Philipp Otto Runge
Torso des Satyrs mit der Fußklapper, Ansicht der linken Seite (Studie nach einem Gipsabguss), 1800
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Philipp Otto Runge

Torso des Satyrs mit der Fußklapper, Ansicht der linken Seite (Studie nach einem Gipsabguss), 1800

Philipp Otto Runge

Torso des Satyrs mit der Fußklapper, Ansicht der linken Seite (Studie nach einem Gipsabguss), 1800

Im Auktionskatalog 1938 wurde Inv. Nr. 1938-38 verso ungenau als „stehender Akt“ bezeichnet und von Berefelt falsch als „Diskuswerfer“ (vgl. Inv. Nr. 1938-69) identifziert; erst Trager hat das Vorbild korrekt in dem heute in den Uffizien in Florenz befindlichen „Satyr mit der Fußklapper“ erkannt, der auch als „Tanzender Satyr“ oder „Satyr Medici“ bekannt ist (Anm. 1). Auch von Hardorff sind zwei Studien nach dem Satyr bekannt, die in dessen Dresdner Zeit entstanden sind (Anm. 2).
Runge hat nach der Statue, deren Abguss zum ältesten Bestand der Kopenhagener Gipssammlung gehört (Anm. 3), mehrmals in Zeichnungen festgehalten. Die Statue des tanzenden und musizierenden Satyrs weist in seiner ausponderierten Körperhaltung, die in einer Drehung verharrt, ein ausgeprägtes Muskelspiel auf, das Runge geeignet erschien, anatomische Details unter verschiedenen Blickwinkeln zu studieren. Runge hatte bereits in Hamburg mit Anatomiestudien begonnen, als er einige Blätter nach Andreas Vesalius und anderen Vorlagen kopierte (Anm. 4). Runges Erwartung, sich in diesem Fache schnell und gründlich weiterbilden zu können, wurde von den Professoren in Kopenhagen allerdings enttäuscht: „Wenn ich dann Courage kriege und frage, ob sie meynen, dass ich nach ganzen Figuren etwas skizziren, oder Abends zu Hause Perspektiv treiben soll, oder die Anatomie Usw. usw., so heißt es gleich: ‚Ja, das ist noch zu früh; fahren Sie nur fort, nach meinen Zeichnungen können Sie zeichnen – und dann die Perspektiv? Das brauchen Sie nicht, und die Anatomie? Wenn Sie das nur bisweilen ansehen, Sie verlieren nur Zeit damit.‘ – Nun sage mir um Gottes willen, was soll ich denn weiter mit den Männern sprechen?“ (Anm. 5) Wenig später, mit Erreichen der Gipsklasse am 6. Januar 1800 (Anm. 6), hat Runge erst die Unterweisungen in Anatomie und Vorlesungen bei Michael Skjelderup besucht (Anm. 7), und hatte im Februar von Juel Bernardino Gengas „Anatomie“ nach Zeichnungen Errards erhalten (Anm. 8), nach denen Runge mehrmals kopierte (vgl. Inv. Nr. 1938-101).
Die dabei gewonnene Fähigkeit zur weitgehenden Reduktion auf den Umriss erprobte Runge danach auch im Gipssaal. Es existieren zwei Gesamtansichten von der Statue des tanzenden Satyrs in Hamburg (Inv. Nr. 1838-38 verso) und in Privatbesitz (Anm. 9), die Runge als Kreidezeichnungen mit Weißhöhungen ausgeführt hat. Seine anfängliche Opposition gegen die an der Akademie gepflegte Zeichentechnik der spitzen Kreiden und die Verwendung des bräunlichen Papiers, auf dem sich die Plastizität durch Weißhöhungen effektvoll steigern ließ (Anm. 10), hatte er da schon aufgegeben. So ähnelt Runges Zeichnung besonders in der Verwendung des Tonpapiers, aber auch in der Verteilung von Licht und Schatten sowie in den modellierenden Weißhöhungen der Zeichnung eines anonymen Schülers, das in der Klasse Lorentzens entstand (Anm. 11).
Zudem bewahrt das Kupferstichkabinett vier beidseitig benutzte Blätter, auf denen sich insgesamt acht als Kreide- und Federzeichnungen ausgeführte Studien nur vom Torso befinden, die im direkten zeitlichen Zusammenhang mit den Zeichnungen nach Errard entstanden sind. Sie verdeutlichen Runges Interesse, einen Körper aus verschiedenen, dabei manchmal nur geringfügig voneinander abweichenden Blickwinkeln dazustellen, aber auch, sich dem Gegenstand in verschiedenen Techniken und Zeichenweisen zu nähern. Es hat dabei den Anschein, dass Runge im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Torso die zeichnerischen Mittel bewusst soweit reduziert, bis er eine auf den Umriss beschränkte Ansicht erreicht.
Inv. Nr. 1938-50 verso, Inv. Nr. 1938-51 recto und verso zeigen die Vorderansicht des Torsos jeweils aus dem gleichen Blickwinkel von rechts oben. Die Studie auf Inv. Nr. 1938-51 verso zeigt den reichsten Einsatz der zeichnerischen Mittel; Parallelschraffuren und schattierte Zonen arbeiten das plastische Körperrelief heraus, das auf Inv. Nr. 1938-50 verso als reine Kreidezeichnung bereits auf den Umriss reduziert wird – ein Effekt, der auf Inv. Nr. 1938-51 recto durch den Einsatz der Feder noch verstärkt wird. Zu Recht hat Schubert deshalb auf die zeitliche Nähe zur Kopie nach Errards „Herkules Farnese“ hingewiesen (Anm. 12). Ähnliches lässt sich auch bei vier im Blickwinkel leicht voneinander abweichenden Ansichten der linken Seite des Torsos beobachten, wo Runge durch mehrere, sich auch überlagernde Strichlagen den Umriss festzulegen versucht (Inv. Nr. 1938-52 verso), der auf Inv. Nr. 1938-52 recto und Inv. Nr. 1938-53 verso durch die Binnenzeichnung plastisch akzentuiert wird, um auf Inv. Nr. 1938-50 recto wieder auf den Umriss reduziert zu werden. In den Umrisszeichnungen näherte sich Runge dem Modus der Anatomiezeichnung (Anm. 13), die der Linearität des Kupferstichs nahekommt, diesen in der kraft- und spannungsvollen Plastizität der Linie aber übertrifft (Anm. 14). Am 25. März hatte Runge gegenüber Daniel angekündigt, er werde sich lange im „Contourenzeichnen“ üben, bis der Gipssaal öffnet, wo er dann nach den Antiken selbst zeichnen wolle (Anm. 15). Es ist anzunehmen, dass die Zeichnungen nach dem tanzenden Satyrn unmittelbar nach Öffnung des Antikensaals unter dem Einfluss der Beschäftigung mit Tischbeins Vasenwerk entstanden (vgl. Inv. Nr. 1938-140 und Inv. Nr. 1938-141).

