panshermen. Testa hat dem Treiben jedoch im Vergleich zu Poussins Lösung eine dramatischere Wendung gegeben, da der Ziegenbock bei ihm in einen Baum rast und sich links vorn ein wild schauender Panther befindet. Zudem erweiterte Testa die Gruppe der Panshermen um vier weitere Hermen. Das gesamte Geschehen findet nun in einer weiten Landschaft statt.
Das Blatt gelangte als eigenhändiges Werk Pietro Testas in die Kunsthalle. Inzwischen sind zwei weitere Versionen dieser Komposition in Amsterdam (Anm.2) und Edinburgh (Anm.3) bekanntgeworden. Dabei wird die Zeichnung im Rijksmuseum als Original angesehen, während die Blätter in Edinburgh und Hamburg Kopien darstellen sollen.(Anm.4) Eine derartig eindeutige Zuordnung ist jedoch problematisch. Zunächst ist auffallend, dass die gegenüber dem Blatt in Edinburgh größeren Zeichnungen in Hamburg und Amsterdam nahezu über das identische Format verfügen. Zudem stimmen die Komposition und das Strichbild weitgehend überein. Sucht man nach Unterschieden, so wirkt das Hamburger Blatt insgesamt unruhiger und ungeordneter. So ist z. B. das über den Brunnenrand fließende Wasser ungleichmäßiger gezeichnet. Hinzu kommen zahlreiche Fehlzüge, die auf dem Amsterdamer Blatt fehlen. Zum Beispiel geht ein Wasserstrahl auf dem Hamburger Blatt direkt in das hinter dem reitenden Putto wehende Tuch und durch den Ziegenbock sind zwei markante Striche gezogen, die das Tier unorganisch markieren. Derartige Fehlzüge sind für eine Kopie nicht unbedingt zwingend, wohingegen sie bei einem Originalentwurf wahrscheinlicher sind. Der zeichnerische Befund legt daher nahe, dass das Amsterdamer Blatt eine abgeklärtere Variante der Hamburger Zeichnung darstellt.
Die Version in Edinburgh wurde im dortigen Katalog als mögliche Kopie nach dem Amsterdamer Original angesehen. Für eine späte Entstehung des Blattes in Edinburgh spricht auch das Wasserzeichen, das offensichtlich aus der Zeit nach Testas Tod stammt.(Anm.5)
Generell stellt sich auch beim Amsterdamer Blatt die Frage, ob es sich überhaupt um eine eigenhändige Arbeit Testas handelt. Der auf der Amsterdamer Zeichnung angebrachte Künstlername und die Datierung „1640“ sind für Testa untypisch und dürften von späterer Hand stammen. Irritierend ist vor allem, dass die Zeichentechnik generell nur ansatzweise Testas vielgerühmte Virtuosität erkennen lässt. Gegenüber gesicherten Zeichnungen – wie etwa dem furiosen Hamburger Entwurf Inv.-Nr. 21442 – wirken diese Blätter relativ steif. Es fehlt der bei Testa gewohnte Mut, auch gravierende Pentimenti zuzulassen. Denkbar ist daher, dass sämtliche Blätter eine nicht erhaltene Komposition Testas überliefern, die im Strichbild noch freier gewesen sein dürfte. Die mehrfache Wiederholung der Bildidee spricht für ein reges Sammlerinteresse an Testas Entwürfen.

David Klemm

1 Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Barberini.
2 Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. A 2183.
3 Edinburgh, National Galleries of Scotland, Inv.-Nr. D 5006.
4 Pietro Testa 1612-1650. Prints and Drawings, bearb. v. Elizabeth Cropper, Ausst.-Kat. Philadelphia Museum of Art, Philadelphia 1988, S. 27.
5 In Edinburgh wird auch die Hamburger Zeichnung als Kopie nach derjenigen in Amsterdam angesehen. Vgl. Exhbition of Works by Pietro Testa, Ausst.-Kat. Edinburgh, National Gallery of Scotland, Bulletin Nr. 2, 1974, Edinburgh 1974 .

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten rechts nummeriert: "082" (Bleistift); unten links nummeriert: "46" (Bleistift); oben rechts: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

WZ: Doppelkonturiger Anker im Kreis mit sechszackigem Stern darüber, darunter Buchstabe „G“; nicht identifiziert.

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 220 (als Pietro Testa): "Unzählige Knäblein neben einer Hermensäule. Grqufol. Feder auf gr. Pap. Entwurf zu der Radierung B. 26"; NH Ad : 01 : 03, fol. 112 (als Pietro Testa): "Ein Bacchanale von Knaben, deren einige trunken am Boden liegen andere mit einem Tiger spielen, einer galoppirt auf einem Bocke reitend davon. Im Hintergrunde ein Springbrunnen. Federzeichnung. 9.3. 7.2"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.340, Nr.514

Elizabeth Cropper: Pietro Testa 1612-1650. Prints and Drawings, Ausst.-Kat. Philadelphia Museum of Art 1988, S.25, Nr.bei Nr. 22

Exhbition of Works by Pietro Testa, Ausst.-Kat. Edinburgh, National Gallery of Scotland, Bulletin Number 2 (Faltblatt), 1974, S.o.S., Nr.bei Inv. Nr. D 5006

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.26, Nr.134