Philipp Otto Runge
Die Wirkung der komischen und der tragischen Maske, um 1800
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Philipp Otto Runge

Die Wirkung der komischen und der tragischen Maske, um 1800

Philipp Otto Runge

Die Wirkung der komischen und der tragischen Maske, um 1800

Für das Jahr 1800 erwähnt Daniel eine „weibliche Figur, die einem Götterknaben abwechselnd die komische und die tragische Maske hinhält.“ (Anm. 1) Offensichtlich handelte es sich um eine Auftragsarbeit, die Zeichnung „war aus Leipzig verlangt worden. Der Knabe lacht und gebehrdet sich unbändig fröhlich zu dem Momus-Antlitz; wird, die Medusa erblickend, heulen und sich winden. Eine gar anmuthige Darstellung, wenn gleich sehr verzeichnet, vermuthlich nach einem Hetrurischen Vasenbilde, wo nicht gar Original.“ (Anm. 2)
Die ausgeschnittene Zeichnung trägt unterhalb auf der Montierung die Datierung „1799“, die von Langner übernommen wurde (Anm. 3), Traeger jedoch für eine nachträgliche Datierung hielt, weil eine Beschäftigung mit Vasenbildern vor März 1800 bei Runge nicht nachweisbar ist. Bemerkenswert ist Daniels Einschätzung, es handle sich vermutlich bei der Vorlage um ein etruskisches Vasenbild, doch könne er auch ein Original Runges nicht ausschließen. Traeger hatte wenn überhaupt ein klassizistisches Vorbild vermutet, doch konnte Mildenberger zumindest für die Figur der Frau mit der Lyra rechts einen Stich aus Tischbeins Vasenwerk als Vorlage nachweisen (Anm. 4), während für die beiden anderen Figuren bisher keine Vorlage nachgewiesen werden konnte. Daniels Frage, ob es sich um eine Nachzeichnung oder um ein Original handelt, muss nach heutigem Kenntnisstand dahingehend beantwortet werden, dass es sich um beides handelt. Runge integrierte in eine eigene Erfindung die Muse Tischbeins und übernahm für die Frau mit den Masken und den Putto den graphischen Umrissstil des Vasenwerks. Der Gesichts- und Figurentypus, aber auch die Durcharbeitung der Gewänder entspricht Tischbeins Vorbild. Daniel hatte das Blatt als „sehr verzeichnet“ beschrieben, und dabei sicher die Frau mit den Masken vor Augen gehabt, deren sehr schlanke Proportionen einerseits noch unter dem Einfluss Abilgaards stehen, doch auch von Tischbeins Darstellungen in dessen Vasenwerk angeregt sind (Anm. 5).
Tischbeins Stiche hingegen waren für Runge in ihrer flächenhaften Wirkung, ihrer Reduzierung auf Grund und Linie bedeutsam, die er auf dem vorliegenden Blatt durch den schwarzen Hintergrund zu dem Eindruck einer scherenschnittartigen Silhouette steigerte. Der Umrissstil der Vasen wird mit dem dunklen Grund kombiniert: „Besonders da wird die Phantasie tätig, wo die Flächenform aus der Projektion einer perspektivischen Verkürzung hervorgegangen ist. […] Dass dieser Eindruck den Absichten Runges entspricht, bestätigen zwei frühe, gezeichnete Arbeiten. Die Tuschsilhouette Inv. Nr. 1926-131 zeigt in schwarzer Fläche die weiß ausgesparten Gestalten eines Amorknaben und zweier Frauen mit Lyra bzw. Masken. In die weißen Zonen sind in dünnem Federstrich Faltenwerk, körperliche Details und Überschneidungen eingezeichnet.“ (Anm. 6)

Peter Prange

1 HS I, S. 226.
2 HS I, S. 226.
3 Langner 1963, S. 21.
4 Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Pitture di Vasi antichi posseduti da sua Excellenza il Sig: Cav: Hamilton, Tomo II, Florenz 1801, S. 18-19, Taf. 12.
5 Die Frau mit den Masken ähnelt im schlanken Typus Tischbein 1801, Taf. 35.
6 Traeger 1975, S. 144.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Rechts unterhalb der Zeichnung auf dem Untersatzkarton datiert: "1799" (Feder in Schwarz)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Philipp Otto Runge (1810-1893), Hamburg (Sohn der Vorgenannten); Bertha Runge (1850-1904), Hamburg (Tochter des Vorgenannten); Carl August Ferdinand Meissner (1843-1920), Hamburg (Ehemann der Vorgenannten ); Anna Meissner (1882-?; Tochter der beiden Vorgenannten); erworben von Kurt Wallmuth, Hamburg (Ehemann der Vorgenannten), 1926

Bibliographie

Peter Prange: Philipp Otto Runge und Johann Wilhelm Heinrich Tischbein – Austausch und Wirkung, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.301, Abb. 3

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.108, 338, 385, Nr.65, Abb.

Prange, Peter: "...ich weiß nicht, ich muss ihn kennen lernen" im Eutiner Jahrbuch 2010, Abb.S. 89

Hermann Mildenberger: Hamilton, Tischbein and Philipp Otto Runge, Oxford 1997, S. 295-303, S.296, Abb.1 auf S. 297

Jörg Traeger: Aus Philipp Otto Runges Anfängen als Maler. Eine frühe Fassung der "Ruhe auf der Flucht". Mit Bemerkungen zu Otto Sigismund Runge, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 55, 1992, Nr. 4, S. 463-482, S.472, Abb.12 auf S. 473

Albert Boime: A Social History of Modern Art. Art in an Age of Bonapartism 1800-1815, Bd. 2, 2 Bde, Chicago 1990, S.423, Abb.8.11 auf S. 425

Hermann Mildenberger: J. H. W. Tischbein - Philipp Otto Runge - Friedrich Overbeck. Apekte des künstlerischen Austauschs, in: Jahrbuch des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf 1, 1986-87, Neumünster 1988, S. 31-87, S.35-37, Abb.8 auf S.

Cornelia Richter: Philipp Otto Runge. "Ich weiß eine schöne Blume". Werkverzeichnis der Scherenschnitte, München 1981, S.20

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.131, Abb.13 auf S. 16

Jens Christian Jensen: Philipp Otto Runge. Leben und Werk, Köln 1977, S.48, Abb., 227, Abb.13

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.107, 123, Nr.74, Abb.

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.298-299, Nr.162, Abb.

Johannes Langner: Philipp Otto Runge in der Hamburger Kunsthalle, Bilderhefte der Hamburger Kunsthalle, Bd. 4, Hamburg 1963, S.8, 21, Abb.1

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.202, Abb.20

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.7, Nr.30

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.297, Abb.Taf. 1, Nr. 2

Gustav Pauli: Die Kunsthalle zu Hamburg 1925/1926. Bericht über die letzten zwei Jahre der Verwaltung, Hamburg 1928, S.14

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.226