Peter Prange

1 Tanzender Satyr, Marmor, Florenz, Uffizien, Inv. Nr. 220, vgl. Francis Haskell/Nicolas Penny: Taste and the Antique. The Lure of classical Sculpture 1500-1900, New Haven-London 1981, S. 205-208, Nr. 34, Abb.
2 Gerdt Hardorff, Satyr mit der Fußklapper (recto und verso), schwarze Kreide, weiß gehöht, auf blauem Papier, 424 x 343 mm, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 42972, vgl. Cornelia Vagt: Gerdt Hardorff d. Ä. und sein Werk. Monographie und Katalog, Diss. Univ. Kiel 1984, S. 285, Nr. 279.
3 Der Abguss befand sich seit 1750 in der Abgusssammlung, vgl. Jan Zahle: Antiksalen, Figursalen, Museet, in: Spejlinger i gips, Udstilling på Det Kongelige Danske Kunstakademi, Billedkunstskolerne og Danmarks Kunstbibliotek, Sammlingen af Arkitekturtegninger, Kopenhagen 2004, S. 194, Nr. S 20.
4 Vgl. Traeger 1975, S. 268-270, Nr. 86 a-l, Abb.
5 Brief vom 31. Dezember 1799 an Daniel, vgl. HS II, S. 37.
6 Am 6. Januar 1800 war Runge in der zweiten Freihandzeichenklasse bei Informator Carl David Probshayn zur Gipsschule „avanciert“, vgl. Schubert 2013, S. 132.
7 Schubert 2013, S. 135.
8 Brief vom 21. Februar 1800 an Daniel, vgl. HS II, S. 43.
9 Zwei Studien nach dem Satyr mit der Fußklapper, schwarze und weiße Kreide auf blauem Papier, 400 x 280 mm, vgl. Traeger 1975, S. 317, Nr. 213.
10 Brief vom 7. November 1799 an Daniel, vgl. HS II, S. 29.
11 Anonym, Medici Faun, schwarze und weiße Kreide auf Tonpapier, 548 x 295 mm, Danmarks Kunstbibliotek, modeltegning 460, vgl. Karin Kryger: Tegninger efter afstøbninger, in: Spejlinger i gips, Udstilling på Det Kongelige Danske Kunstakademi, Billedkunstskolerne og Danmarks Kunstbibliotek, Sammlingen af Arkitekturtegninger, Kopenhagen 2004, S. 230, Nr. 40, Abb.
12 Schubert 2013, S. 138.
13 Schubert 2013, S. 137.
14 Bereits Traeger 1975, S. 146, hat auf die der Linie innewohnende Energie bei Runges Umrisszeichnungen und ihre Körperlichkeit hingewiesen.
15 Vgl. HS II, S. 49.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso oben links nummeriert: "4 a" (Bleistift; um 180 Grad gedreht)

Wasserzeichen / Kettenlinien

"Academie Greifswald", geflügelter Greif

Verso

Titel verso: Ansicht deselben Torsos von vorn

Technik verso: Schwarze Kreide

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; wohl als deren Geschenk an ihren Enkel Paul Runge (1835-1899), Berlin (Sohn des Otto Sigismund Runge (1806-1839); Philipp Otto Runge (1866-1925; Sohn des Vorigen), Berlin; Hans Runge (1900-?; Sohn des Vorigen), Berlin (bis 1938); erworben 1938 von C. G. Boerner, Leipzig

Bibliographie

Ideale - moderne Kunst seit Winkelmannns Antike, Ch. Philipsen, Th. Bauer-Friedrich, St. Lehmann, O. Peters, E. Tamaschke, Ch. Drobe Dresden: Sandstein Verlag 2018, 175, 16, Schriften für das Kunstmuseum Moritzurg Halle (Saale), S.ab: 74, Nr.52, Abb.S.66

Regina Schubert: Runges Lehrzeit an der Kopenhagener Akademie, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.137, Abb. 16

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.300, Nr.164b, Abb.

Deutsche Handzeichnungen der Romantikerzeit. Deutsche Graphik des frühen XIX. Jahrhunderts. Deutsche Zeichnungen der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, Auktion 199, 25. 5. 1938, C. G. Boerner, Leipzig 1938, S.15, Nr.132